«Glaube: Keine Frage von Bildung»
«Ich bin jetzt Christin.» Bis heute erinnere ich mich, wie meine Worte die Gesichtszüge meiner ehemaligen Jugendgruppenleiter entgleisen liessen. Ich bin in der politischen Jugend grossgeworden und Religion war dort etwas für Träumer, die nicht in der Lage oder willens waren, sich gesellschaftlichen Problemen aktiv und mutig zu stellen. «Wenn man etwas nicht weiss und durchschaut, dann muss man halt glauben. Wenn man nicht selbst tätig werden will, dann schiebt man Gott vor.» Das war der Blick auf Gläubige, egal welcher Religion. Und das effektivste Gegenmittel gegen Glauben war: Bildung. Und hier stand ich – politisch gebildet, studiert – und frisch bekehrte Christin. Was für eine Enttäuschung.
Ich konnte diesen Menschen, die mich in meinen prägenden Jugendjahren begleitet hatten und deren Meinung und Achtung mir so wichtig war, nicht vermitteln, was mich am Glauben faszinierte: Dass Jesus mir nicht als abstraktes Konstrukt begegnet war, sondern als existierende, lebende Person mit Wesen und Charakter. Je verzweifelter ich versuchte es zu erklären, desto hölzerner fühlten sich meine eigenen Worte an. Als würde ich an Sägespänen in meinem Mund vorbeireden wollen, wurde alles, was ich sagte, immer trockener und staubiger. Je länger ich mir selbst zuhörte, desto mehr hörte es sich entweder nach psychischer Störung oder nach Gehirnwäsche an. Ich kam ins Straucheln und hielt schliesslich den Mund. Das sollte mir noch häufiger passieren.
Glaube ist Beziehung und Kommunikation
Glaube ist keine Frage von Bildung. Er ist weder Wissenslücke noch unhinterfragtes Befolgen von Regeln. Glaube an Jesus ist eine Beziehung zu einer lebendigen Person und entwickelt sich durch Vertrauen und Zuneigung. Wie bei allen Beziehungen braucht es hierfür Zeit, geteilte Erfahrungen und Kommunikation. Ja, ich glaube, dass Kommunikation ein Schlüssel für den Glauben ist: sich selbst mitteilen und etwas von Gott hören. Doch offensichtlich kann man sich mit Gott nicht auf die gleiche Weise austauschen wie mit Menschen. Man kann Gott weder hören noch sehen. Natürlich kann man ihn in der Schöpfung wahrnehmen, aber das meine ich gerade nicht. Ich meine diese guten, ehrlichen Couch-Gespräche, bei denen man sich in die Augen sieht, Fragen stellt und sich bei Missverständnissen direkt korrigieren lassen kann (oder mit dem Sofakissen nach dem Gegenüber wirft). Das alles fehlt mit Gott. Trotzdem ist die Beziehung zu ihm real … wenn auch anders. Das macht sie sowohl wunderschön als auch herausfordernd. Denn es verändert die Kommunikation und ausserdem lässt sich diese Beziehung nicht beweisen und nur schwer beschreiben.
Beziehung braucht ein Fundament
Lust auf ein kurzes Gedankenexperiment? Du bist auf einer Firmenfeier und triffst zum ersten Mal live auf eine Kollegin, die du bisher nur aus Mails kennst. Ihr schreibt euch schon lange und neben dem Geschäftlichen wechselt ihr auch schon mal das ein oder andere private Wort. Sie stellt dich weiteren Kollegen vor, doch sie beschreibt dich ganz anders, als du erwartet hattest. Sätze eurer Konversation werden aus dem Zusammenhang gerissen, Aussagen, die du über dich geschrieben hast, werden uminterpretiert. Wie wäre deine Reaktion? Wahrscheinlich ähnlich wie meine: je nach Tagesform verwirrt bis sauer.
Es mit einer Person zu tun zu haben, bedeutet, dass ich nicht frei interpretieren kann, wie diese Person ist. Ich kann ihre Aussagen, egal, ob sie aus gesprochenen oder geschriebenen Sätzen stammen, nicht einfach aus dem Kontext nehmen und dann im Setzkastensystem neu zusammenpuzzeln. Das wird der Person nicht gerecht.
Bei jeder Kommunikation muss man Missverständnisse einberechnen. Vor allem bei geschriebenen Worten, da hier Mimik und Gestik fehlen. Und doch gehen wir davon aus, dass Worte verstanden werden können. Auch schriftliche Worte: Bei unserem Arbeits- und Mietvertrag ist das die Voraussetzung, bei Gesetzen auch und bei persönlicher Kommunikation ist es nicht anders. Manchmal halten wir sogar mündliche Absprachen schriftlich fest, um eine feste, gemeinsame Basis zu schaffen, auf die wir uns stützen können.
Gott teilt sich mit
Gott hat in der Kommunikation mit uns einen ähnlichen Weg gewählt. Damit keine Willkür einzieht, weil jeder von Gott etwas anderes verstanden haben will, hat er uns eine gemeinsame, schriftliche Basis gegeben – seine Bibel. Diese Sammlung von Schriften, über Jahrhunderte hinweg von verschiedenen Autoren verfasst, trägt Gottes Unterschrift. Gott selbst garantiert uns, dass dies sein Wille ist.
Und auch wenn es an manchen Stellen Verständnisschwierigkeiten gibt und uns so mancher Kulturschock beim Lesen den Atem nehmen kann: Unterm Strich kommt sehr deutlich heraus, wer und wie Gott ist und wie er verstanden werden möchte. Das fordert mich heraus, entspannt mich aber auch. Denn ich muss Jesu Stimme unter all den anderen Stimmen, die in meinem Kopf und Leben vor sich hinreden, nicht subjektiv herausfiltern. Sondern ich habe eine schriftliche Grundlage, an der ich das, was ich in meinen persönlichen Gebeten und in meinem Alltag höre und erlebe, messen kann.
Und nein: Bildung ist nicht hinderlich beim Glauben. Gerade Kultur- oder Sprachwissenschaften helfen, biblische Texte zu verstehen. Ich bin dankbar, dass es gute Bücher gibt, die biblische Hintergründe verständlich erklären. Aber vor und über alldem steht mein tiefes (und ja, kindliches) Vertrauen, dass Jesus mit seinem Heiligen Geist bei mir ist, wenn ich die Bibel lese und mich verstehen lässt, was er sagen möchte. Ich glaube nicht, dass die Bibel nur studierten Theologen, Literatur- und Geschichtswissenschaftlern verständlich sein kann. Dafür wurde sie nicht verfasst. Sie wurde für alle Menschen geschrieben, die nach Gottes Herz suchen. Ich vertraue darauf, dass Jesus sich durch die Zeilen der Bibel vorstellt und wir ihn Stück für Stück besser kennenlernen können. Denn es geht ihm um Beziehung. Daran glaube ich.
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