Paul Gerhardts «Geh aus mein Herz»

Das Lied «Geh aus mein Herz» wurde im sommerlichen Berlin verfasst.
Viele Sommerhits erklingen nur für eine einzige Saison. Paul Gerhardts Klassiker «Geh aus mein Herz und suche Freud» wird inzwischen seit fast 400 Jahren gesungen – und es ist kein Ende in Sicht. Was macht dieses Lied so besonders?

Sommerhits sind meist kurzlebige Erscheinungen. Erinnerst du dich noch an den vom letzten Jahr? Wahrscheinlich nicht, denn 2023 kürte die GfK (Gesellschaft für Konsumförderung) das «Mädchen auf dem Pferd» dazu – einen Techno-Remix des zehn Jahre alten Bibi-und-Tina-Kinofilms. Den Aufreger aus dem Jahr 2022 hast du wahrscheinlich noch im Ohr: das umstrittene sexistische «Layla». Aber es gibt nicht nur diese Kurzzeitphänomene, sondern auch Sommerlieder, die bleiben. Lieder, die ganze Generationen berühren und begleiten. Dazu gehört unter anderem das Gesangbuchlied oder Volkslied «Geh aus, mein Herz, und suche Freud». Natürlich ist die Sprache dieses Liedes nicht up to date, aber trotz seines Alters wirkt es noch erstaunlich frisch.

Die Umstände waren nicht freudevoll

Als Paul Gerhard (1607-76) die meisten seiner Lieder schrieb, arbeitete der Theologe in Berlin als Hauslehrer und später als Pfarrer. Der Dreissigjährige Krieg war gerade vorbei hatte die heutige Metropole auf nur 5'000 Einwohner dezimiert. Über die Hälfte der Berliner Bevölkerung war im Krieg ums Leben gekommen: wenige im Kampf, die meisten durch Krankheiten wie die Pest und Hunger. Leid und Tod waren allgegenwärtig, als Gerhardt 1653 ein weiteres Lied für die «Praxis Pietatis Melica» seines Freundes und Kantors Johann Crüger schrieb. Mit dieser «Übung der Gottseligkeit in christlichen und trostreichen Gesängen» wollten sie einen Gegenpol zur damaligen trüben Stimmung setzen und gleichzeitig an den realen Befindlichkeiten anknüpfen. So machte Gerhardt in den 15 Strophen seines Liedes einen ausführlichen Spaziergang durch die sommerliche Landschaft rund um Berlin und schrieb darüber:

1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
Schau an der schönen Gärten Zier,
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben.

Dankbarkeit ist eine Entscheidung

In diesem Stil geht es weiter und Gerhardt betrachtet Bäume, Blumen, Lerchen und Tauben. Er erzählt von rauschenden Bächen und Honig sammelnden Bienen. Es wäre leicht, nun anzunehmen, dass hier jemand der grausamen Realität seiner Zeit aus dem Weg geht. Grund dazu hätte der Pfarrer genug gehabt, denn neben den unzähligen Beerdigungen in seiner Gemeinde trug er auch drei seiner eigenen vier Kinder und seine Frau zu Grabe. Auch diese Schwere kommt in einigen Liedern Paul Gerhardts zum Ausdruck, hier jedoch setzt er einen anderen Akzent: Er entscheidet sich für Dankbarkeit und Freude. Er betrachtet ausdrücklich das Schöne und das Leben, ohne dabei die Wirklichkeit zu vergessen. Die Bilder, die er in seinem Lied malt, sind keine Realitätsflucht, sondern die bewusst gewählte Perspektive der Dankbarkeit für seinen grossen Gott. In diese stimmt er mit der gesamten Schöpfung ein.

8. Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des grossen Gottes grosses Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.

Paul Gerhardt und seine Hits

Paul Gerhard ist ein Kind seiner Zeit. Nicht nur er thematisiert die Spannung zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits, Freude und Ernst. Das macht jeder barocke Dichter. Doch etwas ist anders bei dem dichtenden Pfarrer. Während seine Kolleginnen und Kollegen heute nur noch Fachleuten bekannt sind – oder hast du schon etwas von Johann Valentin Andreae oder Susanna Elisabeth Zeidler gehört? – gehören Paul Gerhardts Lieder immer noch zu den schönsten, tiefsten und tröstlichsten Texten, die die deutsche Sprache zu bieten hat. «Befiehl du deine Wege», «Ich steh an deiner Krippen hier», «O Haupt voll Blut und Wunden» und viele andere sind uns bis heute ein Begriff. Von seinen 137 überlieferten Gedichten stehen immer noch 30 im Gesangbuch – eine gute Quote für 400 Jahre alte Lieder. Hans-Joachim Beeskow meint dazu: «Der Grundtenor seiner Lieder ist der Dank an Gott, der Menschen mit seiner Gnade und Liebe begegnet und sie aktiviert.» Dieser Gottesbezug lässt Paul Gerhardts Lieder bis heute nicht aktuell aber relevant erscheinen, denn hier sucht und findet jemand im Auf und Ab seines Lebens die Spuren Gottes – auch im Sommer.

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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