Nicht Wilhelm Tell hat die Schweiz gegründet

General Guillaume Henri Dufour (l.) und Wilhelm Tell (r.)
Die Schweiz hat eine ausgeschmückte Geschichte über ihre Enstehung: Wilhelm Tell. Wer die Schweiz aber tatsächlich geprägt hat und warum die Nationalhymne ein psalmistisches Lied ist, ist kaum bekannt.

Es war nicht wirklich die Schweiz, sondern erst einmal die alte Eidgenossenschaft, welche durch den Rütlischwur begründet wurde. Diese war damals nur ein loser Bund verschiedener Kantone miteinander. Die moderne Schweiz als Gesamtstaat ist dagegen weniger als 200 Jahre alt. Erst nachdem die Eidgenossenschaft in den napoleonischen Kriegen untergegangen war, erstand wie durch ein Wunder aus den Trümmern etwas ganz Neues unter dem Namen «Schweiz».  

Rütlischwur?

Der ursprüngliche Bund, den die Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden bereits vor über 700 Jahren schlossen, begann interessanterweise mit den Worten «im Namen Gottes, des Allmächtigen». Tatsächlich zeigt der Inhalt des Bundes, dass es sich bei diesen Worten um mehr als nur eine kulturelle Floskel handelt. Sie schworen damals nämlich, ein Land zu begründen, in dem jeder Bürger gleiche Rechte haben soll, der Richterstuhl nicht für Geld verkauft werden soll und jeder den Anderen verteidigen müsse, ohne gezwungen zu sein, auch in Angriffskriegen mitzumachen. Diese drei Punkte waren allesamt völlig abnormal im Europa der damaligen Zeit, wo selbstverständlich sogar der Papst seinen Titel mit Schmiergeld erkaufte, Leibeigene unmöglich die gleichen Rechte wie der Adel oder der Klerus hatten, und Freundschaften nur gelangen, wenn man in Ehrlichkeit wie auch in Lüge zusammenhielt.   

Zwar galten die alten Eidgenossen damals weitherum als «unchristlich», weil der Inhalt ihres Bundes im vermeintlich christlichen Europa unüblich war. Doch zu Unrecht, denn tatsächlich finden sich Warnungen gegen Schmiergeld einerseits, das Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen andererseits sowie die Forderung, die Wahrheit über Vetternwirtschaft zu stellen, seit Jahrtausenden in der Bibel.  

Untreue Genossen

Doch leider blieben die Eidgenossen ihrem Schwur über die Jahrhunderte nicht treu. Anstatt alle Menschen gleich zu behandeln, sammelten sie Untertanengebiete. Und das rächte sich 1798, als die Franzosen die Schweiz angriffen. Es waren diese Minderberechtigten, welche halfen, die Schweiz zu besiegen. Der Untergang der Eidgenossenschaft war also eine direkte Folge dessen, dass der Bund mit Gott nicht eingehalten worden war.  

Napoleon hätte die Eidgenossenschaft für immer auflösen können. Und als er später von Österreich, Russland und Preussen besiegt wurde, hätten auch sie alle Rechte gehabt, die helvetischen Kantone unter sich aufzuteilen, zumal sie schon seit Jahrhunderten davon geträumt hatten.  

Schweiz blieb verschont

Verblüffenderweise geschah gerade das Gegenteil: Die gleichen Herrscher, welche in ganz Europa die alten diktatorischen Systeme wieder herstellten, liessen dagegen das liberale System der Schweiz weiter bestehen. Das Einzige, was sie den Eidgenossen aufzwangen, war die Schaffung neuer Kantone durch die Freilassung der Unterdrückten. Tatsächlich bot Helvetien in der Folge vielen Revolutionären und Freiheitskämpfern Unterschlupf, welche sich jeweils den Kanton auswählten, welcher ihrer Couleur am Besten entsprach.  

Kein Wunder, dass konservativ Eingestellte bald einmal diesem ungewohnt freiheitlichen Treiben ein Ende machen wollten. Einige Kantone schlossen sich zu einem sogenannten Sonderbund zusammen. Sie begannen, die liberalen Kantone anzugreifen und zählten darauf, dass ihnen die konservativen Nachbarländer mit ihren vergleichsweise riesigen Armeen helfen würden. Nun war nicht nur die Schweiz in Gefahr, sondern das einzige freiheitliche politische System, das es in Kontinentaleuropa noch gab.  

General Henri Dufour

In dieser entscheidenden Stunde trat der Mann auf die Bühne, dem wir die heutige Schweiz wirklich zu verdanken haben. Das war der Genfer Henri Dufour. Er wurde zum General der liberalen Kantone gewählt und es gelang ihm innerhalb kurzer Zeit, bevor ausländische Armeen eingreifen konnten, den Aufstand niederzuschlagen. 

Verblüffend ist allerdings die Art und Weise, wie er das tat. Weniger als einhundert Tote soll jener Bürgerkrieg gekostet haben. General Dufour verbot nicht nur unnötige Gewalt, sondern jede Plünderung oder Vergewaltigung. Berühmt wurde sein Motto: «Wir müssen aus diesem Kampf nicht nur siegreich, sondern auch ohne Vorwurf hervorgehen.»

Er sah in den abtrünnigen Kantonen keine Verräter, sondern Unverständige, welche es zu gewinnen galt. Tatsächlich unterwarf er sie nicht, sondern zwang sie bloss dazu, sich als gleichwertige Partner an der Schweizer Regierung zu beteiligen. Erst dadurch wurde der Weg frei, die moderne Schweiz als echte Demokratie zu gründen. 

Einzigartige Geisteshaltung des humanitären Generals

«Er gilt als 'ein demütiger und eifriger Jünger des Christus'», dessen Devise «Ehre und Brüderlichkeit», lautet (Ed. Ch., « Le général Dufour et la vie internationale », Le Journal de Genève, 15 septembre 1937, p. 1 (lire en ligne [archive], consulté le 9 juillet 2019). 

«Seine humane Haltung stammte nicht etwa aus weltlichem Humanismus, oder einer Überzeugung von individuellen Menschenrechten, sondern aus seinem religiösen Glauben» ( Zitat aus «Responsible leadership and ethical decision-making, edited by Sunil Savur and Sukhbir Sandhu, Howard Hour, Wagon Lane, Bingley, UK, 2017, ISBN: 978-1-78714-415-6,  Seite 44).

Die alte Eidgenossenschaft hatte keine gemeinsame Flagge gekannt. Die erste Fahne hatten die Franzosen den Schweizern gegeben. Es war Dufour, der die französische Trikolore durch das christliche Kreuz ersetzte: «Auf Bestreben von Guillaume-Henri Dufour erhielten die eidgenössischen Infanteriebataillone durch Beschluss der Tagsatzung vom 2. September 1839 einheitliche Fahnen, die ein weisses Kreuz auf rotem Grund… zeigen sollten.» (Wikipedia zu «Die Schweizer Flagge»)  

Rotes Kreuz

Später wurde Dufour auch zum ersten Präsidenten des roten Kreuzes gewählt, und auch das rote Kreuz auf weissem Feld geht auf ihn zurück (Sur le drapeau féderal. Manuskript um 1830: Revue militaire Suisse 1869).

Tatsächlich war damals die allgemeine Begeisterung für den christlichen Glauben so gross, dass die Schweiz als Staat einen jährlichen Dank-, Bet- und Busstag für das ganze Volk beschloss, an dem man nicht nur für den glimpflichen Ausgang des Bürgerkrieges danken, sondern auch dafür beten sollte, dass ein solcher nie wieder stattfände.  

Autor: Kurt Beutler
Quelle: Livenet

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