Unverschämte Lust leben

Veronika Schmidt, 61 Jahre, verheiratet, hat vier Kinder, wohnt in Schaffhausen
Veronika Schmidt aus Schaffhausen hat mehrere Sex-Ratgeber und Aufklärungsbücher geschrieben. Sie redet Klartext und durchbricht damit die Sprachlosigkeit vieler Christen zu diesem Thema.

Seit über zwanzig Jahren führt Veronika Schmidt eine Paar- und Familien-Beratungspraxis, arbeitet als Sexologin und unterhält den Blog «Liebesbegehren». Dazu hat sie mehrere Bestseller geschrieben.

Sich im Rhein treiben zu lassen oder mit der Jungschar Flösse zu bauen – seit ihrer Kind-heit hält sich Veronika Schmidt gern im und am Wasser auf. Die 61-Jährige wuchs am Rhein im Zürcher Unterland auf, wohnte am Rhein im Bündnerland, am Zürichsee und nun wieder am Rhein in Schaffhausen. Jahrelang war sie Besj-Jungscharleiterin (Bund evangelischer Jungscharen Schweiz), eine Weile bildete sie auch Besj-Nachwuchs aus. Damals entstand ihr Wunsch, Sozialpädagogin zu werden. Während der Ausbildung in der Stiftung «Gott hilft» in Zizers lernte Veronika Schmidt ihren Mann kennen. Später leiteten die beiden eine sozialpädagogische Familie in Herrliberg. Zusammen mit ihren eigenen vier Kindern betreuten und begleiteten sie im Auftrag der Stiftung 13 Jahre lang Pflegekinder.

«Das Hauptproblem der christlichen Lebenswelt ist eine Kultur des Verbots.»

Neue Ausrichtung als Therapeutin

Anschliessend zog die Familie nach Schaffhausen. Veronika absolvierte Ausbildungen zur Systemtherapeutin und zur TripleP-Erziehungsberaterin (Positive Parenting Program). Damit engagierte sie sich mit Erziehungskursen für Familien. «Bei meiner Arbeit als Therapeutin stiess ich immer wieder auf viel Not beim Thema Sex», erklärt Schmidt. Dies veranlasste sie schliesslich, sich über sieben Jahre zur klinischen Sexologin auszubilden. Sie wollte ihren Klientinnen und Klienten praktische Hilfe anbieten. Nebenher engagierte sie sich mit ihrem Mann auch in der Freikirche ICF (International Christian Fellowship) Schaffhausen.

Sprachlose Christen

«Schon während der Jungscharzeit nahm ich wahr, dass das Thema Sex entweder auf unbeholfene moralische Art oder gar nicht thematisiert wurde», erinnert sie sich. Sie empfand die Christen als sehr sprachlos auf diesem Gebiet. «Das Hauptproblem der christlichen Lebenswelt ist eine Kultur des Verbots», stellt Veronika Schmidt fest. Viele Gläubige seien gehemmt durch die Prägung, die ihnen vermittelt wurde. Sie seien unter einem Deckel der Scham aufgewachsen. Dies hätten Kirchen verschuldet, egal welcher Denomination. Doch das müsse nicht so bleiben: «Nun erfahren sie, dass man auch anders mit dem Thema umgehen kann.» Was die Erkundung des eigenen Körpers betrifft, findet Schmidt, ohne sich selbst zu kennen sei es schwierig, erfüllende Sexualität zu leben.

«Ich möchte nicht nur Eltern, sondern allen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, einen pädagogischen Hintergrund vermitteln.»

Familie ist Werkstatt für Persönlichkeit

Als Sozialpädagogin und Mutter wurde Veronika Schmidt auch wichtig, Kinder auf gute Art ins Thema einzuführen. Das Familienleben sei eine Werkstatt zur Entwicklung der Persönlichkeit. «Ich möchte nicht nur Eltern, sondern allen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, einen pädago-gischen Hintergrund vermitteln.» Sexualaufklärung sei Teil einer ganzheitlichen Erziehung, ein Aspekt davon. «Es gibt gute säkulare Literatur, doch gläubige Menschen interpretieren darin oft ein ‹alles ist möglich›. Und dieser Richtung wollen sie nicht folgen.» Auch die Auseinandersetzung mit gleichgeschlechtlicher Sexualität und der Genderthematik beschäftige die Menschen. Dass sie auch dazu in ihren Büchern Stellung bezieht, schätzen ihre Leserinnen und Leser, berichtet die Autorin.

Liebe und Lust

«Liebeslust» hiess das erste Buch von Veronika Schmidt, «Alltagslust» das zweite. Sie beschreibt darin, wie auch christliche Paare unverschämt ihre Lust leben können und sollen. Es sollten Sex-Ratgeber werden, welche die sexuellen Tabus aufbrechen. Dazu führte sie einen Blog, der die Themen aufnahm, die sie später in ihren Büchern vertiefte. Und sie hielt viele Vorträge, um ihr Wissen unter die Leute zu bringen. «Ich hoffe, dass sie das Gehörte anwenden und leben», hält die Aufklärerin fest.

Gute Beziehung pflegen

Eines der neuen Bücher hat Schmidt gezielt für Jugendliche geschrieben: «Sex – Alles, was dich interessiert!», das zweite ist für Erziehende gedacht: «Aufgeklärt». Zudem findet sie, der pessimistische Blick auf die Jugend sei nicht angebracht. «Sie übernimmt viel mehr Verantwortung als oft dargestellt», beobachtet Schmidt. «Junge Menschen sind an Normen, Werten und treuen Partnerschaften interessiert. Ich sehe bei ihnen viel mehr die Möglichkeiten als die Gefahren.» Sie bräuchten Wissen, Begleitung und eine Gesprächskultur, die sie als mündiges Gegenüber annehme. Schmidt macht Eltern und Erziehenden Mut, Beziehungen aufzubauen, an denen sich junge Menschen orientieren können.

