Hetze, Hass und Heiligkeit

Begegnungen in Chemnitz

So hatte Viola Focke sich das nicht vorgestellt. Ihr Pfarrer hatte der 55-jährigen Chemnitzerin geraten, den Kurs «Berufung konkret» von Campus für Christus zu besuchen. Er meinte: «Ich glaube, Gott hat noch etwas Grosses mit dir vor.» Und nun stand sie dort, wo kurz zuvor ein 35-jähriger Mann erstochen wurde und sprach mit Menschen über den Glauben.
Gedenkort Chemnitz
Viola Focke: «Jetzt macht es mir sogar Spass, loszuziehen und Leute von Jesus zu erzählen»
Demonstrationen Chemnitz

Der Herbst 2018 ging in die bundesdeutsche Geschichte ein. Vorausgegangen war eine Messerstecherei mit tödlichem Ausgang im August, die von vielen politisch instrumentalisiert wurde. Wochenlang berichteten die Medien über eine beispiellose Welle aus Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Sie erzählten von Gewalt, Hass, Generalverdacht und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Der ganzen Welt wurde ein hässliches Gesicht von Chemnitz präsentiert. Viola Focke macht das traurig.

Neues Engagement für Chemnitz

Viola kennt ihre Stadt und engagiert sich für sie. Bereits kurz nach dem Ende der DDR tat sie das als PDS-Mitglied im Stadtrat. Viel später kam die atheistisch geprägte Krankenschwester zum Glauben. Eine Freundin hatte sie zur Evangelisation ProChrist mitgenommen. Erst meinte sie noch: «Lass mich damit in Ruhe» und war sich sicher, dass sie weder an einem weiteren Abend kommen noch zu diesem Gott beten würde, doch am Schluss merkte sie: «Hier bin ich zu Hause!» (Livenet berichtete).

Viola startete in ein neues Leben. Eine Weile danach forderte ihr Pfarrer sie heraus, den Kurs «Berufung konkret» von Campus für Christus zu besuchen. Sie liess sich darauf ein. Ein wichtiger Teil des Kurses ist es, das Ansprechen anderer Menschen mit dem Evangelium zu lernen und ganz praktisch einzuüben. Das konnte Viola sich überhaupt nicht vorstellen. Doch sie überwand ihre anfängliche Furcht. Heute sagt sie: «Keine Ahnung, warum ich zuerst solche Bedenken hatte. Inzwischen macht es mir so viel Spass, dass ich auch allein losziehe und Fremde auf den Glauben anspreche. Ich tue das, weil ich für Jesus brenne und gar nicht anders kann, als von ihm zu erzählen.» Ihr neues Engagement für Chemnitz findet sehr oft in der Gegend statt, wo im Herbst 2018 die Unruhen begannen. Immer noch hat Viola den Eindruck: Gott hat hier etwas vor.

Freundlichkeit statt Hass

Zwischen Drogenszene und Karl-Marx-Denkmal, zwischen «Rechten» und «Linken», mitten in Chemnitz ist Viola regelmässig unterwegs. Sie spricht Menschen an, die ihr begegnen, und die ihr Gott aufs Herz legt. «Sie haben sich aber ein schönes Plätzchen ausgesucht», beginnt sie das Gespräch mit einer älteren Frau, die in der Sonne sitzt. Bereits nach wenigen Sätzen unterhält sie sich mit ihr über das Evangelium. Am Schluss kann sie sogar noch ein Gebet für sie sprechen. Sie unterhält sich mit einem türkischstämmigen jungen Mann. Schnell klagt er, dass sein Vater die Familie verlassen hätte – und dabei sogar den Gebetsteppich mitgenommen hätte: «Damit war der Glaube weg.» Viola fragt nach: «Könnte es sein, dass Gebet auch ohne diesen Teppich möglich ist? Dass es mehr als Allah gibt?»

Die ehrenamtliche Campus-Mitarbeiterin ist begeistert von den vielen positiven Reaktionen, die sie erhält. Natürlich will nicht jeder sofort mit Jesus leben, aber mit praktisch allen ergeben sich persönliche und tiefe Gespräche. Einmal spricht sie zwei Polizisten im Dienst an, nur um sich endlich mal eine Abfuhr, ein «Nein» zu holen. Wieder Fehlanzeige. Die beiden unterhalten sich lange mit ihr und gehen sogar eine christliche Meinungsumfrage mit ihr durch.

Gott bei den Menschen

Die Gewalt dieses Jahr hat etwas in Chemnitz verändert. Viola sagt: «Ich gehe anders durch die Stadt als früher. Vorsichtiger. Aber es ist mir wichtig, dass wir als Christen uns nicht verstecken. Dass wir Gesicht zeigen.» Eigentlich ist das typisch für Christen: hingehen und Menschen auf Jesus ansprechen. Doch in einer Situation wie in Chemnitz bekommt das Evangelium auf den Strassen noch eine ganz neue Dimension. Ein Pfarrer aus Sachsen kommt zu dem Schluss: «Die Gemeinde muss die Antwort haben. Wir dürfen sie nicht von der Stadt oder der Polizei erwarten.»

Dabei ist es sicher irreführend nur auf Städte wie Chemnitz zu schauen. Chemnitz ist überall. Und das Evangelium gehört tatsächlich (auch) auf die Strasse. Gottes Friedensangebot muss mitten hinein in den Unfrieden der Welt, ob das in Chemnitz ist oder in Kassel, in Zürich oder in Zug. Und die Kirchengeschichte unterstreicht eindrücklich, dass das Evangelium die Kraft hat, einzelne Menschen, aber auch die ganze Gesellschaft zu verändern.

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Datum: 19.11.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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