Wie jüdisch-hebräische Begriffe unsere Sprache prägen

Ein sechszackiger Stern ist ein Symbol des Judentums
Weit über 100 deutsche Wörter sollen ihre Wurzeln im Jiddischen haben. Wer ihnen nachgeht, macht interessante Entdeckungen.

«Der Grosskotz hat mich abgezockt, als ich nach dem Knast in das Kaff gezogen bin.» Mal abgesehen davon, dass wir nicht wissen, ob diese Behauptung stimmt, zeigt ein zweiter Blick: Fast alle Begriffe in diesem Satz stammen aus dem Jiddischen. Einigen hört man ihre Herkunft deutlich an, aber hättest du gedacht, dass nicht nur Worte wie «meschugge», also verrückt, jiddischen Ursprungs sind, sondern auch der etwas abergläubisch klingende Wunsch «Hals- und Beinbruch»? Wie bei vielen anderen Ausdrücken spielen Gott und der Glaube an ihn dabei oft eine wichtige Rolle.

Jiddisch – Sprache ohne Land

Jiddisch ist eine germanische Sprache, die mit hebräischen Schriftzeichen geschrieben wird, also von rechts nach links. Sie wird von Juden auf der ganzen Welt in verschiedenen Dialekten gesprochen. Ihr Ursprung liegt im Südwesten Deutschlands im 9. bis 12. Jahrhundert, bekannt ist sie aber hauptsächlich aus Osteuropa. Es gibt momentan ca. eine Million Sprecherinnen und Sprecher dieser Sprache. Auch wenn jiddische Literatur existiert, sind doch in erster Linie Lieder bekannt wie «Dos Kelbl», das als «Dona Dona» von Joan Baez und Donovan berühmt wurde. An der Universität Trier kann man übrigens sogar Jiddistik studieren.

Jiddische Redewendungen

Einige hebräische Wörter haben in ihrer jiddischen Form Eingang in die deutsche Sprache gefunden. Jemand spricht «Tacheles», wenn er Klartext redet. Was abfällig als «Mischpoke» bezeichnet wird, meint ursprünglich einfach Familie (hebr. mischpacha). Und dass das Durcheinander im Kinderzimmer ein «Tohuwabohu» ist, hängt mit den ersten Worten der Bibel zusammen, in denen die Erde als «wüst und leer» (hebr. tohu vavohu) beschrieben wird. Nicht so offensichtlich sind die folgenden Redewendungen:

«Es zieht wie Hechtsuppe»

Wenn das Fenster nicht geschlossen oder die Tür noch einen Spalt geöffnet ist, dann «zieht es hier wie Hechtsuppe». Doch was soll das bedeuten? Zieht ein Hecht etwa? Weht es in seinem Teich? Die scheinbare sinnfreie Redewendung erschliesst sich nur über ihre jiddischen Wurzeln, denn wenn es zieht wie ech suphe, dann heisst das auf Jiddisch «wie Sturm» – und ergibt wieder Sinn.

«Schmiere stehen»

Wenn zwei Kinder etwas anstellen wollen, muss das dritte «Schmiere stehen». Dasselbe gilt für die erwachsene professionelle Variante beim Bankraub. Dabei wird allerdings niemand eingeschmiert, sondern «schmieren» kommt vom hebräischen sch’mira, jiddisch Schmire und bedeutet «Wache». Deshalb wird in einigen Regionen die Polizei noch heute «Schmiere» genannt – was so seit 1899 in Grimms Deutschem Wörterbuch steht.

«Guten Rutsch»

Wer sich heute zu Silvester einen guten Rutsch wünscht, meint natürlich keinen Heimweg bei Minusgraden und Strassenglätte. Man wünscht seinem Gegenüber einfach einen guten Start ins neue Jahr – dasselbe bedeutet der jiddische Ursprung der Redewendung, die auch dort nichts mit Rutschen zu tun hat. Man wünschte sich einfach ein gutes Rosch ha’Schana, das jüdische Neujahr.

«Der Pleitegeier»

In Deutschland wurde der Bundesadler im Wappen schon als Pleitegeier bezeichnet – er wurde im Laufe der Zeit unterschiedlich dick dargestellt. Viele verbinden den Ausdruck direkt mit dem Pfandsiegel des Gerichtsvollziehers, dem «Kuckuck», auf dem früher ein Adler abgebildet war. Doch auch dieser Ausdruck stammt aus dem Jiddischen. Dort war ein Plejte Gejer jemand, der auf der Flucht vor seinen Gläubigern war (plejte ist «die Flucht» und ein gejer ist ein «Geher» oder «Läufer»). Zusammen mit dem Begriff des Geiers veränderte sich das gesamte Sprachbild, denn heute kann dieser Pleitegeier sogar über einem kreisen.

«Hals- und Beinbruch»

Das wünscht man sich, wenn man sich das nicht wünscht. Ironisch und etwas abergläubisch nennt man diese Folgen vor Prüfungen oder Wettbewerben, um dem anderen alles Gute für seine Herausforderungen zu wünschen. Auch dieser Ausdruck hat ursprünglich weder etwas mit Körperteilen noch mit ihrem Bruch zu tun. Aus dem hebräischen hazlacha uwracha («Erfolg und Segen») wurde das jiddische hatsloche un broche, das schliesslich in Hals- und Beinbruch verballhornt wurde.

So sind es oft Missverständnisse und Fehlübersetzungen, die durch Bibelverse, Gaunersprache und Dialektausdrücke auch unsere Sprache mitgeprägt haben. Gut, dass sie bis heute erhalten sind und damit einiges von der jüdischen Kultur transportieren. Da haben wir echt Massel gehabt (masel = «Glück»).

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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