Ziel erreicht?

«Woran würdet ihr sehen, dass eure Erziehung gelungen ist?», fragte das Ehepaar Schmidt jeweils Teilnehmende der Erziehungskurse. Die häufigste Antwort lautete: «Wenn die erwachsenen Kinder gern wieder nach Hause kommen.» Schmidts erleben dies selbst mit ihren vier Kindern und deren Familien. Gerade während der Pandemie hätten sie sich wieder vermehrt getroffen. Die bei allen ausgefallenen Engagements liessen mehr Zeit für die Sippe. «Wir gehen respektvoll miteinander um, wir haben uns gern und erleben, dass wir gemeinsam wachsen», so das Fazit der Mutter und fünffachen Grossmutter. «Das geniessen wir sehr.»

«Junge Menschen sind an Normen, Werten und treuen Partnerschaften interessiert. Ich sehe bei ihnen viel mehr die Möglichkeiten als die Gefahren.»

Schönheit suchen, nicht Fehler

Sie suche das Schöne in der Welt, den Menschen, dem Leben. Dazu gehöre auch die Sexualität als Ressource: «Sie soll uns bereichern.» Leider höre sie immer wieder von Klientinnen und Klienten vorwurfsvoll: «Ich weiss gar nicht, was Gott sich dabei gedacht hat.»

«Gläubige Menschen gehen davon aus, dass Gott Schöpfer ist», erklärt die Sexologin und Christin. Leider unterschlage die Kirche oft, dass er sie als sexuelle Wesen geschaffen hat. Wenn man davon ausgehe, verändere dies den Blick auf Sexualität. Die eigene sexuelle Entwicklung und das Zusammenspiel von Frau und Mann seien begründet in dieser Tatsache, so Schmidt. «Frau und Mann sind absolut gleichwertig und gleichberechtigt. Dass gewisse Theologen dies immer noch anders sehen, bedaure ich sehr.» Im Buch «Endlich gleich» begründet sie, wie Sexuali-tät und Gleichstellung zusammenhängen und was dazu in der Geschichte und der Bibel zu finden ist.

Hoffnungsträgerin?

Ob sie sich als Hoffnungsträgerin verstehe, fragt Hope-Chefredaktor Florian Wüth-rich im Talk, den er mit der Autorin am Rheinufer in Büsingen führte. Veronika Schmidt bejaht das. Leserinnen und Leser der Bücher oder des Blogs seien erleichtert, dass Schmidt eine Sprache nutze, die gut verständlich sei und sie auch auf nagende Fragen zu antworten wisse. «Endlich habe ich verstanden, dass ich nicht falsch fühle», höre sie immer wieder. Oder: «Hätten wir das nur zu Beginn unserer Ehe gewusst…» Schmidt hat den Eindruck, sie habe ihren Beitrag geleistet, Christen sprachfähiger und mutiger zu machen in Sachen Sex.

 «Ich kann heute viel in Frage stellen, ohne dass ich meinen Glauben in Frage stelle.»

Reif werden

«Meinen kindlichen Glauben habe ich hinter mir gelassen», gesteht die Autorin. Das sei auch wichtig, es gehe darum, auch im Glauben zu reifen. «Ich kann heute viel in Frage stellen, ohne dass ich meinen Glauben in Frage stelle.» Gott sei ihre Verankerung, hält sie fest. «Ich hinterfrage nicht, woher ich komme und wohin ich gehe, das ist für mich geklärt.» So schaue sie der Zukunft zuversichtlich entgegen.

Zur Person:

Einer meiner Lieblingsplätze in Schaffhausen:
Unser kleiner Wohnwagen und wo er gerade Halt macht. Auch mein eigener Garten und Plätze am Rhein

Meine Lieblingsbeschäftigung an verregneten (Sonntag-)nachmittagen:
Sex natürlich… oder lesen und Filme schauen. Die letzten acht Jahre habe ich dann auch oft geschrieben

Meine Lieblingsmusik:
Wir hören regelmässig am Sonntagabend das Country-Special auf SRF1. Ich mag die Musik, aber auch die Lebensgeschichten der Musikerinnen und Musiker, die dazu erzählt werden. Ich höre aber verschiedenste Stilrichtungen. Meist stellt mein Mann die Musik an – und er hat einen exzellenten Musikgeschmack

Auf diese App möchte ich auf keinen Fall verzichten:
Apps sind in meinem Alltag eher eine Notwendigkeit, die mir aufgezwungen wird. Ich funktioniere total anders

Bücher von Veronika Schmidt:

Veronika Schmidt ist klinische Sexologin, Systemtherapeutin und Sozialpädagogin. Sie ist verheiratet, hat vier erwachsene Kinder, fünf Enkelkinder und lebt in Schaffhausen. Ihre Bücher «Liebslust» und «Alltagslust» zu einer erfüllenden Sexualität sind Bestseller.

Alle Bücher sind erhältlich im Livenet-Shop unter shop.livenet.ch

 

Hope-Talk:

Grundlage für diesen Artikel bildet ein Talk, der am 19. Oktober 2022 am Rheinufer aufgezeichnet wurde.
Das Video finden Sie online unter: www.hope-schaffhausen.ch oder direkt hier:

Autor: Mirjam Fisch
Quelle: HOPE-Regiozeitungen