Den Glauben greifbar an Kinder weitergeben

Es ist wichtig, den Kindern schon früh den Glauben weiterzugeben
Wie kann man den eigenen Glauben klar und greifbar an Kinder weitergeben? Eine biblische Spurensuche zur Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation.

In Freien evangelischen Gemeinden wird der Glaube an den Gott weitergegeben, von dem die Bibel erzählt. Dabei spielt nicht nur die Weitergabe des Glaubens in Evangelisation und Mission eine Rolle, sondern auch die Weitergabe an die nächste Generation – an Kinder und Jugendliche. Neben dem Kindergottesdienst und Jugendkreisen ist dafür der sogenannte «Biblische Unterricht» (BU) der klassische Ort, an dem solche Glaubensweitergabe geschehen soll.

Aber: Wie biblisch ist der «Biblische Unterricht» eigentlich? Was erfahren wir aus der Bibel selbst darüber, wie in Israel und in den frühen christlichen Gemeinden diese Weitergabe des eigenen Gottesglaubens an die nächste Generation aussah?

Familie als Biblischer Bildungsort

Zwei Beobachtungen, die wir schnell machen können, wenn wir die biblischen Texte auf diese Frage hin untersuchen, zeigen uns, dass damals einiges anders war als bei uns heute:

1. Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament ist vielfach von «lehren», «unterweisen» u. ä. die Rede. An den allermeisten Stellen bezieht sich das allerdings darauf, dass ein Erwachsener einen anderen, oft zwar jüngeren, aber dennoch bereits erwachsenen Menschen lehrt. Die wenigen Stellen, die sich auf eine Weitergabe des Glaubens an Kinder und junge Menschen vor dem Eintritt in die Gemeinschaft der Erwachsenen beziehen, beschreiben fast ausschliesslich die Familie als Ort, an dem diese Weitergabe geschieht. Eine Art institutionalisiertes Bildungsangebot für Kinder ausserhalb der Familie – wie wir das heute mit der Schule oder eben mit dem «Biblischen Unterricht» in unseren Gemeinden haben – scheint es nicht oder kaum gegeben zu haben.

2. Wir unterscheiden heute sogenannte «religiöse Bildung» von anderen Bereichen der Bildung, z. B. naturwissenschaftlichen oder sprachlichen Kenntnissen. Dem entspricht, dass Religion für uns ein Bereich des gesellschaftlichen Lebens neben anderen ist (wie z. B. Politik, Wissenschaft, Kunst etc.). Diese Unterscheidung gibt es in antiken Gesellschaften in dieser Form nicht. Das, was wir als «religiöses Wissen» kennzeichnen würden, ist untrennbar mit anderen Formen des Wissens, verbunden. Einfach gesagt: Wenn ein Kind etwas über Viehzucht, Ackerbau oder das Wetter lernt, lernt es immer auch etwas über den Glauben an Gott bzw. die Götter seiner Eltern.

Die Ausrichtung auf den einen Gott und seine Gebote weitergeben

Wie sieht das also aus, wenn zu Zeiten der Entstehung unseres Alten Testaments Glaube an die nächste Generation weitergegeben wurde? Dass diese Weitergabe Aufgabe aller in Gottes Volk ist, daran lassen die biblischen Texte keinen Zweifel: «Nehmt nun diese Worte zu Herzen (…) und lehrt sie eure Kinder, dass du davon redest, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst.» (5. Mose 11,18–19 | Lutherübersetzung 1984 | LU). Diese Aufforderung bezieht sich zunächst auf die Gebote und Weisungen Gottes, die in der Erzählung anschliessend von Mose genannt werden (vgl. Kapitel 12–26). Damit steht Israel zunächst ganz im Rahmen der anderen Kulturen in ihrer Umgebung: Auch in Ägypten und Mesopotamien «stand die Erziehung im Dienst einer Einübung in die Ordnung des Lebens.»

Wenn wir genauer hinsehen, geht es bei der Weitergabe des Glaubens im Alten Testament aber nicht nur um das Verinnerlichen der göttlichen Gebote – im Zentrum steht vielmehr die Ausrichtung auf den einen Gott als grundsätzliche Haltung. Das wird hier besonders deutlich, wenn auch im Kontext eines Gebots: «Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft» die Aufforderung zur Weitergabe dieser Haltung an die Kinder wiederholt wird (5. Mose 6,4–9 | LU).

Dass die Weitergabe dieser Haltung immer mit mir selbst zu tun hat, zeigt sich dabei durch das vorgeschaltete: «diese Worte sollst du zu Herzen nehmen und deinen Kindern einschärfen.» Wir werden erinnert, dass Weitergabe von Glauben nicht das Unterrichten irgendwelcher Dinge ist, die mit mir selbst nichts zu tun haben. Mehr als bei anderen Lehrinhalten ist mein eigenes Herz gefragt, bevor ich Glauben weitergeben kann.

