Genial war Freuds Frage, nicht seine Antwort

Prof. Sigmund Freud
Sigmund Freud suchte zeitlebens nach einer Antwort auf das Rätsel der menschlichen Psyche. Die zentrale Wurzel der Probleme sah er in unerfüllten sexuellen Wünschen. Dabei liess er sich nicht auf eine Sichtweise ein, die ihm Antworten gegeben hätte.

«Er löste das berühmte Rätsel.» Diese Worte standen auf einer Medaille, welche Sigmund Freud 1906 von seinen Bewunderern zum 50. Geburtstag erhielt. Tatsächlich hatte der Wiener Arzt kein geringeres Ziel, als das Rätsel der menschlichen Psyche zu lösen. Dazu verhalfen ihm Träume, Hypnose, Elektroschocks, verschiedene Gesprächsdynamiken, Analyse von Versprechern und Fehlleistungen sowie Hysterie und Gefühlsausbrüchen. Er suchte nach traumatischen Erlebnissen als Schlüssel für die Auslösung der Störungen seiner Patienten. Dazu entwickelte er allmählich die sogenannte Psychotherapie mit dem Ziel, das Unbewusste bewusst zu machen.

Neu an Freud war, dass er psychische Störungen nicht als unheilbare Krankheiten, sondern als Symptome innerer Konflikte sah, welche so lange Schaden anrichteten, wie sie im Unbewussten versteckt blieben. Das Ziel war, die Disharmonie zu erraten und die unterdrückten Gefühle freizusetzen.

Unerfüllte sexuelle Wünsche und Vatermord

Jeder normale Mensch kennt Ängste, Krisen, Unsicherheit, Ablehnung, Einsamkeit, Unzulänglichkeit, Gefühle der Anonymität, Wertlosigkeit, Bedeutungslosigkeit und andere Sensibilitäten. Darum weigerte sich Freud, die Menschen wie anhin in «Verrückte» und «Gesunde» einzuteilen. Durch Beobachtungen bei verschiedenen Patienten – und nicht zuletzt an seiner eigenen Lebensgeschichte – glaubte er erkennen zu können, dass die grössten psychischen Störungen mit unerfüllten sexuellen Wünschen zu tun hätten. Schon im Alter von drei Jahren würden sich die Söhne zur Mutter hingezogen fühlen und die Väter als Konkurrenten empfinden.

Dieser innere Konflikt sei derart intensiv, dass er sogar Mordphantasien beinhalte. Mehr als das: Aus der Intensität der Störung der menschlichen Psyche folgerte Freud, dass tatsächlich vor langer Zeit ein Vatermord stattgefunden haben müsse. Man könne die allgegenwärtige Störung der menschlichen Psyche gar nicht anders erklären als durch das schrecklichste aller Traumas. Zur Zeit, als die «Urhorde» gerade anfing, ein Bewusstsein zu entwickeln, müsse sich als Konsequenz des Kampfes um die Weibchen des Clans ein Konflikt entwickelt haben, der mit einem Vatermord endete.

Widerlegung des Ödipus-Komplexes

Theologe Kurt Beutler

Professor Freud war sich gerade dieses Teils seiner Lehre so sicher, dass er nicht bereit war, davon abzuweichen, obwohl er damit in Konflikt mit einem Teil seiner Jünger geriet und sogar seinen vorgesehenen Nachfolger verlor. Tatsächlich sind der Theorie des Vatermordes folgende Mängel vorgeworfen worden:

  • Einige Patienten mögen zwar von einem inneren Konflikt erzählen, den sie als kleine Jungens mit ihren Vätern gefühlt haben wollen. Doch damit ist weder bewiesen, dass es wirklich so war (denn wir sprechen ja über Gefühle aus dem Unbewusstsein), noch dass es bei allen Kindern so ist.
    Noch ist damit ein Vatermord in grauer Vorgeschichte zwingend bewiesen. Auch wenn Freud für dieses von ihm postulierte Phänomen den gutklingenden Namen «Ödipus-Komplex» erfand, so ist damit nur an eine griechische mythologische Geschichte angespielt, die keinerlei Beweiskraft in sich trägt.
  • Wenn es wirklich in einer «Urhorde» ein derartiges Trauma gegeben hätte. so wären damit nur deren Nachkommen zu Schaden gekommen und nicht die gesamte Menschheit. Diese Familie wäre dann wohl im allgemeinen Überlebenskampf benachteiligt gewesen und gemäss den Gesetzen der Evolution – welche Freud nie hinterfragte – wieder ausgestorben.
  • Traumata verändern nichts an der DNA einer Person. Das Vatermord-Trauma hätte sich also nicht auf alle Menschen ausgewirkt, wenn es denn wirklich geschehen wäre. 

Also kann die ganze Theorie tatsächlich nicht stimmen. Doch die Frage, die Freud aufgeworfen hat, ist genial: Woher kommt denn die psychische Störung der ganzen Menschheit? Warum laufen wir voller Komplexe herum und halten unsere aufgewühlten Gefühle nur mit grösster Mühe einigermassen unter Kontrolle?

Antworten aus der Bibel

Die biblische Antwort war nicht im Blickfeld von Dr. Freud. Er war zwar Jude, aber nur kulturell. Schade, sonst hätte er nicht selber eine Phantasiegeschichte erfinden müssen, um seine eigene durchaus geniale Frage zu beantworten. Denn in der Thora findet sich tatsächlich eine Erzählung, welche seine Frage in phänomenaler Weise beantwortet, und zwar ohne die Mängel der Vatermordslegende.

Zum Ersten geht es dort tatsächlich um die Eltern der gesamten Menschheit und nicht nur um irgendeine von vielen «Urhorden». Zum Zweiten entfacht sich der Konflikt nicht um sexuelle innerfamiliäre Streitigkeiten, welche von Freud nach allgemeiner heutiger Überzeugung viel zu sehr in den Mittelpunkt gestellt wurden. Es geht um eine Rebellion gegen Gott, der mehr ist als ein Urvater. Die enorme Geborgenheit, welche die ersten Menschen im Paradies und in der Beziehung mit ihrem Schöpfer gemäss des Berichts erlebten, geht in einem Augenblick verloren. «Ihr werdet sein wie Gott», ist die grosse Verlockung.

Es geht sozusagen um eine Palastrevolution. Und das gegen den Urgrund allen Seins. Das kann nur zu einer beispiellosen Entwurzelung führen, welche den Menschen in seiner gesamten Gefühlswelt zutiefst erschüttert. Zum dritten erklärt die Geschichte vom Sündenfall auch, weshalb sich das Problem auf alle Generationen vererbt: Weil es eben nicht nur um momentane Schuldgefühle über einer bösen Tat geht, sondern den Verlust der ursprünglichen Geborgenheit, der bis heute jeden Tag neu erlebt wird. 

Erscheint die Geschichte vom Sündenfall heute nicht mehr «zeitgemäss»? Im Gegensatz zu Freuds Ödipussage ist sie allerdings perfekt geeignet, um die zentralste Frage der modernen Psychologie zu beantworten.

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Autor: Kurt Beutler
Quelle: Livenet

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