Dankbar in den Tag starten
Manche schaffen es, morgens noch vor dem Wecker aufzuwachen, und direkt aus dem Bett zu springen. Andere wundern sich, dass ihr Handy nur vier Weckwiederholungen hat, denn Aufstehen ist für sie ein Prozess, der locker eine dreiviertel Stunde dauern kann. Menschen sind eben unterschiedlich. Aber egal, ob du eine Eule bist oder eine Lerche, wie die verschiedenen Chronotypen umschrieben werden: Du kannst deinem Aufstehen einen deutlichen Mehrwert geben. Es ist wesentlich mehr als der Wechsel von der Horizontalen in die Senkrechte, das Einflössen von Kaffee und der Beginn der Arbeit. Wie wäre es mit einem kurzen «Blick nach oben»? Einem Innehalten und Ausrichten auf Gott? Nicht umsonst hat dies in der jüdisch-christlichen Welt eine lange Tradition. Du kannst dabei eine eigene Form finden, die für dich und deine Situation passt, oder du kannst dich an dem orientieren, was andere über die Jahrhunderte entwickelt haben.
Mode Ani – ich bedanke mich
Hintergrund dieser jüdischen Tradition ist das Denken, dass «jede Nacht unsere Seele hinauf in den Himmel fährt, um wieder aufzuladen. Jetzt am Morgen entschied G-tt, unsere Seele zurück in den Körper und wieder die Möglichkeit zum Leben zu geben». So erklärt es die jüdische Website chabad.org. Damit ist der Start in den Tag so etwas wie eine Geburt, ein wiederholtes Annehmen des Lebens, das Gott dir jeden Morgen neu schenkt. Deshalb beten viele jüdische Männer noch vor dem Aufstehen: «Mode ani lefanecha…» (Bei Frauen klingt es sehr ähnlich: «Moda ani lefanecha…»). Das Dankgebet bedeutet: «Ich danke dir, König, Lebender und immer Bestehender, dass du mir in Barmherzigkeit meine Seele wiedergegeben hast, gross ist deine Treue.» Dies ist ein Zitat aus der jüdischen Bibel, dem christlichen Alten Testament; es steht in den Klageliedern Jeremias, Kapitel 3, Vers 22-23: «Gnadenbeweise des Herrn sind’s, dass wir nicht gänzlich aufgerieben wurden, denn seine Barmherzigkeit ist nicht zu Ende; sie ist jeden Morgen neu, und deine Treue ist gross!»
Luthers Morgensegen – ich danke dir
Martin Luther ist für lange Texte und ausführliche Unterhaltungen bekannt. Allerdings konnte der Reformator auch kurz. Bei seinem vollen Terminkalender und einer Familie mit sechs Kindern war nicht immer Zeit für langatmige geistliche Übungen. So klingt Luthers Morgensegen nicht gehetzt, aber doch kompakt – eben alltagstauglich. «Des Morgens, wenn du aufstehst, kannst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes», beginnt er, spricht dann vielleicht ein Vaterunser und schliesst seinen Morgensegen an: «Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, dass du mich diese Nacht vor allem Schaden und Gefahr behütet hast, und bitte dich, du wollest mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel, dass dir all mein Tun und Leben gefalle. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.» Danach empfiehlt er: «Alsdann mit Freuden an dein Werk gegangen und etwa ein Lied gesungen oder was dir deine Andacht eingibt.»
Bonhoeffers Morgengebet – zu dir rufe ich
Der bekannteste Pfarrer Deutschlands war davon überzeugt: «Das Gebet in der Frühe entscheidet über den Tag.» So verfasste Dietrich Bonhoeffer Weihnachten 1943, als er bereits inhaftiert war, ein Morgengebet für seine Mitgefangenen, das zeigt, wie er selbst in den Tag ging: «Gott, zu dir rufe ich in der Frühe des Tages. Hilf mir beten und meine Gedanken sammeln zu dir; ich kann es nicht allein. In mir ist es finster, aber bei dir ist das Licht; ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht; ich bin kleinmütig, aber bei dir ist die Hilfe; ich bin unruhig, aber bei dir ist der Friede; in mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist die Geduld; ich verstehe deine Wege nicht, aber du weisst den Weg für mich. … Herr, was dieser Tag auch bringt, dein Name sei gelobt!»
Kein Mantra, aber eine Hilfe
Es gibt verschiedenen Formen, um mit Gott in den Tag zu starten. Ob du Luthers Morgensegen auswendig kennst und täglich zitierst oder sagst: «Guten Morgen Gott, schön, dass du schon da bist…», während dein Kopf noch auf dem Kissen liegt. Diese Gebete oder Segensgedanken sind nicht selbstwirksam, sie sind kein Mantra, das unabhängig von deiner eigenen Einstellung «wirkt». Allerdings helfen dir solche Formulierungen dabei, darüber klarzuwerden: Gott ist da. Heute. Immer.
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