Raus aus der Einbahnstrasse

Einbahn-Schild
Mission hat nur dann Zukunft, wenn sie ihre westlich geprägte Vormachtstellung verliert. Aber westliche Kirchen haben nur dann Zukunft, wenn sie die Mission nicht verlieren.

«In den letzten 50 Jahren hat sich das Zentrum des Christentums vom Westen her in die Entwicklungsländer verlagert», behauptet Josh Irby, der Europaleiter von Campus für Christus für die Arbeit in Städten. Kaum jemand würde ihm dabei widersprechen. Gleichzeitig hält er fest: «Doch allzu oft tun wohlmeinende Missionspartner im Westen so, als ob dieser Wandel nicht stattgefunden hätte…» Damit legt er den Finger in die Wunde: Seit einem halben Jahrhundert wächst die Bedeutung der nichtwestlichen Kirchen und Gemeinden ständig, aber ihr Einfluss ist nach wie vor fast zu vernachlässigen, weil Tradition, fehlende Finanzen, ungleiche Bildung und nicht zuletzt eine eingeschränkte Mobilität dies verhindern.

Der Elefant und die Maus

Um das Beziehungsgefälle zu illustrieren, erzählt Irby eine afrikanische Geschichte: Elefant und Maus waren die besten Freunde. Einmal meinte der Elefant: «Maus, lass uns eine Party feiern.» Das taten sie, ihre Freunde kamen von nah und fern, sie sangen, tanzten, assen und tranken und niemand feierte ausgelassener als der Elefant. Am Ende rief er seine Freundin: «Hast du jemals eine bessere Feier erlebt?» Doch die Maus antwortete nicht. Alle suchten sie, und schliesslich fand sie jemand im wahrsten Sinne erdrückt vom Überschwang ihres Freundes, des Elefanten. Die afrikanische Moral von der Geschichte: So ist es manchmal, wenn man mit Amerikanern in der Mission ist. Es ist, als würde man mit einem Elefanten tanzen.

Nun sind Europäer in der Weltmission weder so präsent noch so dominant wie US-Amerikaner, doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch sie ein Schwergewicht darstellen, das schnell verletzen oder zumindest ein partnerschaftliches Arbeiten erschweren kann. Niemand geht in die Mission, um auf anderen herumzutrampeln, aber Tatsache ist, dass viele Elefanten über die Missionsfelder der Welt tanzen – und es dabei nicht darum geht, dass sie das nicht gewollt haben.

Mission und Macht

Die ersten positiven Schlagworte, die Christen einfallen, wenn sie an Mission denken, sind: gewinnen, retten, helfen. Dafür reisen Missionare ins Ausland, leben in einer fremden Kultur und investieren Jahre ihres Lebens. Zu einem realistischen Bild von Mission gehört allerdings auch, in diesem Zusammenhang die Frage der Macht zu thematisieren. Die wenigsten Missionare würden sich als so etwas wie Machthaber verstehen, doch in der Praxis sind sie es oft. «Wer die Rechnung bezahlt, bestimmt, wo es langgeht.» Das klingt verständlich, zementiert aber Abhängigkeiten. Da sitzen einheimische Kirchenvertreter mit westlichen Missionaren zusammen, um Mission zu planen. Traditionell haben die Westler dabei eine Führungsrolle. Meist haben sie die bessere Ausbildung. In der Regel verfügen sie über das höhere Budget. So wird «auf Augenhöhe» beraten, gewünscht, geträumt und geplant. Die eigentliche Entscheidung zeichnet Irby mit einem Familien-Szenario, das Brian Virtue folgendermassen beschreibt: «So, wir haben jetzt darüber geredet. Jetzt gehen die Erwachsenen an ihren Tisch und treffen eine Entscheidung. Wir sagen euch dann, was dabei herausgekommen ist…» Natürlich ist diese Formulierung überzeichnet. Aber genauso natürlich entspricht sie der Missions-Realität, denn die «Erwachsenen» sind fast immer die Westler.

Dramatische Veränderungen fordern ein Umdenken

Dass diese Zusammenhänge seit 50 Jahren und mehr bekannt sind, ohne dass sich etwas signifikant verändert hat, zeigt, wie stabil diese Machtverhältnisse waren. Sie sind es allerdings nicht mehr, denn die Welt ist in Bewegung. «America first» ist eine Haltung, die auch in den sehr missionsfreundlichen US-Gemeinden ankommt. Weltmission wird hier weniger wichtig. In deutschen oder Schweizer Kirchen und Gemeinden hatte sie nie diesen Stellenwert, doch wer Mauern gegen Migranten baut, tut sich meist auch schwer mit Begeisterung für Mission. Dazu kommt ein Schrumpfen der Kirchen und Stagnieren der Freikirchen. Die Spenden gehen zurück. Bisher sah Mission oft so aus, dass Missionare aus hiesigen Gemeinden für mehrere Terms aufs Missionsfeld ausgesandt wurden. Sie waren hauptberufliche Missionare, bezahlt von Unterstützern aus der Heimat.

Nichts daran ist verkehrt, doch Dinge sind in Bewegung: Immer weniger Christen gehen «lebenslänglich» in die Mission. Immer mehr Länder lassen klassische Missionare nicht mehr einreisen. Immer mehr Entwicklungsländer werden selbst zu sendenden Ländern, auch wenn sie aufgrund der aktuellen Visasituation kaum Zugang in den Westen bekommen.

Keine Zeit für schnelle Lösungen

Josh Irby zitiert in seinem Artikel den tschechischen Pastor Milan Michalko. Der hält im Gespräch über Beschleunigung missionarischer Arbeit beim Mission-Shift-Podcast fest: «Partnerschaft ohne echte Beziehung? Dafür habe ich keine Zeit.» Längst scheint es dran, sich von westlichem Effizienzstreben zu verabschieden. «Wie viele haben sich bekehrt? Wie viele haben wir ‘erreicht’? Was können wir mit diesem Geld in jener Zeit bewirken?» Fragen wie diese pressen Mission in ein wirtschaftliches Denken hinein. Sie verhindern eine Weiterentwicklung. Doch die grossen Veränderungen unserer Zeit beinhalten nicht nur Probleme, sondern gewaltige Chancen: Mission wieder neu zu denken! Wann wuchs die Gemeinde eigentlich am stärksten? Das war in den ersten Jahrhunderten, als Christen machtlos auftraten. Als sie vertrieben wurden oder missionarisch umzogen. Als sie ihren normalen Berufen nachgingen und nebenbei von Jesus erzählten.

Bei Mission geht es nicht darum, Vergangenheit zu glorifizieren, sondern in der Gegenwart zu leben. Viele missionarische Ansätze der letzten Jahrzehnte haben sich überlebt. Manche verlieren an Bedeutung, bleiben aber wichtig (wie das Aussenden von vollzeitlichen Missionaren), andere sind nicht mehr haltbar (wie das Nord-Süd-Machtgefälle innerhalb der christlichen Welt). Irby sieht die Zukunft von Mission in der Person und dem Handeln von Jesus selbst vorgezeichnet: «Er machte sich selbst zu einem Nichts und nahm die Gestalt eines Menschen an. … [Er] lachte nicht über den Beitrag der einfachen Männer und Frauen aus den Dörfern Galiläas. Er nannte sie Freunde und gab ihnen die Schlüssel seines Reiches.»

Zum Thema:
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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