Ukrainische Christen zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Als die ukrainische Armee kürzlich einen überraschenden Vorstoss in die russische Region Kursk wagte und dabei rund 1'300 Quadratkilometer und etwa 100 Dörfer eroberte, verschärfte sich die Situation für viele Christen in der Ostukraine.
Jeff Abrams, Gründer von «Rescue Ukraine» beschreibt die Zerstörung, die er auf seinen Reisen durch das Land sieht: «Ich habe in den letzten Wochen Dutzende zerstörte Schulen gesehen. Der Anblick bricht einem das Herz.»
Bleiben oder gehen?
Für viele Christen in der Ukraine ist die Entscheidung, ob sie bleiben oder fliehen sollen, zu einer lebensverändernden Frage geworden. So erlebte Vyacheslav Kryshnevsky, Pastor in Nikopol, wie ein Raketenangriff drei Menschen auf offener Strasse tötete – es hätte auch ihn treffen können.
Kryshnevsky, der in seiner Gemeinde und in einem nahe gelegenen Dorf predigt, leitet auch ein Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige, das er nun aus Sicherheitsgründen in die sicherere Region Cherkasy verlegen möchte.
«Viele Gemeindemitglieder wollten mitkommen», sagt er. Doch als die ukrainischen Streitkräfte in der Region Erfolge erzielten, kamen Zweifel auf, ob eine Flucht wirklich notwendig sei. «Diese Ungewissheit begleitet uns ständig», sagt Jeff Abrams, der die Gläubigen vor Ort unterstützt und sie bei Evakuierungsplänen berät.
Zwischen Bomben und Hoffnung
In der Stadt Pokrowsk, wo die Kämpfe besonders heftig sind, hat sich eine kleine Gemeinde von etwa 20 Christen schweren Herzens zur Flucht nach Westen entschlossen. «Die Russen sind nur noch sechs Kilometer entfernt», beschreibt Abrams die prekäre Lage. Doch trotz der Kämpfe versuchen die Gläubigen, das Licht der Hoffnung nicht zu verlieren. Eine ältere Frau, die nach ihrer Flucht von ihrem ersten Abend im Westen erzählt, sagt mit Tränen in den Augen: «Es ist wie im Paradies.»
Doch die Frage, wie lange dieser Frieden anhalten wird, beschäftigt viele. Olga, eine kürzlich verwitwete Pastorin, ist bereits zum dritten Mal seit Beginn des Krieges umgezogen. «Manche wollen nicht mehr fliehen», sagt Abrams. «Sie sagen: ‚Wenn wir in diese Stadt ziehen, müssen wir irgendwann wieder weg. Vielleicht sollten wir einfach hier bleiben und uns dem stellen, was kommt.‘»
Eine strahlende Gemeinschaft inmitten des Krieges
Trotz all dieser Herausforderungen sind die Kirchenbänke bei den sonntäglichen Gottesdiensten oft gut gefüllt. «Die Christen, die geblieben sind, scheinen neuen Mut zu schöpfen. Und viele neue Gesichter tauchen auf», beobachtet Abrams. Die Kirchen sind nicht nur Orte des Gebets, sondern auch Zufluchtsstätten für Bedürftige, die von den Gemeinden mit Lebensmitteln und humanitärer Hilfe versorgt werden.
«Inmitten all des Bösen und der Dunkelheit finden die Menschen immer noch Gründe zu lächeln und zu feiern», sagt Abrams. «Sie haben mich viel mehr ermutigt und gesegnet, als ich es je für sie tun könnte.»
Ein bewegendes Beispiel ist die Gemeinde in Nikopol, wo Pastor Kryshnevsky trotz der Bedrohung durch Raketenangriffe weiter predigt. Am 8. September berichtete er von einem besonders bewegenden Gottesdienst, in dem vier Menschen getauft wurden. «Wir müssen einen Weg finden, aus diesem Schrecken etwas Gutes zu machen», sagt Abrams. «Und diese Menschen schaffen das. Sie strahlen.»
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