Gottesdienste mit wenigen
Viele Gottesdienste im Bund Freier evangelischer Gemeinden sind sehr überschaubar: Bis zu 50 Erwachsene kommen hier sonntags regelmässig zusammen. Es sind Gottesdienste, die weder vom ERF noch vom ZDF als Übertragungsort angefragt werden, die aber in ihrer Gesamtheit eine tragende Säule in der FeG-Familie bilden. Rund 250 Freie evangelische Gemeinden, also sage und schreibe rund die Hälfte aller rund 500 FeG-Bundesgemeinden gehören zu dieser Gruppe.
Kleine Gottesdienste sind normal
Die Gründe für diese Gottesdienstgrösse sind vielfältig: Es sind Gemeinden in der Gründung, Gemeinden in dünn besiedelten Regionen, Gemeinden, die sich gerne vervielfältigen, Gemeinden, die während Corona gelitten haben – und manchmal auch Gemeinden, die krisenbedingt Gottesdienstgäste verloren haben. Sehen wir vom letzten Grund mal ab, so lässt sich feststellen, dass kleine Gottesdienste recht natürlich sind.
Mit anderen Worten: Der Gottesdienst mit Wenigen ist kein Unfall, sondern die Regel. Diese Beobachtung gilt auch für die USA. Oft gelten die Vereinigten Staaten als Land der sogenannten «mega-churches». Tatsächlich sind es aber auch dort die kleinen Gottesdienste, die die meisten Christen erreichen.
Ohne kleine Gemeinden läuft gar nichts
Die entscheidende Frage ist nun: Sind kleine Gottesdienste minderwertig? Rick Warren, ein bekannter US-Pastor, schreibt in seinem Buch «Kirche mit Vision» treffend: «Die Gesundheit einer Gemeinde zeigt sich an ihrer Fähigkeit zum Aussenden und nicht an der Zahl ihrer Sitzplätze.» Zuerst kommt es also nicht auf die numerische Grösse einer Ortsgemeinde an, sondern auf die geistliche Grösse, die sie insgesamt freisetzt.
Nicht alle, aber viele kleine Gemeinden mit überschaubaren Gottesdiensten sind durchaus effektiver als grosse Gemeinden mit hohen Besuchszahlen. So tragen sie auch im Bund FeG eine grosse Last für die gemeinsamen Aufgaben. Ohne sie ginge bei uns eigentlich gar nichts.
Kurzum: Grundsätzlich gibt es erst mal keinen Grund, sich für kleine Gottesdienste zu entschuldigen. Sie sind in Vergangenheit und Gegenwart eine Form, die Gott segnet.
Schätze entdecken anstatt gross spielen
Wenn das nun stimmt, was bedeutet dies für die Gestaltung der Gottesdienste? Meinem Eindruck zufolge kann es hilfreich sein, hier nochmal neu nachzudenken. Denn die Gestalt eines Gottesdienstes hat durchaus etwas mit der Besuchszahl zu tun. Was nämlich für die eine Menge gilt, ist für eine andere möglicherweise unpassend.
Konkret: Manche kleinen Gottesdienste sollten aufhören, grosse Gottesdienste zu spielen. Das überfordert auf Dauer alle Verantwortlichen und schafft auch Frustrationen. Und es versperrt den Zugang zu den Schätzen, die gerade kleine Gottesdienste bieten können. Im Folgenden möchte ich einige Punkte nennen, wie kleine Gottesdienste punkten können – nicht trotz, sondern aufgrund ihrer kleinen Grösse.
