Wie ein Blitz aus heiterem Himmel
An einem heissen Augusttag im Jahr 1951 wird Heidi geboren. Doch in der Schweiz grassiert die Kinderlähmung. Ihre Mutter stirbt wenige Tage nach der Geburt in der eisernen Lunge: Sie litt an dieser Krankheit und an Hirnhautentzündung. Die kleine Heidi wird zur Kontrolle noch mehrere Wochen im Spital behalten. In dieser Zeit trauert ihr Vater um seine Frau – für den 29-Jährigen ist es bereits die dritte, die er durch den Tod verliert.
Heidi wächst als Einzelkind bei einer Tante auf. Neben Frohmachendem erlebt sie auch Bedrohendes, Panik und durchleidet viele Ängste. Unter anderem wegen ihrem jähzornigen Grossvater. Die 73-Jährige erinnert sich: «Ich war oft allein, lebte auf in der Natur, spielte stundenlang mit Gräsern, Blumen und Marienkäferchen.»
Noch ein Knick
Als die Siebenjährige gerade die ersten Schulwochen hinter sich hat, bekommt ihre Lebenslinie einen weiteren Knick. Ihr Vater hat wieder geheiratet und möchte seine Kinder bei sich haben. «Das rechne ich ihm hoch an», betont Heidi. «Doch plötzlich hatte ich Geschwister neben mir, eine Stiefmutter und eine neue Umgebung.» Die Schule fällt ihr schwer, bis zum Austritt begleiten sie ständig Gefühle der Verlassenheit, des Schmerzes und der Unberechenbarkeit. Groll, Hass, Wut kennt sie jedoch nicht. Sie spürt, dass ihre Eltern auch einen Rucksack tragen – dafür hat sie viel Verständnis: «Sie gaben, was sie konnten, mehr ging nicht.»
Jesus statt Krishna
Als mit der Sekundarstufe die Schule endlich endet, atmet Heidi auf: sie kann ihr Leben nun selbst gestalten. Sie macht eine hauswirtschaftliche Ausbildung, später die zur Gemeindehelferin. Überall wird sie geschätzt, dennoch merkt sie: «Ich habe keinen Boden unter den Füssen – kein Urvertrauen, kein Selbstvertrauen.» Sie gerät mehr und mehr in verschiedene Abhängigkeiten, schlittert in Sünde, wird schuldig und fühlt sich als Versagerin.
Als Heidi von einem ehemaligen Hindu-Priester erfährt, wie er nach langem Suchen bei Jesus Frieden gefunden habe, angekommen sei, wühlt sie das auf. Sie wird ermutigt, das Johannesevangelium zu lesen und zuvor um den Heiligen Geist bitten, damit sie es verstehe. Genau das tut sie am nächsten Tag. «Und da war mir, als gehe die Sonne auf. Aber nicht nur das – ich erkannte meine Schuld vor Gott, beugte meine Knie vor ihm und legte mein Leben, alle weiteren Schritte, in Jesu Hände.» Sie weint Tränen der Scham, der Reue und der Erleichterung. Ein jahrelanger Prozess innerer Heilung und Befreiung beginnt für die junge Frau.
Berufung
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft sie der Ruf, in ein Diakonissenhaus einzutreten, Diakonisse zu werden. «Der Ruf war eindeutig – mitten in der Nacht, mit einer hörbaren Stimme und einem tiefen Erschrecken meinerseits», erinnert sich Heidi. Dazu empfängt sie ein bestätigendes Wort Gottes. «Ich zweifelte keinen Augenblick, aber ich weinte mir die Seele aus dem Leib, denn diesen Weg wollte ich nicht beschreiten.» Als sie nach langen Kämpfen Gott ihr Ja gibt, breiten sich in ihrem Herzen Frieden und Freude aus.
Raus aus dem Land des Elends
Die lange Zeit in der Schwesterngemeinschaft sind Segensjahre, allerdings immer wieder auch durchmischt mit vielen Tränen. «Meine Kindheit drückte durch, ich fühlte mich innerlich zerrissen.» Gleichzeitig erlebt sie: «Gott hat mich wachsen lassen in dem Lande meines Elends» (1. Mose Kapitel 41, Vers 52). «Ich tat mich schwer, in einer grossen Gemeinschaft zu leben, obwohl ich inmitten wunderbarer Frauen Monate und Jahre verbringen durfte.»
Der Lebensstil von «Ora et labora» ist heilsam für sie. Es wird ihr ermöglicht, sich zur Sozialpädagogin, später zur therapeutischen Seelsorgerin auszubilden, und sie blüht auf, als sie ihre Gaben im seelsorgerlich-therapeutischen Bereich einsetzen darf. «Gott erstattete mir die Jahre, welche 'die Heuschrecken gefressen haben'», zitiert sie Joel Kapitel 2, Vers 25. Immer mehr erkennt sie Gottes Güte auf ihrem Weg. «Ich wurde lebensfähig, lebenstüchtig, selbständig – inmitten einer Schwesterngemeinschaft, meiner heilenden Gemeinschaft.» Sie darf Seelsorge und externe Psychotherapie in Anspruch nehmen. Und sie wird geliebt, geschätzt, geachtet – eine Wohltat.
Herzenswunsch erhört
Insgeheim wünscht sich Heidi aber immer, zu heiraten. Als sie fast 50 Jahre alt ist, spürt sie, dass Gott diesen Herzenswunsch erfüllen will. Sie lernt Kurt kennen, er hat eine schmerzhafte Scheidung hinter sich. Einen Geschiedenen wollte sie nie heiraten. Doch sie spürt, dass Gott sie dazu ermutigt. Heute sind die beiden schon über 20 Jahre verheiratet, leben im Berner Oberland und haben eine gute Beziehung zur Familie von Kurt.
Im Rückblick ist Heidi überzeugt: «Die Jahre in der Schwesterngemeinschaft waren das Beste, das mir geschehen konnte!» Der Lebensstil der Diakonissen – Beten, Arbeiten und Dienen – hat sie geprägt. «Er ist uns auch als Ehepaar wichtig – wir leben unsere Gebetszeiten, die persönlichen und die gemeinsamen, dienen bedürftigen Menschen und wir pflegen einen einfachen Lebensstil.» Sie gehören heute zum Freundeskreis der Diakonissen, dazu umfasst ihr persönlicher Freundeskreis auch Menschen an Randgruppen. Für Heidi und Kurt steht fest: «Jeder ist bei uns willkommen, wir teilen und geben gern.» Damit folgen sie bewusst dem Beispiel Jesu.
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