Wenn Kidnapper plötzlich die Bibel studieren wollen…

Alanna Carson erzählt von der Entführung
Alanna Carson fliegt 2017 für einen einwöchigen Einsatz nach Nigeria. Doch am letzten Tag wird das ganze Team entführt. Hier ihre Geschichte und wie sie in Gottes Wort Frieden fand.

«Ich erinnere mich an diesen surrealen Moment, als ich in den Flur trat und diesen Mann in Uniform sah, der ein Automatikgewehr in den Händen trug. Ich wusste nicht, wohin sie uns bringen würden. Ich war mir in dem Moment nur einer Sache sicher: Sie würden uns mitnehmen und töten.»

Sehnsucht, die Botschaft weiterzugeben

Alanna Carson lebt in Ballymoney in Nordirland und arbeitet dort als Optikerin. Schon als Kind lernt sie Jesus kennen, aber erst in ihren späten Teenagerjahren entwickelt sie eine grosse Leidenschaft fürs Bibellesen. Je mehr sie liest, desto mehr versteht sie, wie sehr Gott sie liebt – so sehr, dass er seinen eigenen Sohn in den Tod schickte, damit sie leben kann. In ihr wächst eine tiefe Sehnsucht danach, rauszugehen und diese Botschaft mit anderen zu teilen.

Als sie mit 25 Jahren nach Wegen sucht, wie sie in die Missionsarbeit einsteigen kann, stösst sie auf die New Foundations Christian Medical Charity, ein Missionswerk, das nach Optikern für ihre medizinische Arbeit sucht. Der Leiter, Ian Squire, unternimmt jährliche Reisen nach Nigeria, um dort ehrenamtlich Grauer-Star-Operationen durchzuführen und augenärztliche Versorgung zu leisten. Für Alanna ist es die perfekte Gelegenheit, praktische Hilfe mit ihrer Leidenschaft für die Bibel und ihre Botschaft zu verbinden.

2017 fliegt sie für einen einwöchigen Einsatz nach Nigeria. Mitten im nigerianischen Delta hat Squire eine Klinik aufgebaut. Die Geräte und Mittel sind grösstenteils gespendet. Vor Ort bildet er Einheimische aus, um die Arbeit in seiner Abwesenheit eigenständig weiterzuführen. Das Team in der Klinik ist international und bunt. «Es machte mir grosse Freude, mit Menschen aus ganz verschiedenen Kulturen und Hintergründen zu arbeiten, die aber doch durch die gleiche Leidenschaft und denselben Glauben verbunden waren», berichtet Alanna.

Die Entführung

Eine Woche lang lebt und arbeitet sie mit den Menschen dort eng zusammen. Sie teilen nicht nur ihre Aufgaben, sondern auch ihren Glauben miteinander – gemeinsame Bibelstunden und Liedersingen mit der Gitarre. Am letzten Abend ist Alanna nach einem langen Tag in ihrem Zimmer des «Bungalows», wie sie den Komplex nennen, in dem sie untergebracht sind. Plötzlich, kurz nach Mitternacht, fällt der Strom aus. Wenige Momente später dringen Männer in Uniformen in ihr Zimmer ein. Es sind Mitglieder einer Gang. Sie treiben Alanna auf den Flur hinaus, wo ein weiterer Mann mit einem Automatikgewehr auf sie wartet. Gemeinsam mit dem Teamleiter Ian Squire und zwei weiteren Teammitgliedern, David und Shirley Donovan, wird sie zu einem Motorboot gebracht.

«Ich war mir in dem Moment nur einer Sache sicher: Sie würden uns mitnehmen und töten», sagt Alanna. «Während all diese Gedanken durch meinen Kopf zuckten, war da ein Vers aus Psalm 46, der immer und immer wieder in mir hochkam. Dort heisst es: ‚Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!‘» (Psalm 46, Vers 11).

Alanna und ihr Team werden in den Dschungel gebracht. Ihre Unterkunft ist eine Holzhütte ohne Seitenwände. Dort erfahren sie, dass die Kidnapper eine Forderung von umgerechnet 2,5 Millionen Euro an die nigerianische Regierung für ihre Freilassung gestellt haben. Zumindest einen Trost kann Alanna aus dieser Neuigkeit ziehen: Die Kidnapper wollen sie lebend.

Tod eines Lobsängers

«Zum Glück war Ian mutig genug, die Gangmitglieder zu bitten, ihm seine Bibel zu geben», erzählt sie. «Und ich kann gar nicht ausdrücken, welch ein Segen diese Bibel für uns war. Nicht nur an diesem ersten Morgen nach unserer Entführung, sondern durch die Zeit unserer Gefangenschaft hindurch. Wenn wir unsere Situation anschauten und den Ort, an dem wir uns befanden, empfanden wir nichts als Zweifel und Verzweiflung. Aber wenn wir uns auf Gottes Wort konzentrierten und ihn dort suchten, fanden wir Frieden, Freude und Anleitung. Ich glaube, deshalb ist es so grundlegend, in Gottes Wort verwurzelt zu sein, ganz unabhängig von der Situation.»

Die Kidnapper geben ihnen nicht nur Ians Bibel, sondern auch seine Gitarre. Gemeinsam singen sie die alte Hymne Amazing Grace, «Erstaunliche Gnade». Nach dem Lied steht Ian auf. Schüsse fallen. Vor den Augen seiner Teammitglieder bricht Ian zusammen und ist sofort tot.

