Gott finden inmitten einer Krankheit
Pastor Lai Kai Ming, Pastor einer Methodistenkirche in Singapur, wachte eines morgens besorgt auf: Die Sicht auf dem linken Auge war durch einen grossen Schatten verdunkelt. Ein Arzt bestätigte ihm kurz darauf, dass er auf dem Auge nur noch 75 Prozent seiner Sehkraft hatte. Das war vor elf Jahren, er war 43 Jahre alt, der Beginn seiner Reise in die Blindheit.
Als erstes wandte er sich an Gott: «Warum passiert mir das? Habe ich Dinge angeschaut, die ich nicht hätte anschauen dürfen? Jesus hat die Blinden geheilt – was ist mit mir?» Er hatte auch mit Selbstzweifeln zu kämpfen: «Als Pastor betest du für die Heilung anderer, aber wenn du selbst das Problem hast, bekommst du manchmal Selbstzweifel: Was werden die anderen über mich denken? Vielleicht glauben sie, dieser Pastor ist nichts wert!?»
Was er alles verloren hat
Unter was er genau leidet, konnten die Ärzte nie herausfinden. Vermutlich handelt es sich um den grünen Star oder eine Autoimmunkrankheit. Vor acht Jahren war das linke Auge komplett erblindet und das rechte Auge wurde ebenfalls beeinträchtigt – heute hat er dort nur noch 10 Prozent Sehkraft. Doch nicht nur die Sehkraft hat er verloren; er durfte mit 50 Jahren nicht mehr Autofahren, er verlor seine Unabhängigkeit, die Freude des Basketball-Spiels… «Zunächst war es noch in Ordnung. Als ich das eine Auge verlor, hatte ich noch das andere. Viele Menschen leben ganz normal mit einem Auge. Aber dann begann ich die Sehkraft auf dem zweiten Auge zu verlieren – da bekam ich Angst!»
Seine Krankheit veränderte auch die Familiendynamik: Vieles konnte er nicht mehr machen, er musste lernen, dass seine Frau jetzt den Haushalt und die Familie managt – und dass er geführt wird. Doch er hat gelernt, Hilfe zu akzeptieren und Aufgaben zu delegieren. Er hat gelernt, genau zu überlegen, mit wem er Zeit verbringt und welche Arbeit er macht. Er hat gelernt, «Nein» zu sagen und andere zu bitten, kurz zu warten, wenn nötig. Früher traf er schnell Entscheidungen – heute betet er zuerst. In anderen Worten: Er hat gelernt, es langsamer anzugehen.
Wenn Ängste aufkommen
Doch obwohl er sich an die Situation angepasst hat, obwohl er weiterhin seine Gemeinde leitet, hat der Pastor mit Ängsten zu kämpfen. «Was, wenn ich mich eines Tages nicht mehr erinnern kann, wie meine Frau und meine Lieben aussehen?» Das macht ihm Angst. «Wie werde ich Emails schreiben und lesen, wie weiter arbeiten? Werde ich vom Pastor zum Hörer abgestuft? Ich werde dieses Jahr 54 – wie kann ich die nächsten 15 Jahre als Pastor arbeiten?» Doch gleichzeitig ist Pastor Ming dankbar für sein gutes Gedächtnis und er liebt Herausforderungen. Etwa kreative Möglichkeiten des Lesens zu suchen.
Und dennoch…
Und er hält weiterhin an seinem Glauben fest. «Gott hat mich geschaffen; ich muss nicht kämpfen oder wütend sein. Leben ist mehr als das Augenlicht. Ich habe gelernt, zufrieden damit zu sein, dass ich lebe.» Menschen haben ihm gegenüber prophezeit, dass er geheilt werden wird und er ist weiterhin offen dafür. Doch er lernt auch jeden Tag, mit seiner Krankheit zu leben – und es zu geniessen, dass er nicht so stark abgelenkt wird. «In dieser Welt voller Informationen kann weniger tatsächlich mehr sein», bemerkt er. «Ja, ich habe die Tendenz, auf meine Erfolge und Fähigkeiten stolz zu sein. Vielleicht ist dieser ‚Dorn‘ gut für meine Seele und für meinen Dienst für Gott. Ich bin besser im Zuhören geworden.»
Ein Lied, das ihn besonders berührt, ist «Sovereign over Us» von Michael W. Smith. Pastor Kai Ming ist fest davon überzeugt: Gott ist hinter der Bühne am Arbeiten, selbst wenn wir es nicht sehen können.
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