Was kann und sollte ich tun in unserer Zeit?
Wie so oft habe ich in den letzten Monaten die Verunsicherung von Menschen fast körperlich gefühlt. Angesichts bunter Wahlplakate und schneidiger Parolen wurde das auch nicht besser. Und dann fiel genau auf diesen Plakaten dennoch auf, was wohl die Menschen ersehnen. Immer wieder sah man da: «Frieden», «Sicherheit», «Respekt», «Zukunft», «Gemeinsam», «Zuversicht».
Doch: Was ist die Aufgabe von Christen in verunsichernden politischen und gesellschaftlichen Zeiten? Was lässt sich aus der Bibel und der christlichen Tradition ableiten? Eine grundlegende Voraussetzung ist dabei ganz massgeblich unser Fundament beziehungsweise unser Blick auf uns selbst und unsere Welt, kurz: Der Blick auf unsere Haltung. Es stellen sich gleich mehrere Fragen.
Eine Frage der Haltung
Erstens: Kennen wir Jesus? Wissen wir noch, was er mit und für uns getan hat und woher wir kommen? Schätzen wir die Kindschaft und die Gnade noch – oder wurde das inzwischen selbstverständlich oder gar banal? Jeder kann sich da mal den Puls fühlen.
Und zweitens: Wohin schauen wir überhaupt? Ist es, wie bei vielen um uns herum, immer das Negative? Soziologen haben herausgefunden, dass wir siebenmal mehr negative Nachrichten bevorzugen als positive. Dann natürlich auch die Fragen: Was darf uns prägen? Worauf liegt unser Augenmerk? Ein Beispiel aus der Bibel zeigt uns diesen Blick: Paulus sitzt im Knast und bekommt die Nachricht, dass andere aus egoistischen Gründen das Evangelium predigen. Seine Reaktion: Hauptsache das Evangelium wird gepredigt. Er sieht das einzig Positive daran. Die Bibel schenkt uns viele weitere solcher besonderen Blicke: Etwa im Philipperbrief 4, da steht im Vers 8: «Schauet auf das wahrhaftige, edle, vollkommene … darauf sei euer Augenmerk!»
Mit welcher Haltung sehen wir also auf die Welt und die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft? Ist es der getrübte Blick von Verallgemeinerungen und Unterstellungen, gespeist von Vorurteilen und Unkenrufen? In meinen Jahren als Politiker wie auch als Vorstand der Deutschen Evangelischen Allianz habe ich leider oft keinen grossen Unterschied bemerkt in den Blicken und Worten zwischen Christen und dem Rest der Gesellschaft, so sie sich auf die Herausforderungen unserer Zeit beziehen. Manchmal täte uns allen ein gewisser Filter, ein «Wächter vor unserem Mund» wahrlich gut (Psalm 141, Vers 3). Christen haben auf Basis dieser positiven Grundhaltung einen Auftrag. Sechs Aspekte möchte ich nun nennen:
1. Hoffnung und Vertrauen auf Gott bewahren
Als Christen sollen wir uns nicht von Angst leiten lassen, sondern auf Gottes Souveränität vertrauen (Jesaja Kapitel 41, Vers 10; Philipper Kapitel 4, Verse 6-7). Das gehört für mich zur Frage unseres Fokussierens.
Wir sind aufgerufen, eine Perspektive der Hoffnung und des Friedens in die Gesellschaft einzubringen (Römer Kapitel 15, Vers 13). Was folgt also aus unserer Wahrnehmung? Welche Urteile nehmen wir an und welche Worte lassen wir aus unserem Mund und teilen sie womöglich in den Sozialen Medien? Hier haben wir noch einiges an Potenzial – in Richtung Hoffnung.
2. Für Gerechtigkeit und Nächstenliebe eintreten
In Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheiten sollen wir als Christen aktiv für Gerechtigkeit eintreten, insbesondere für die Schwachen und Benachteiligten (Micha Kapitel 6, Vers 8; Matthäus Kapitel 25, Verse 35-40).
