«Dass ich noch lebe, ist ein Wunder»

Helene Schneider
Helene Schneider aus Ostermundigen war drogensüchtig und dem Tod nah. Heute ist sie gesund, arbeitsfähig, verheiratet und voller Liebe für Menschen, die wie sie damals am falschen Ort nach Erfüllung suchen.

Helene Schneider wächst mit ihrer Schwester wohlbehütet in Ersigen auf. «Ich war neugierig, eine Draufgängerin, wollte als Teenager etwas erleben, wollte anders sein», erzählt die 53-Jährige. Während der Ausbildung zur Detailhandelsfachfrau in Bern gerät sie durch ihre Clique in die Drogenszene, konsumiert LSD und Kokain, zuletzt Heroin. Mit 22 Jahren landet sie in Zürich Letten. Sie berichtet: «Hier war ich Tag und Nacht unterwegs, tat fast alles, um an Stoff zu kommen.» Auch ihre Eltern belügt und bestiehlt Helene: «Vater hat mich damals auf der Gasse gesucht. Meine Eltern litten sehr, trotzdem gaben sie mich nie auf – dafür bin ich ihnen zutiefst dankbar.»

«So will ich nicht enden!»

Immer wieder versucht die junge Frau aus eigener Kraft, clean zu werden, unterzieht sich erfolglos Therapien. «Einmal kam die Kollegin, mit der ich zusammenwohnte, nicht mehr nach Hause – sie hatte sich am Wochenende eine Überdosis verpasst und war daran gestorben...», fügt Helene an. Sie selbst findet damals kaum noch eine zugängliche Vene, gesteht: «Ich veranstaltete jeweils ein Blutbad. Meine Arme und Beine hatten Wunden und Abszesse, ich war abgemagert, kraftlos und litt auch psychisch schwer.» Mit 25 folgt die Diagnose Hepatitis C und die Warnung ihres Arztes: «Wenn Sie so weitermachen, sind Sie innert Kürze tot.»

Im Sune-Egge der Sozialwerke Pfarrer Sieber (SPS) bezieht Helene fortan Methadon. Der Anblick von Aids-Patienten im selben Haus schockiert sie: «So will ich nicht enden!», nimmt sie sich vor. In einem Haus der SPS im Bündnerland wird sie aufgenommen, die Methadon-Dosis immer mehr reduziert. Helene erinnert sich noch gut an einen gemeinsamen Abend in Chur: «Der ehemalige Guru Rabi Maharaj erzählte aus seinem Leben.» Der Redner war in einer hohen Kaste in Indien aufgewachsen und als spiritueller Hindu-Leiter durch okkulte Rituale in eine zerstörerische Abhängigkeit geraten. Maharajs Botschaft: «Jesus hat mich freigemacht – er kann das auch bei dir tun, wenn du ihm dein Leben anvertraust.» Helene ist sehr bewegt, weiss noch genau: «In meinem Zimmer ging ich auf die Knie und schrie zu Jesus: ‹Ich will auch frei werden – bitte hilf mir!›» Eine Spontanheilung erlebt sie nicht, doch mit der Zeit kommt sie von den Zigaretten los und braucht bald auch kein Methadon mehr.

Rückkehr ins Leben

Nach der Reha und diversen anderen Aufenthaltsorten, zum Teil mit Familienanschluss, zieht sie 2001 in eine christliche Lebensgemeinschaft mit Singles und Familien. Es werden fünf herausfordernde Jahre, die Helene in guter Erinnerung hat: «Wir haben zusammen im Haus gearbeitet, gekocht, gegessen, geredet, gebetet und gesungen – und wir spiegelten einander…» Ihr wird klar: «Nicht die anderen müssen sich verändern, sondern ich mich.»

Helene schliesst sich einer Berner Freikirche an, löst sich im Gebet von den Lasten der Vergangenheit und lässt sich in der Aare taufen. 2007 lernt sie in ihrer Kirche Andreas kennen und lieben. Auch er hat eine strube Vergangenheit, erlebte Befreiung und Heilung durch Jesus. 2008 heiraten die beiden. Ihr Glück wollen sie mit anderen teilen. Helene engagiert sich in der Gassenarbeit, verteilt zusammen mit Leuten aus ihrer Kirche Essen, Kleider und Schlafsäcke an Suchtkranke und Obdachlose. Und sie ist im Gassenbus anzutreffen, einem Ort, wo Jesus-Nachfolger sich Zeit nehmen für Menschen in Not. Wer nach ihren Beweggründen fragt, dem erzählt sie von ihrer Wiederherstellung. «Dass ich noch lebe, ist ein Wunder», bekräftigt Helene. Es ist Jesus, der die Kraft schenkt, Nägel mit Köpfen zu machen. Ich kann nur einladen und für die Menschen beten, retten kann ich niemanden.»

Worte wirken

Helene liest viel in der Bibel, lernt Verse und Psalmen auswendig, denn sie spürt: «Diese Worte spenden Leben, sie verändern mich zum Guten.» Ihre Grossmutter, ihre Familie und weitere Menschen haben für sie gebetet, heute ist auch Helene eine Beterin. Für den Schmerz, den sie ihrer Familie zugefügt hat, bat sie diese um Verzeihung. Ihr ist bewusst: «Rückgängig machen kann ich nichts, aber um Vergebung bitten, das konnte und wollte ich.» Zur Schwester und Mutter pflegt sie heute einen guten Kontakt, sie sind versöhnt. In der Bibel ihres Vaters fanden sich Notizen und Briefe, die seine Verzweiflung, sein Hoffen und Sehnen beschreiben. «Man redet immer von den Abhängigen – dass Familie und Umfeld sehr mitleiden, wird oft vergessen», erklärt Helene. Ihr Vater starb früh. Sie war damals auf der Gasse unterwegs und zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Auf dem Grabstein des Vaters steht ein Vers aus der Bibel aus dem Matthäus-Evangelium, Kapitel 9, Vers 23, der seine Tochter noch heute berührt: «Alles ist möglich dem, der glaubt».

Abendmahl in der Pizzeria

Seit fast 18 Jahren arbeitet Helene wieder im Verkauf. Sie ist stellvertretende Geschäftsleiterin in einem Damenmodegeschäft und erlebt: «Etliche Kundinnen kommen auch zu uns, weil sie reden wollen.» Helene schenkt ihnen gern Zeit und Aufmerksamkeit. Andreas und sie laden oft Gäste ein, sie lieben es, in Gemeinschaft zu essen und dabei über das Leben und den Glauben auszutauschen. «Wir haben auch schon in einer Pizzeria das Abendmahl gefeiert, der Wirt spendierte den Wein dazu», erzählt Helene und schmunzelt. Sie hat ein gutes Gespür dafür, wenn jemand einsam, suchtkrank oder psychisch angeschlagen ist. Solchen Menschen begegnen Helene und Andreas mit offenen Armen und Herzen.

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Dieser Artikel erschien in der Hope Reiozeitung.

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Autor: Mirjam Fisch
Quelle: Hope Regiozeitung

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