Arzt und Forscher René Hefti

Gottesbeziehung ist heilsam

Jesus machte bei Heilungen den Zusammenhang zwischen körperlicher, spiritueller und psychischer Gesundheit deutlich. Seit drei Jahrzehnten geht ein medizinischer Forschungszweig diesen Zusammenhängen nach. Wir sprachen mit dem Arzt und Forscher René Hefti.
René Hefti an seinem Arbeitsplatz (Bild: Fritz Imhof)

In welchem Forschungsprojekt sind Sie persönlich engagiert?
René Hefti: Im Moment bin ich an einem grossen Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Universität Basel engagiert. Dabei geht es um den Einfluss von Spiritualität, Sinnhaftigkeit und Wohlergehen auf die Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass positive psychosoziale Faktoren wie Sinn, Zufriedenheit und gute Beziehungen einen nachweisbaren Effekt auf Herzinfarkte und Herztod haben.

Ein Kongress hat kürzlich die neuesten Forschungsergebnisse über die Zusammenhänge von Spiritualität und Gesundheit präsentiert. Welches sind die interessantesten?
Der Themenschwerpunkt des online durchgeführten internationalen Kongresses war «Aging, Spirituality and Health». Es ging also um die Bedeutung der Spiritualität für das Altern. Hier zeigen Studien aus Belgien, dass Sinnhaftigkeit in Bezug auf das eigene Leben ein wesentlicher Faktor für ein gutes und gesundes Altern ist. Das gilt auch für jene, die eine Alzheimerkrankheit entwickeln. Eindrücklich sind auch Ergebnisse aus den USA, welche die Bedeutung des Gottesdienstbesuches im Langzeitverlauf untersucht haben. Gottesdienst wurde dabei als Teilhabe an einer religiösen Gemeinschaft verstanden. In diesem Sinne ist Gottesdienstbesuch ein Mass für soziale Integration. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Teilhabe ein starker Faktor für Gesundheit und langes Leben ist. Das gilt gleichermassen auch für psychische Gesundheit. In einer religiösen Gemeinschaft integrierte Personen neigen weniger zu Altersdepressionen und Suiziden.

Spiritualität ist ein sehr weiter Begriff und hat viele Facetten.
Ja, das ist so. Für die persönliche Betreuung und Begleitung von Menschen ist das ein Teil des Reichtums der Thematik. Hier geht es darum, zu verstehen, was Spiritualität, also Glaube und Religiosität, für den Einzelnen bedeutet – und dabei Ressourcen und Belastungsfaktoren zu identifizieren. Im Forschungskontext muss Spiritualität aber klar definiert werden, wobei sich Spiritualität, die sich an religiösen Traditionen orientiert, viel klarer definieren lässt. Eine Ausrichtung auf Gott hin, wie sie den monotheistischen Traditionen Christentum, Judentum und Islam gemeinsam ist, schafft einen klaren Transzendenzbezug, der das Kernelement des religiösen Glaubens ist. Dieser Transzendenzbezug fehlt in säkular ausgerichteten Formen von Spiritualität und macht den Begriff unscharf. Spiritualität wird dann oft mit positiven Emotionen wie Frieden und Verbundenheit assoziiert.

Macht hier auch das jeweilige Gottesbild einen Unterschied?
Ja. Hier hebt sich das personale Gottesbild des Christen- und Judentums von anderen religiösen Traditionen ab. Ein Forschungszweig, der sich mit dieser Thematik befasst, ist das «God Attachment». Hier wird die Bindungstheorie, die die Interaktion zwischen Mutter und Säugling untersucht, auf die Gottesbeziehung übertragen. Die Gottesbeziehung wird als eine Bindungsbeziehung verstanden, die haltgebend ist und korrigierende Beziehungserfahrungen ermöglicht, was im seelsorgerlichen und psychotherapeutischen Kontext von zentraler Bedeutung ist. Die Gottesbeziehung bekommt damit heilsamen, aber auch verbindlichen Charakter.

Wie weit sind die Forschungsergebnisse im klinischen Alltag relevant?
In der Klinik SGM führen wir im Rahmen unseres Forschungsinstitutes regelmässig Studien zur Bedeutung von Religiosität und Spiritualität im therapeutischen Kontext durch. Im Rahmen einer Masterarbeit haben wir die Bedeutung der «religiös motivierten» Dankbarkeit bei psychiatrischen Patienten untersucht und konnten zeigen, dass diese im Sinne einer Ressource den Behandlungsverlauf günstig beeinflusst. In einem weiteren Projekt, das gerade angelaufen ist, wollen wir herausfinden, welche Faktoren einem ungünstigen Behandlungsverlauf (Non-Responders) zugrunde liegen und welche Bedeutung dabei «religiöse Einstellungen» haben. Auch das ist klinisch sehr relevant.

Was ist Ihrer Meinung nach die Konsequenz aus den Forschungsergebnissen?
Wenn man die mittlerweile umfangreichen Forschungsergebnisse ernst nimmt, müsste man eigentlich Glauben «verschreiben». Das ist aber weder praktikabel noch ethisch vertretbar. Es ist ja gerade ein Wesenszug des Glaubens, dass er auf einer freiwilligen Entscheidung basiert. Auch geht es im Glauben nicht primär um Gesundheit, sondern um «Nachfolge». Wenn ich also glaube, um gesund zu werden, wäre das eine Umkehr der Prioritäten.

Welchen Nutzen können Kirchen aus den Forschungsergebnissen ziehen?
Für die Kirchen ergibt sich ein dreifacher Nutzen: Erstens sind die positiven Auswirkungen des Glaubens auf die Gesundheit eine Ermutigung für einen konsequenten religiösen Lebensstil. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf das Altern. Die Effekte des Glaubens auf die Gesundheit sind Langzeiteffekte! Zweitens können die Forschungsergebnisse den Kirchen Hinweise geben auf gesunde und ungesunde Glaubensformen oder Praktiken. Und drittens können sich die Kirchen am allgemeinen «Gesundheitsauftrag» beteiligen und «Gesundheitsdienst» anbieten, gerade dort, wo das öffentliche Gesundheitswesen Lücken hat.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin Idea Schweiz.

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Datum: 15.07.2021
Autor: Fritz Imhof / idea
Quelle: idea Schweiz

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