Einsamkeits-Barometer zeigt gesellschaftlichen Trend

Viele Menschen der heutigen Gesellschaft fühlen sich «sehr einsam»
Jeder vierte Mensch in Deutschland fühlt sich «sehr einsam». Zahlen wie diese aus dem neuen Einsamkeitsbarometer lassen aufhorchen. Wie lässt sich dem wachsenden Problem begegnen?

«Ich bin so allein…» Dieses Gefühl kennen viele. Und nach der Pandemie scheint sich diese Empfindung verstärkt zu haben. Längst betrifft Einsamkeit nicht nur die Alten und Kranken. Das Phänomen ist lange mitten in der Gesellschaft angekommen, das belegen auch die Ergebnisse im aktuellen Einsamkeitsbarometer. Die bundesdeutsche Familienministerin Lisa Paus von den Grünen hatte es in Auftrag gegeben. Für die Langzeitanalyse wurden Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) von 1992 bis 2021 ausgewertet. Am 30. Mai wurde die Studie der Öffentlichkeit vorgestellt (das komplette «Einsamkeitsbarometer» kann hier heruntergeladen werden).

«Sozialer Long Covid»?

Covid ist Geschichte, aber längst noch nicht vorbei. Viele an Long Covid Erkrankte können hiervon ein Lied singen. Bei der Pressekonferenz zur Studie sprach Lisa Paus denn auch von einem «nicht wirklich überraschenden sozialen Long Covid». Die Pandemie wirkte hier offensichtlich wie ein Brennglas, indem sie Probleme vergrösserte, die vorher bereits da waren. Während der Lockdowns und anderer Massnahmen stieg die Einsamkeitsquote denn auch über 20 Prozentpunkte an, um anschliessend wieder abzusinken – allerdings längst nicht auf den vorigen Stand. Die Einsamkeitsbelastungen bei der Gesamtbevölkerung sanken nach der Corona-Pandemie von 28,2 Prozent im Jahr 2020 auf 11,3 Prozent im Jahr 2021. Vorher lagen sie allerdings bei rund 8 Prozent. Neuere Ergebnisse des Wiesbadener Instituts für Bevölkerungsforschung BiB unterstreichen: «In der postpandemischen Phase besteht die Einsamkeit auf hohem Niveau fort – es zeigt sich eine Tendenz zur Chronifizierung.»

Risikogruppe: eher junge Menschen

Klassisch werden eher ältere Menschen mit Einsamkeit in Verbindung gebracht, doch das Phänomen zieht sich durch die gesamte Gesellschaft. Tatsächlich empfinden sich Jüngere im Schnitt als einsamer als Ältere. Frauen sind stärker betroffen als Männer. Menschen mit Migrationshintergrund, pflegende Angehörige oder Alleinerziehende, Arbeitslose, Arme und sozial benachteiligte Menschen sind ebenfalls stärker belastet. Die genauen Zahlen liefert die Studie in einem Statistikanhang, doch als Quintessenz bleibt, dass gerade Jüngere stark und bleibend betroffen sind.

Als Politikerin hebt Lisa Paus hervor, dass davon auch demokratisches Engagement betroffen ist. Die Weltgesundheitsorganisation vergleicht die Folgen der Einsamkeit mit denen des Rauchens, der Fettleibigkeit oder von Luftverschmutzung. Und die Deutsche Depressionshilfe unterstreicht den Zusammenhang mit seelischer Belastung bis hin zu Suizidgedanken. Einsamkeit ist keine Randerscheinung – sie wirkt sich negativ auf die physische und psychische Gesundheit aus. So hatten im Jahr 2021 60,7 Prozent der Menschen mit erhöhten Einsamkeitsbelastungen eine unterdurchschnittliche körperliche Gesundheit. Das erstmalig veröffentlichte Einsamkeitsbarometer soll helfen, die tatsächlichen Probleme in den Blick zu nehmen und das Thema aus der Tabuzone zu holen. So soll vom 17. bis 23. Juni 2024 eine Aktionswoche «Gemeinsam aus der Einsamkeit» stattfinden und unterstützende Aktivitäten anbieten.

Heraus aus Vorurteilen

Hilfreich sind auch Ergebnisse der Studie, die belegen, dass Einsamkeit nicht damit zusammenhängt, ob man Single ist oder nicht. Wer alleine lebt, muss noch lange nicht einsam sein. Das gilt für nahezu alle Altersgruppen. Die aktuelle Forschung zeigt vielmehr, dass «kein klarer kausaler Zusammenhang zwischen der Zunahme einzelgängerischer Lebensformen und der Zunahme von Einsamkeitsbelastungen besteht». Wer also alleine lebt, tut das – gerade bei jüngeren Menschen – oft freiwillig und gern.

Tipps und Hilfen

Das Familienministerium will weitere Konkrete Angebote und Orte gegen Einsamkeit bereitstellen. Dazu wurde bereits 2022 das Kompetenznetz Einsamkeit KNE gegründet. Auch andere gesellschaftliche Akteure engagieren sich hier, wie zum Beispiel die Krankenkassen. Die Barmer weist auf zehn Punkte hin, die Einsamkeit überwinden helfen. Beim Durchschauen werden Christen realisieren, dass etliche davon in Kirchen und Gemeinden bereits natürlich aufgefangen werden: etwas mit Gleichgesinnten unternehmen, zusammen in Bewegung kommen, sich mit der Nachbarschaft vernetzen und lokale Angebote nutzen, ehrenamtlich tätig werden, miteinander kochen und essen und nicht zuletzt: Musik. Kirche ist nicht in erster Linie eine Selbsthilfegruppe gegen Einsamkeit, aber ihre Angebote erweisen sich als zeitgemäss und hilfreich im Umgang mit der «Volksseuche Einsamkeit».

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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