Gottesbeziehung ist heilsam
In welchem Forschungsprojekt
sind Sie persönlich engagiert?
René Hefti: Im Moment bin ich an einem grossen Forschungsprojekt
in Zusammenarbeit mit der Universität Basel engagiert.
Dabei geht es um den Einfluss von Spiritualität, Sinnhaftigkeit und Wohlergehen
auf die Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass positive psychosoziale Faktoren wie
Sinn, Zufriedenheit und gute Beziehungen einen
nachweisbaren Effekt auf Herzinfarkte und Herztod haben.
Ein Kongress hat
kürzlich die neuesten Forschungsergebnisse über die Zusammenhänge von
Spiritualität und Gesundheit präsentiert. Welches sind die interessantesten?
Der Themenschwerpunkt des online durchgeführten internationalen Kongresses war «Aging, Spirituality and Health». Es ging also um die Bedeutung der Spiritualität für das
Altern. Hier zeigen Studien aus Belgien, dass Sinnhaftigkeit
in Bezug auf das eigene Leben ein wesentlicher Faktor für ein gutes und
gesundes Altern ist. Das gilt auch für jene, die eine Alzheimerkrankheit
entwickeln. Eindrücklich sind auch Ergebnisse aus den USA, welche die Bedeutung
des Gottesdienstbesuches im Langzeitverlauf untersucht
haben. Gottesdienst wurde dabei
als Teilhabe an einer religiösen Gemeinschaft verstanden. In diesem Sinne ist
Gottesdienstbesuch ein Mass für soziale Integration. Die Ergebnisse zeigen,
dass diese Teilhabe ein starker Faktor für Gesundheit und langes Leben ist. Das
gilt gleichermassen auch für
psychische Gesundheit. In einer religiösen Gemeinschaft integrierte Personen
neigen weniger zu Altersdepressionen und Suiziden.
Spiritualität ist ein sehr weiter Begriff und hat viele Facetten.
Ja, das ist so.
Für die persönliche Betreuung und Begleitung
von Menschen ist das ein Teil des Reichtums der Thematik. Hier geht es darum,
zu verstehen, was Spiritualität, also Glaube und Religiosität, für den
Einzelnen bedeutet – und dabei Ressourcen und Belastungsfaktoren zu
identifizieren. Im Forschungskontext muss Spiritualität aber klar definiert
werden, wobei sich Spiritualität, die sich an religiösen Traditionen orientiert, viel
klarer definieren lässt. Eine Ausrichtung auf Gott hin, wie sie den
monotheistischen Traditionen Christentum, Judentum und
Islam gemeinsam ist, schafft
einen klaren Transzendenzbezug, der das
Kernelement des religiösen Glaubens ist. Dieser Transzendenzbezug fehlt in
säkular ausgerichteten Formen von Spiritualität und macht den Begriff unscharf.
Spiritualität wird dann oft mit
positiven Emotionen wie Frieden und Verbundenheit
assoziiert.
Macht hier auch das jeweilige Gottesbild einen Unterschied?
Ja.
Hier hebt sich das personale Gottesbild des Christen- und Judentums von anderen
religiösen Traditionen ab. Ein Forschungszweig,
der sich mit dieser Thematik befasst, ist das «God Attachment». Hier wird die
Bindungstheorie, die die Interaktion zwischen Mutter und Säugling untersucht,
auf die Gottesbeziehung übertragen. Die Gottesbeziehung wird als eine
Bindungsbeziehung verstanden, die haltgebend ist und korrigierende
Beziehungserfahrungen ermöglicht, was im seelsorgerlichen und
psychotherapeutischen Kontext von zentraler Bedeutung ist. Die Gottesbeziehung
bekommt damit heilsamen, aber auch verbindlichen Charakter.
Wie weit sind die
Forschungsergebnisse im
klinischen Alltag relevant?
In der Klinik SGM führen wir im Rahmen unseres Forschungsinstitutes
regelmässig Studien zur Bedeutung von Religiosität und Spiritualität im
therapeutischen Kontext durch. Im Rahmen einer Masterarbeit haben wir die Bedeutung der «religiös
motivierten» Dankbarkeit bei psychiatrischen Patienten untersucht und konnten
zeigen, dass diese im Sinne einer Ressource den Behandlungsverlauf günstig
beeinflusst. In einem weiteren Projekt, das gerade angelaufen ist, wollen wir
herausfinden, welche Faktoren
einem ungünstigen
Behandlungsverlauf (Non-Responders) zugrunde liegen
und welche Bedeutung dabei «religiöse Einstellungen»
haben. Auch das ist klinisch sehr relevant.
Was ist Ihrer Meinung nach die
Konsequenz aus den Forschungsergebnissen?
Wenn man die mittlerweile umfangreichen
Forschungsergebnisse ernst nimmt, müsste man eigentlich Glauben «verschreiben».
Das ist aber weder praktikabel noch ethisch vertretbar. Es ist ja gerade ein
Wesenszug des Glaubens, dass er auf
einer freiwilligen Entscheidung basiert. Auch
geht es im Glauben nicht primär um Gesundheit, sondern um «Nachfolge». Wenn ich also
glaube, um gesund zu werden, wäre das eine Umkehr der Prioritäten.
Welchen
Nutzen können Kirchen aus den Forschungsergebnissen
ziehen?
Für die Kirchen ergibt sich ein dreifacher Nutzen: Erstens sind die
positiven Auswirkungen des Glaubens auf die Gesundheit eine Ermutigung
für einen konsequenten religiösen
Lebensstil. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf das Altern. Die Effekte des
Glaubens auf die Gesundheit sind Langzeiteffekte! Zweitens können die
Forschungsergebnisse den
Kirchen Hinweise geben auf gesunde und ungesunde Glaubensformen oder Praktiken.
Und drittens können sich die Kirchen am allgemeinen «Gesundheitsauftrag»
beteiligen und «Gesundheitsdienst»
anbieten, gerade dort, wo das öffentliche Gesundheitswesen
Lücken hat.
Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin Idea Schweiz.
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Datum: 15.07.2021
Autor: Fritz Imhof / idea
Quelle: idea Schweiz