Christliche Nächstenliebe, die sogenannte Agape, zeigt sich in konkretem Handeln gegenüber Mitmenschen (Lukas Kapitel 10, Verse 25-37). Dazu müssen wir uns den Mitmenschen aber auch aussetzen – und nicht nur denen, die vermeintlich einfach im Umgang sind. Gerade die Schwachen und Ausgegrenzten brauchen unsere Aufmerksamkeit. Vieles an unserer Haltung wird sich sehr schnell ändern, wenn wir mehr in Berührung (buchstäblich) kommen mit unserer Gesellschaft.
3. Frieden stiften
Jesus lehrte: «Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heissen» (Matthäus Kapitel 5, Vers 9). Als Christen sollen wir Brücken bauen, Versöhnung fördern und nicht zur Spaltung beitragen (Römer Kapitel 12, Vers 18). Worte machen hier einen grossen Unterschied. Dabei ist es wichtig zu bemerken, dass man Frieden nur dort stiften kann, wo Streit und Krieg ist. Wo gehören wir also hin?
4. Die Wahrheit bezeugen
In Zeiten von Desinformation und Unsicherheit sind Christen aufgerufen, sich an der Wahrheit zu orientieren und sie in Liebe weiterzugeben (Epheser Kapitel 4, Vers 15). Wir dürfen uns nicht von Ideologien oder Manipulation vereinnahmen lassen, sondern sollen weise und prüfend handeln (1. Thessalonicher Kapitel 5, Vers 21).
5. Für die Regierung und Gesellschaft beten
Die Bibel fordert uns Christen auf, für unsere Regierung und die Gesellschaft zu beten (1. Timotheus 2,1-2).
Dies bedeutet nicht blinde Zustimmung oder ein pauschales «der Herr segne sie», sondern ein Gebet um Weisheit und Gerechtigkeit für Entscheidungsträger. Demokratie braucht uns nicht nur am Wahltag, sondern weit darüber hinaus. Hier sollten wir mit einer Kultur der Wertschätzung und Achtung einen Unterschied machen. Als mündige Bürger – auch im Wissen um den paulinischen Auftrag, sich unterzuordnen – kann dies dennoch heissen: In Fällen der oppositionellen Meinung dies dann nicht nur im Gebet und in Gesprächen, sondern auch direkt an die Politiker heranzutragen. Auch das gehört nach meinem Verständnis in einer Demokratie zur Haltung und Unterordnung im Geiste der Bibel.
Aber auch hier geht es in erster Linie um die Haltung beim Gebet. Prüfen wir uns gut, ob wir nur für «die da oben» beten, weil es in der Bibel steht. Oder mit der ehrenden Einstellung, dass diese ja (auch von Gott) eingesetzt sind und eine riesige Verantwortung übernommen haben.
6. Mutig Glauben leben
Christen sollen ihr Licht leuchten lassen und als Salz der Erde wirken (Matthäus Kapitel 5, Verse 13-16). Gerade in Krisenzeiten haben wir besonders die Möglichkeit, durch gelebten Glauben ein Zeugnis für Christus zu sein. Hier dürfen wir beweisen, ob wir tatsächlich Gene Gottes in uns tragen und ‚wider den Zeitgeist‘ reden und handeln können. Hoffnung, Liebe, Frieden und Freude dürfen nicht nur in unserem Glaubensbekenntnis zentral vorkommen – sie müssen auch in der Art und Weise, wie wir uns in die Gesellschaft einbringen, sichtbar werden. Das gilt umso mehr, wenn wir mit Entscheidungsträgern in Kontakt treten.
Unsere Aufgabe
Diese sechs Punkte zeigen auf, dass die Aufgabe von uns Christen darin besteht: Hoffnung und Vertrauen in Gott zu bewahren, aktiv für Gerechtigkeit und Frieden einzutreten, die Wahrheit zu bezeugen, für die Gesellschaft zu beten und unseren Glauben authentisch und mutig zu leben.
Zum Autor:
Frank Heinrich war in den vergangenen 2,5 Jahren Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz. Von 2009 bis 2021 war er Abgeordneter des Deutschen Bundestags.
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