Über Ostern sterben dürfen
Von Anfang an fiel er auf: Er ging zu Fuss, verzichtete auf viel – mit seinem Amt verbundenen – Pomp und bat bereits bei seiner Einführungspredigt: «Betet für mich». Von evangelischen Christen aus dem Raum der Evangelischen Allianz wurde er begrüsst und manchen lernten ihn persönlich kennen, so WEA-Generalsekretär Thomas Schirrmacher, SEK-Präsident Gottfried Locher oder der Leiter von Campus für Christus, Andreas «Boppi» Boppart. Zu den Pfingstgemeinden – immerhin eine starke Kraft in Südamerika –, aber auch zu der orthodoxen Kirche baute er Brücken: Als erster Papst seit 1'000 Jahren traf er den russisch-orthodoxen Patriarchen. Er entschuldigte sich für Fehler der Vergangenheit und bat zum Beispiel auch Indigene in Kanada um Vergebung für Fehler der Kirche.
Jesus-Liebhaber
Franziskus liebte Jesus. Das betonte er immer wieder. Seine Priesterschaft ermahnte er wiederholt, diese Priorität nicht zu verlieren und sich immer wieder auf Jesus einzulassen. Nur so könne man die geistliche Salbung behalten und angesichts der vielen Versuchungen des kirchlichen Amtes nicht «schmierig» werden – ein wunderbares Wortspiel. Er widersprach dem Papst-Dogma und erklärte: «Ich bin Sünder und fehlbar.» Was die Errettung anbetraf, vertrat er eine geradezu reformatorische Position: Sie ist umsonst. Die Bibel war für ihn ein «Buch wie Feuer», und seine seelsorgerlichen Ratschläge sind für Christen aller Konfessionen aktuell, zum Beispiel «Fünf Lektionen zum heiligen Leben im Alltag».
Aus seiner Jesus-Liebe heraus kam auch ein starkes missionarisches Bewusstsein, das über rein katholisch-konfessionelle Erhaltungsbemühungen hinausging.
Sozial progressiv …
Franziskus ermahnte – seiner Herkunft und seinem Namensvorbild entsprechend – die Kirche dazu, Kirche für die Armen zu sein. Immer wieder setzte er sich für die Ärmsten ein – eine Überzeugung, die er durch seinen persönlichen Lebensstil unterstrich. Er forderte einen «mutigen Wandel im Umgang mit der Finanzwirtschaft» und mischte sich etwa auch im WEF in Davos mit der Forderung nach einem «erneuerten, tiefgreifenden und erweiterte Sinn für Verantwortung bei allen» ein – einer Erneuerung, die ohne transzendenten Bezug nicht möglich sei.
… und ethisch konservativ
In Fragen der Sexualität und Familie erfüllte er viele «progressive» Erwartungen nicht: Er stellte sich wiederholt hinter die «Märsche fürs Leben», konnte Abtreibung auch schon mal als «Euthanasie mit weissen Handschuhen» bezeichnen. Er warb um Verständnis für homosexuelle Menschen, lehnte aber die gleichgeschlechtliche «Ehe» konsequent ab und kritisierte, dass die Homoehe als Kriterium für Finanzleistungen an Drittweltländer betrachtet wird. Er hat sich immer wieder mit Fragen um Ehe und Familie beschäftigt und dazu auch christliche Stimmen aus anderen Konfessionen konsultiert und berücksichtigt.
Das Recht auf Leben interpretierte Papst Franziskus nicht nur als Schutz gegen die willkürliche Tötung; im weiteren Sinne gehörten dazu Fragen von Gerechtigkeit und Sicherheit, Umwelt, Abrüstung, Frieden und eine umfassende Gesundheitspolitik. Er setzte sich leidenschaftlich für umfassende menschliche Werte ein und warnte wiederholt junge Menschen vor dem Konsumzwang, der versklavt.
Nicht vollkommen …
Wie er selbst zugab, kann sich auch ein Papst irren. Viele haben seinen zu naiven und offenen Umgang mit dem Islam als «Kapitulation» und damit zusammenhängend seine seine kritische Haltung zu Israel kritisiert – bis hin zu der kürzlichen Episode, als er an Weihnachten 2024 eine Jesusfigur auf dem schwarz-weissen Palästinensertuch im Vatikan betrachtete (die allerdings einen Tag später entfernt wurde). Angesichts des Terrors in Israel rief er zu weltweitem Beten und Fasten auf.
… aber jetzt vollendet
Den einen ging er zu weit, anderen nicht weit genug. Er war der «menschlichste» Papst bisher, was wohl aus seinem tiefen privaten Umgang mit Gott kommt. Jorge Mario Bergoglio war ein spannender Mensch mit grossem Einfluss auf Millionen in spannungsvollen Zeiten.
Er spendete seinen letzten Segen «Urbi et Orbi» vor Zehntausenden am Ostersonntag und erlag am Montagvormittag einem Schlaganfall mit Herzversagen.
Schrieben wir zu Anfang «Papst Franziskus ist nicht mehr»? Richtig: Er ist kein Papst mehr. Aber er ist noch. Dank Ostern.