Olympia-Seelsorger

Gebet ist noch wichtiger als Materialwahl

Der im Thurgau lebende Jörg Walcher kümmerte sich in Sotschi als Sportpfarrer um das seelische Wohl der Olympioniken.
Sportseelsorger Jörg Walcher

Athleten und Betreuer schätzen es, inmitten des Olympiadrucks eine diskrete Vertrauensperson zu haben, der man sein Herz ausschütten kann. Jörg Walcher, der Mann der ehemaligen Wasserspringerin Jacqueline Walcher-Schneider, ist so eine Ansprechperson. Er ist mit dem Schicksal vieler Olympioniken vertraut. Zu seinen Aufgaben als Sportseelsorger zählt das Feiern von Gottesdiensten. Aber auch Einzelgespräche mit Sportlerinnen und Sportlern stehen für ihn auf dem Tagesprogramm.

Jahrelange Investition

Wie findet der in Schladming geborene Olympia-Seelsorger den Zugang zu den Spitzenathleten? «Profi-Athleten und Trainer trauen keiner Person, die sie nicht kennen», bemerkt der 40-Jährige. Das Vertrauensverhältnis wachse oft über Jahre. «Es braucht Mut und Offenheit, mit unerwarteten Reaktionen umgehen zu können, dazu Herzlichkeit und viel Geduld.» Als ehemaliger Profi-Snowboarder kann sich Walcher gut in die Lage der Athleten hineinversetzen. Natürlich seien Sieg und Niederlage immer wieder ein Thema, erzählt Jörg Walcher. «Die Athletinnen und Athleten gehen mit Niederlagen ganz unterschiedlich um. Einige ziehen sich zurück, andere wiederum sind extrem froh, wenn sie mit jemandem darüber reden können. Manchmal direkt nach dem Wettkampf, manchmal auch erst Wochen später.» Nicht nur Niederlagen, auch Siege können belastend sein. «Es hat auch schon Fälle gegeben, wo jemand nach dem Gewinn der Goldmedaille in ein tiefes Loch gefallen ist. Da kommen dann Fragen nach dem Sinn des Lebens und der eigenen Bestimmung hoch.» Es sei schön, mitzuerleben, wenn jemand nach dem einen oder anderen Gespräch wieder Kraft schöpft.

Nicht nur Sieg oder Niederlage

«Nach dem Gebet am Abend vor dem Wettkampf meinte ein Athlet, dies sei für ihn wichtiger gewesen als die Frage der richtigen Materialwahl.» Ein anderer bedankte sich für das gemeinsame Gebet kurz vor dem Start im Eiskanal. Wieder andere Athleten beanspruchten Unterstützung wegen einer Verletzung, familiärer Probleme, mangelndem Selbstwert, Enttäuschungen oder wegen des hohen Erwartungsdrucks. Das Gebet helfe den Sportlerinnen und Sportlern, ruhig zu werden und biete die Möglichkeit, Belastendes vor Gott zu bringen und abzulegen, sagt Walcher. Mittlerweile geniesst Jörg Walcher auch das Vertrauen von Trainern und Betreuern. «Ich erhielt ein SMS vom Cheftrainer des österreichischen Skisprung-Teams mit der Bitte, einen Olympia-Gottesdienst zu halten.» Praktisch alle Athleten, Trainer und Betreuer waren dabei.

Wintersport-Bibel

Im vergangenen Jahr gab Walcher zusammen mit Hans-Peter Royer die Wintersport-Bibel heraus. Ein Neues Testament mit dem Buch der Sprüche und Lebensberichten von 30 Spitzensportlern. Unter ihnen sind auch der frischgebackene Kombinations-Olympiasieger Sandro Viletta, der zweifache Medaillengewinner Christof Innerhofer und die Slalom-Königin Marlies Schild.

Datum: 26.02.2014
Autor: Reto Baliarda
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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