«Es gab keinen Grund dafür, Ian zu töten», erinnert sich Alanna. «Ich bin dankbar zu wissen, dass er jetzt im Himmel ist. Und ich weiss, er ist nicht dort, weil er ein guter Mann war oder weil er wohltätige Arbeit leistete, sondern weil er an Jesus Christus glaubte.»

Frieden im Chaos

Vor ihrer Abreise hatte Alanna um Gelegenheiten gebeten, die Gute Nachricht mit Menschen aus Nigeria teilen zu können. Damals ahnte sie noch nicht, auf welche Weise dieses Gebet erhört werden würde. Gemeinsam mit den beiden anderen verbliebenen Geiseln verbringt Alanna jeden Tag Zeit mit Bibellesen und gemeinsamem Gebet.

«Gegen Ende unserer letzten Woche in Gefangenschaft sprachen ein paar der Gangmitglieder uns an und baten tatsächlich darum, an unserer Bibelstunde teilnehmen zu dürfen. Sie hatten gesehen, dass wir durch das gemeinsame Gebet und das Lesen in Gottes gutem Wort Frieden mitten in diesem Chaos finden konnten. Und das wollten sie auch haben. Es war ein unglaublicher Segen, der allein durch Gottes wirkenden Geist möglich wurde.»

Für Alanna ist es eine Herausforderung, diesen Kontakt mit ihren Kidnappern – den Mördern ihres Freundes Ian – zuzulassen. «Aber Gottes Wege sind nicht unsere Wege. Und weil Gott mich dazu befähigte, konnte ich diesen Männern vergeben. Gleichzeitig wuchs in mir eine grosse Sehnsucht danach, mit ihnen das Evangelium zu teilen. Unsere Herzen wandelten sich von Hass und Anschuldigungen zu dem Wunsch, ihnen Gottes Wort zu bringen und Zeugnis zu geben.»

«Solange ich lebe»

Alanna und ihr Team werden fortwährend über die Verhandlungen mit der Regierung auf dem Laufenden gehalten, und schliesslich sieht es so aus, als würde eine Einigung scheitern. Aber eines Morgens erwacht Alanna mit diesem unbändigen Gefühl: Jetzt passiert es. An diesem Tag liest sie in Psalm 27, Verse 13-14: «Doch ich vertraue fest darauf, dass ich noch sehen werde, wie gut Gott ist, solange ich lebe. Vertraue auf den Herrn! Sei mutig und tapfer und hoffe geduldig auf den Herrn!»

«Was mich am meisten ermutigte, war die Formulierung 'solange ich lebe'. Das gab mir den Mut und die Zusicherung zu glauben, dass Gott hier zu mir sagte: Ja, du kommst hier lebend raus.»

Zwei Tage später zahlt die nigerianische Regierung das Lösegeld. Alanna und ihren beiden überlebenden Teammitgliedern werden die Augen verbunden. Man fährt sie zu einem Treffpunkt, an dem zwei Geländewagen der nigerianischen Armee auf sie warten. Nach 22 Tagen endet die Gefangenschaft. Wenig später ist Alanna zurück in Irland, wo sie von Familie, Freunden und Kollegen freudig empfangen wird, die fortwährend für sie gebetet und gehofft haben.

Gott wird Gutes hervorbringen

Ihre Erlebnisse im nigerianischen Dschungel begleiten sie noch lange. Dennoch ist es für Alanna nicht nur ein Trauma, auf das sie zurückblickt, sondern eine wichtige Erfahrung. «Alle Christinnen und Christen erleben schwere Zeiten. Sie alle erleben Prüfungen. Und manchmal glauben wir, dass wir als Christen gegen solche Erfahrungen immun sein sollten. Aber die Bibel erzählt uns tatsächlich genau das Gegenteil. Sie sagt uns ganz ungeschönt, dass wir Schweres erleben werden. Aber Gottes Segen liegt darin, dass er mit uns gemeinsam da durchgeht, dass er bei uns ist und Gutes daraus hervorbringen wird, selbst wenn wir das erst in der Ewigkeit im Rückblick auf unser Leben erkennen können. Ich bin in gewisser Weise dankbar für meine Entführung. Denn jetzt weiss ich, dass Gott real ist, dass er treu ist und durch sein Wort, durch die Bibel zu mir spricht. Und ich weiss das nun so viel klarer und konkreter als je zuvor. Es ist unglaublich schwer, wütend über diese Erfahrung zu sein, wenn ich sehen kann, wie gut Gott in dieser Zeit zu mir war, wie klar er zu mir gesprochen hat und auch weiterhin zu mir spricht.»

Alanna arbeitet immer noch als Optikerin. Ebenso tritt sie auf Konferenzen als Rednerin auf, um über ihre Gefangenschaft, aber besonders über Gottes Treue und den Halt zu berichten, den sie in Gottes Wort findet – im Alltag, mitten im nigerianischen Dschungel und in jeder Situation. Eine wichtige Erkenntnis, die sie aus ihrer Zeit der Gefangenschaft mitgenommen hat, teilt sie gerne und eindringlich: «Wir lesen die Bibel nicht, damit Gott uns mehr liebt. Wir lesen sie, weil wir sie brauchen.»

Alanna Carson hat ihre Geschichte auf der Webseite der Schottischen Bibelgesellschaft erzählt. Ihr Bericht wurde übersetzt und aufgezeichnet von Lydia Riess. Verwendung des Materials mit freundlicher Genehmigung der Scottish Bible Society; alle Rechte vorbehalten.

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Autor: Lydia Riess
Quelle: Magazin Faszination Bibel 01/2025, SCM Bundes-Verlag

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