Wie können wir unsere Stimmen erheben?
Wie positioniert man sich als Christ in der Öffentlichkeit? Und: Auf welchen Kanälen tun wir dies? Über diese Fragen spricht Florian Wüthrich mit Benjamin Kilchör, Dozent an der STH, und dem ehemaligen Halleluja-Kolumnist Sam Urech.
Schluss mit Engagement in den sozialen Medien
«Ich bin jetzt seit acht Jahren selbständiger Kommunikationsberater», erzählt Sam. «Vor allem in den ersten Jahren dieser Selbständigkeit machte ich für verschiedene Firmen Social Media Auftritte.» In dieser Zeit veröffentlichte Sam insgesamt circa 2'500 Instagram-Posts. «Dabei merkte ich immer mehr, dass Social Media für mich eher etwas Befremdliches ist.»
Längere Zeit hatte er die Einstellung, dass man Social Media ja auch für etwas Gutes nutzen kann. Eine Sache wurde ihm aber zunehmend bewusst: «Wenn es einen Knopf geben würde, mit dem man Social Media weltweit entfernen könnte, würde ich diesen Knopf sofort drücken. Da stellte sich natürlich die Frage: Weshalb mache ich da überhaupt noch mit?»
Inzwischen bietet er Kunden keine Social-Media-Auftritte mehr an und machte auch privat einen Schlussstrich. «Ich habe meine Accounts nicht gelöscht», räumt er ein – wer seine alten Beiträge anschauen will, kann dies noch immer tun. Mit seinem Engagement, Menschen über Social Media zu erreichen, hat Sam hingegen aufgehört. In seinen Augen müsste Social Media viel kritischer betrachtet und sogar bekämpft werden.
Smalltalk über Social Media ist langweilig
«Ich hatte nie einen Facebook Account», erzählt Benjamin. «Instagram und TikTok erst recht nicht.» In jungen Jahren hätte ihn Small-Talk über soziale Medien gelangweilt und seine ersten Erfahrungen mit einer sozialen Plattform empfand er als befremdlich – dies war in der Zeit, bevor Facebook aufkam.
Heute blickt Benjamin grundsätzlich kritisch auf die Social-Media-Welt. «Dahinter stehen riesige Konzerne, welche Daten sammeln.» Das Thema fasst er mit folgenden Worten zusammen: «Wenn man im Internet für ein Produkt nichts bezahlen muss, ist man nicht der Kunde, sondern das Produkt.»
Durchaus sehe Benjamin die Stärke, abseits der üblichen Kanäle Meinungen zu hören, die man sonst nicht entdecken würde. Interessant findet er aber auch, wie Persönlichkeiten, die er aufgrund ihres öffentlichen Auftretens respektiere, ihr Ansehen aufgrund banaler Äusserungen in sozialen Medien – zu jedem erdenklichen Thema – verlieren. Abgesehen von seinem YouTube-Kanal hätte sich Benjamin nie in sozialen Medien engagiert.
Internet oder Begegnung mit den Nachbarn
Schon öfters sei Sam bewundernd gefragt worden, wie er sich in der breiten Öffentlichkeit für Jesus positionieren könne. Er relativiert dies schnell, indem er darauf hinweist, dass es viel herausfordernder sei, dem Nachbarn von Jesus zu erzählen und ihm den Glauben vorzuleben. «Das Öffentliche ist gut und auch Jesus hat es nicht gescheut.» Sam hält jedoch fest, dass das Vorleben im kleinen Rahmen die grösste Kraft in sich trage. «Böse Kommentare oder Mails zu erhalten ist eine Sache. Wenn dich aber der Nachbar nicht mehr grüsst, weil du an Jesus glaubst, geht das viel tiefer.» Sam empfiehlt allen, ihren Glauben in ihrem Umfeld zu bezeugen und vorzuleben. Er glaubt, dass dies kraftvoller ist, als eine Kolumne zu schreiben.
Entsprechend persönlichen Fähigkeiten und Neigungen
«Ich habe schon lange eine Faszination für die intellektuelle Debatte, auch gesellschaftspolitisch», stellt Benjamin fest. Er erzählt, wie er immer gerne geschrieben habe und schon als Student als freier Journalist arbeitete. Auch heute leistet er gerne schriftliche Beiträge zu aktuellen Geschehnissen. Als beispielsweise in der Weltwoche ein deutscher Professor behauptete, Jesus sei zwar gekreuzigt worden, habe dies aber überlebt, sei daraufhin nach Ägypten geflüchtet und habe von dort aus einen Aufstand angeführt, habe er der Weltwoche geschrieben und um die Möglichkeit einer Gegendarstellung gebeten. «Zwei Wochen später schrieb ich diese.» Auf solche Situationen zu reagieren, mache ihm Freude.
Auch Sam reagiert zuweilen mit einem Text aufs Zeitgeschehen. Er sei in der glücklichen Lage, bei nau.ch oder auch Livenet anfragen zu dürfen, ob er über deren Kanäle etwas kommunizieren könne. In diesem Sinne sei es auch nicht falsch, über soziale Medien eine Stellungnahme abzusetzen – auch wenn Sam diesen Weg nicht mehr beschreitet.
Benjamin erwähnt seinen persönlichen Vorteil, Redaktionen als Experte anschreiben zu können. Hierzu genüge es, Anfragen über das Mail der STH mit der entsprechenden Signatur zu schreiben. «Meine Professur ist ein Türöffner.»
Cancel Culture und offene Türen
Im Talk geht es auch um Cancel Culture. Sich zu gewissen Themen öffentlich zu äussern, könne immer einen Shitstorm auslösen. Benjamin erwähnt, dass er dabei oftmals viele dankbare Reaktionen erhalte. Widerstand und angriffige Kommentare kennt er zwar auch, diese befänden sich aber «im ertragbaren Bereich».
Wie können wir Themen zu den Menschen bringen? Auf diese Frage gibt Sam eine einfache Antwort: «Man schaut, wo sich eine Türe öffnet und nimmt diese. Öffnet sich die Türe zum Nachbarn, um mit ihm über Jesus zu reden, dann gehen wir zum Nachbarn.» Es öffnen sich Türen aufgrund beruflicher Qualifikation oder, wie in seinem Fall, durch die Möglichkeit, Kolumnen zu schreiben. In einer Zeit des Wertezerfalls, sei es wichtig, die Stimme zu erheben. «Als Christen haben wir starke Werte und diese sind es wert, dass wir für sie stehen – und dabei auch einen Shitstorm in Kauf nehmen.»
Sehen Sie sich hier den Talk an:
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