«Die religiösen Sendungen sind für mich ausserordentlich wichtig»
idea Spektrum: Herr de Weck, hat sich das Bild von Religion in den Medien gewandelt?
Roger de Weck: Das Thema Religion ist noch wichtiger geworden. Sehr viele Menschen orientieren sich ausserhalb der üblichen Bahnen religiös. Gleichzeitig ist Religion aber auch unwichtiger geworden, weil die Gesellschaft von Menschen durchsetzt ist, die weitab von jedem religiösen Denken leben. In diesem Paradox leben wir.
Es war schon als Chefredaktor beim Tagesanzeiger und bei der ZEIT in Hamburg mein Traum, eine eigene Religionsseite zu kreieren. Bei der ZEIT ist das dann erst meinem Nachfolger Giovanni di Lorenzo gelungen, der die wunderbare Seite «Glaube und Zweifel» einführte. Bei der SRG sind die religiösen Sendungen für mich ausserordentlich wichtig. Ich sehe sie als einen Treffpunkt der Wertediskussion und des Nachdenkens.
Man muss das Thema «Religion» dabei sehr breit fassen. Es gibt das herkömmliche Verständnis von Religion, aber es gibt in unserer Gesellschaft auch ungute Entwicklungen, die religiösen Charakter haben, beispielsweise den Kult um das Unternehmen Apple.
Stossen die religiösen Themen auf mehr Interesse bei den Zuschauern als früher, oder ist eher das Gegenteil der Fall?
Auch hier beobachten wir diese Ambivalenz. Auf nichts reagiert das Publikum so sensibel wie auf religiöse Themen, weil diese ganz nahe bei der Identität der Zuschauer und Zuhörer sind. Gleichzeitig gibt es natürlich einen Teil des Publikums, dem «die Religion» völlig gleichgültig ist. Wir sind aber für alle da. Sowohl für diejenigen, die in ihrem religiösen Denken und Glauben weiterkommen möchten wie für diejenigen, die das nicht interessiert.
Verliert das Christentum seine Bedeutung und seinen Stellenwert für die Medien in dem religiösen Angebot der heutigen Zeit?
Es ist zu beobachten, dass die herkömmlichen Konfessionen in der Schweiz an Stellenwert verlieren. Das war vor kurzem auch Gegenstand in dem wunderbaren Dialog zwischen Kirchenbundspräsident Gottfried Locher und Kardinal Kurt Koch in der NZZ. Diese Diagnose haben beide gemeinsam gestellt.
Gleichzeitig sieht man, dass die Freikirchen eher Zulauf haben, gerade weil sie in einer Gesellschaft, die audiovisuell geworden ist, das Sinnliche ansprechen. Das war ja die grosse Schwierigkeit des Protestantismus, des Zwinglianismus und Calvinismus. Der Protestantismus ist in einer Zeit entstanden, als der Buchdruck erfunden wurde. Man hat sich voll und ganz auf das Wort, also auf das gedruckte Wort ausgerichtet.
Heute leben wir in einer Gesellschaft, die – wie seit jeher die katholische Kirche – alle Sinne anspricht. Das Visuelle und das Musikalische prägt die Gottesdienste der Freikirchen zusehends und das ist sicher einer der Gründe dafür, dass sie gerade junge Menschen ganz stark ansprechen.
Freikirchen werden in der Öffentlichkeit gerne pauschal in die Sekten-Ecke gestellt. Auch in öffentlich-rechtlichen Medien hat man den Eindruck, dass oft einseitig über Freikirchen berichtet wird. Haben Sie nicht den Auftrag, auch hier ausgewogen zu berichten?
Über was wir auch immer berichten: Wir wollen als Berichterstatter einerseits «über den Dingen» stehen, aber auf der anderen Seite auch kritisch hinterfragen. Ich nehme zur Erklärung eine Parallele aus der Politik, weil ich mich in Ihrer konkreten Fragestellung zu wenig auskenne. Die Linke findet, dass die SRG viel zu oft die Agenda der SVP befolgt; die SVP hat den Eindruck, dass bei der SRG lauter Linke arbeiten und die Mitte-Parteien beschweren sich, weil sie aus ihrer Sicht zu kurz kommen.
Mit dieser mittleren Unzufriedenheit liegen wir, denke ich, nicht falsch und ich hoffe, dass wir in unserer Berichterstattung über alle möglichen religiösen Welten niemanden ganz glücklich machen, aber auch niemanden unfair behandeln.
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Datum: 12.09.2017
Autor: Christof Bauernfeind
Quelle: idea Spektrum Schweiz