- Gottesdienste zum Wohlfühlen:
Grosse Gottesdienste haben manches für sich, aber eines bieten sie erst mal nicht: Das Gefühl des Gesehenwerdens und das Erlebnis der Gemeinschaft. So etwas ergibt sich dort erst nach längerer Dazugehörigkeit. Ganz anders kleine Gottesdienste: Hier werden Gesichter rasch wahrgenommen und so kommt es auch viel schneller zu persönlichen Begegnungen. Dieses Qualitätsmerkmal darf deutlich hervorgehoben werden. Es mag sein, dass kleine Gottesdienste höhere Qualität vermissen lassen, aber das anschliessende Gemeinde-Café und das gemeinsame Gespräch gleichen diesen Umstand um Längen aus. Darum bilden auch manche kleinen Gottesdienste die Sitzplätze entsprechend eines offenen Kreises. Somit wird die Gemeinschaft räumlich abgebildet. Und solche Formen bieten viel mehr Atmosphäre als grosse Gottesdienste, die oft wie Klassenzimmer oder Hörsäle konzipiert sind.
- Gottesdienste mit Beteiligung:
Oft finden sich in kleinen Gottesdiensten keine hauptamtlichen Pastoren oder Pastorinnen. Anstatt dies zu beklagen, darf man mit gutem Gewissen aus der empfundenen Not eine Tugend machen. Denn wo die Hauptamtlichen fehlen, sind die Ehrenamtlichen umso mehr gefragt und wertgeschätzt. Gerade kleine Gottesdienste bieten die Chance, dass auch jüngere Menschen predigen oder moderieren. Auch der persische Christ, der erst kürzlich getauft wurde und dessen Deutsch noch etwas stockt, kann die Lesung übernehmen. Mehrere Mitglieder können sich auch eine Predigt teilen. So bleibt der Aufwand überschaubar und trotzdem die Wirkung nachhaltig. Und alle – ob jung oder alt – sind eingeladen, ein Zeugnis zu sagen oder ein Gebet zu sprechen.
- Gottesdienste ganz elementar:
Wenn die Ressourcen knapp sind, besinnt man sich aufs Wesentliche. Das lässt sich in kleinen Gottesdiensten intensiv erleben. Möglicherweise fehlt noch das Geld für Beamer, Technikanlage oder Schlagzeug. Umso mehr setzt man auf das Ursprüngliche und Zentrale des Gottesdienstes. Es kann zum Beispiel jeden Sonntag das Abendmahl gefeiert werden. Es liesse sich auch die Praxis der «prophetischen Rede» neu beleben. Oder es ist die Chance, das gemeinschaftliche Gebet neu zu entdecken. Und vielleicht ist es auch eine Gelegenheit, das regelmässige Beten eines sonntäglichen Psalms zu beginnen. Kleine Gottesdienste haben so viele Chancen, sie müssen nur gesucht werden.
- Gottesdienste so flexibel:
Kleine Gottesdienste besitzen oft keine eigenen Räume. Und falls doch, so spielen sie noch nicht diese enorme Rolle wie später üblich. Kleine Gottesdienste können deshalb auch mal weiterziehen, können etwas ausprobieren und sind auch sonst viel beweglicher als die grossen Geschwister. Das macht auch einen Teil ihres besonderen Charmes aus. Sie sind nicht wie der grosse Tanker, der sich nur langsam lenken lässt, sondern sie gleichen eher dem kleinen Segelschiff, das auch im Zickzack-Kurs manövrieren kann.
Gemeindestärken bewusst ausspielen
Es dürfte klar geworden sein: Kleine Gottesdienste sind keine Gottesdienste zweiter Klasse. Sie verfügen über ihre eigene Berechtigung. Wie grosse Gottesdienste haben sie Schwächen – und Stärken. Und diese Stärken sollten wir bewusst ausspielen und uns nicht heimlich wie in grösseren Gottesdiensten benehmen. Normalerweise suchen und finden kleine Gottesdienste genauso geistliches Wachstum wie grosse.
Die spannende Frage ist dann, wie dieses Wachstum gestaltet werden kann. Soll sich die positive Entwicklung im benachbarten Ortsteil, in anderen Gemeinden oder der FeG-Bundesarbeit abbilden? Oder soll das Wachstum zu einem grösseren Gottesdienst vor Ort führen? Beide Wege besitzen ihre Berechtigung und beide stehen unter Gottes Verheissung.
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