Gottes Geschichte weitererzählen

Auffällig ist dann, dass sich die Glaubensweitergabe in den biblischen Texten immer wieder an konkreten Bräuchen im Leben der Familie entzündet, wie etwa an der gemeinsamen Feier des Pessachfestes. Das Lernen der Glaubenstraditionen durch die Kinder hat also ganz bestimmte Anlässe. Diese Anlässe sind für sie erklärungsbedürftig und sie fragen die Eltern nach deren Grund: «Wenn dich heute oder morgen dein Sohn fragen wird: Was bedeutet das?» (2. Mose 13,14a | LU). «Was bedeutet das alles?» – diese Frage ist bewusst erlaubt und erwünscht. Es geht nicht darum, Traditionen einfach ungefragt zu übernehmen, «weil das schon immer so war.» Vielmehr zeigen die Texte der Bibel, dass solches Fragen legitim und ganz normal ist. Die ehrlichen Fragen der nachfolgenden Generation eröffnen einen Raum, in dem die Geschichte Gottes weitererzählt werden kann und soll.

Diese Geschichte ist eine Geschichte der Befreiung: «Dann sollst du ihm [d. h. dem Sohn] sagen: Der HERR hat uns mit mächtiger Hand aus Ägypten aus der Knechtschaft geführt.» (2. Mose 13,14b | LU). Diese Geschichte ist gute Botschaft, Evangelium pur: Wir glauben an einen Gott, der in die Freiheit führt, der alle Knechtschaft beendet. Eine solche Glaubensweitergabe macht den guten Grund für das eigene Glauben und Vertrauen konkret deutlich und lädt die nächste Generation so ein, auch auf diesen Gott zu vertrauen.

Selbst hören lassen

Faszinierend ist beim Blick auf die biblischen Texte, dass sich Glaubensweitergabe hier nicht einfach in einer Einführung in Traditionen und Geschichten erschöpft. Das wird besonders an einer der wenigen Stellen deutlich, an der von einem Kind die Rede ist, das nicht innerhalb der eigenen Familie den Glauben an den Gott Israels kennenlernt: Samuel. Von Samuel wird erzählt, wie seine Eltern ihn aus Dankbarkeit für seine unerwartete Geburt als Schüler des Priesters Eli am Heiligtum in Schilo lassen (vgl. 1. Samuel 1,24–28). In dem Kapitel 1. Samuel 3 findet sich dann die bewegende Geschichte, wie der junge Samuel nachts von Gott gerufen wird. Er geht zunächst davon aus, Eli habe ihn gerufen. Als sich das drei Mal wiederholt, versteht Eli, dass Gott selbst seinen Schützling ruft und sagt zu Samuel: «Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, HERR, denn dein Knecht hört.» (1. Samuel 3,9 | LU). Eli verhält sich in dieser Geschichte vorbildlich. Obwohl er sich vermutlich wünscht, dass seine eigenen Söhne von Gott gerufen werden, stellt er sich Gottes Handeln und Reden nicht in den Weg. Sein Wunsch ist, dass Samuel selbst unmittelbar Gott begegnet.

Die grösste Kunst bei der Weitergabe des Glaubens besteht nicht darin, der nachfolgenden Generation zu sagen, was sie von Gott hören soll; sondern ihr beizubringen, selbst zu hören. Das braucht freilich eine grosse innere Freiheit, Bescheidenheit und Vertrauen auf den lebendigen Gott; vor allem, wenn bei diesem Hören etwas wächst, das quer zu meinen eigenen Vorstellungen läuft. Aber die Weisheit der Bibel ist hier unübertrefflich; denn anders wird diese Weitergabe nicht gelingen, als dass die vorangehende Generation der nachfolgenden einen Raum eröffnet, selbst zu hören, ihre Erfahrungen mit Gott zu machen und einen eigenen Glauben zu entwickeln.

Das Ziel im Blick behalten

Dieser Raum ist und bleibt allerdings von einem ganz bestimmten Ziel erfüllt, einer Sehnsucht auf Seiten der vorangehenden Generation. Sie will es «auch ihren Kindern verkündigen, dass sie setzten auf Gott ihre Hoffnung und nicht vergässen die Taten Gottes.» (Psalm 78,6–7 | LU). Wer diesen Gott kennengelernt hat, der in die Freiheit führt, wünscht sich für seine Kinder natürlich nichts anderes, als dass auch sie ihre Hoffnung auf diesen Gott setzen.

Die biblischen Texte ermutigen uns dazu, dieses Ziel im Blick zu behalten, wenn wir unseren Glauben an die nachfolgende Generation weitergeben. Bei der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden kann, dürfen wir allerdings ganz kreativ und angstfrei und mutig sein. Ganz in der Spur des Gottes, der in die Freiheit führt. Damit Raum entsteht für das eigene Hören und das eigene Glauben der nächsten Generation.

 

Autor: Philipp Herrmannsdörfer
Quelle: Magazin Christsein Heute 8/2024, SCM Bundes-Verlag

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