Wenn das Falsche plötzlich richtig ist

Was ist falsch und was ist richtig?
Viele Werte ändern sich im Laufe der Zeit. Was einmal richtig war, ist heute falsch – und umgekehrt. Auch innerhalb von Freikirchen. Wie kann man damit umgehen? Beat Brugger, Pastor der Viva Kirche Pfäffikon, will Neuerungen am Willen Gottes prüfen.

Kürzlich erneuerte ich meinen Anstellungsvertrag als Pastor. Mit meiner Unterschrift erklärte ich mich unter anderem damit einverstanden, dass in unserem Verband Frauen als Pastorinnen eingestellt werden. Als ich vor 15 Jahren meinen ersten Vertrag im selben Verband unterschrieb, war noch klar, dass ausschliesslich Männer als hauptverantwortliche Pastoren wirken durften. Was damals falsch war, ist heute richtig.

Neues begeistert – und macht Angst

Ohne auf die damit verbundenen, inhaltlichen Fragen einzugehen, macht dieser Umstand deutlich, wie stark sich auch in unseren freikirchlichen Kreisen Werte gewandelt haben. Insgesamt gibt es also so einige Neuerungen, die wir zu verarbeiten haben: Veränderungen in der Einstellung zur Arbeit, im Umgang mit der Sexualität, in Bezug auf den Schutz der Umwelt und so weiter.

Unterschiedliche Menschen gehen unterschiedlich mit solchen Dynamiken um. Über alle Generationen hinweg beobachte ich Menschen, die das Neue fröhlich umarmen. So sympathisch mir solch offene, bejahende Menschen sind, fehlt mir doch manchmal etwas die gesunde Ausprägung eines kritischen Geistes. Fordert uns doch der Apostel Paulus in Römer Kapitel 12, Vers 2 dazu auf, die Tendenzen in unserer Gesellschaft auf «Gottes Willen» hin zu prüfen und nicht einfach alles gedankenlos zu übernehmen.

Für andere ist Neues zunächst mal verdächtig, wenn nicht gar falsch. Nur, damit tut man diesem oft unrecht. In den Evangelien kommen die Pharisäer, die das Altbewährte mit besten Absichten verteidigten, eher schlecht weg. Auch sind jene Angehörigen des Volkes Israels, die sich während der Wüstenwanderung nach den «Fleischtöpfen Ägyptens» zurücksehnten (2. Mose Kapitel 16, Vers 3), nicht eben als leuchtende Vorbilder in die Geschichtsbücher eingegangen.

Muss ich das entscheiden?

Als Mensch, der das Neue liebt, versuche ich besonders darauf zu achten, auch die kritischen Seiten eines neuen Trends zu bedenken und sie am «Willen Gottes» zu prüfen. Dies im Wissen, dass meine Erkenntnis Stückwerk ist (1. Korinther Kapitel 13, Vers 9). So bleibe ich hoffentlich gesprächs- und lernbereit.

Zudem versuche ich, meine Verantwortlichkeiten zu klären. Stehe ich in der Verantwortung, eine Neuerung zu beurteilen, entsprechend Stellung zu nehmen oder gar dafür – oder dagegen – zu kämpfen? In den meisten Fällen komme ich zum Schluss, dass ich die Frage lediglich für mich klären muss und die öffentliche Beurteilung anderen überlassen darf. In diesem Sinne möchte ich offen bleiben, auch dafür, dass das heutige «Falsch» vielleicht irgendwann das neue «Richtig» ist.

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Autor: Beat Brugger
Quelle: Magazin LebensLauf 04/2024, SCM Bundes-Verlag

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