Glaube «funkioniert» nicht
Ich finde beten und Bibel lesen oft langweilig. Wenn du das insgeheim genauso empfindest, dich aber bisher nicht damit hinter dem Busch hervorgetraut hast: Du bist nicht allein. Und ich wähne uns Stille Zeit-Schwänzer sogar in ziemlich grosser Zahl. Das ist recht oft so bei den Dingen, die beim Christsein unbequem bis schwierig sind und über die man deshalb nicht so gern redet. Also: Willkommen im Club!
Dir ist bestimmt auch schon aufgefallen, dass es unter Christen sehr angesagt ist, von seiner Morgenroutine mit «Stiller Zeit», Bibelleseplänen, Bullet-Listen, Dankbarkeitstagebüchern und natürlich Bible Lettering zu erzählen. Sieht schick aus und der christliche Buchmarkt überschwemmt uns von Saison zu Saison mit den entsprechenden, schön aufgemachten Produkten. Wer sie mag und damit zurechtkommt, ist super bedient. Ich will diese Hilfsmittel nicht in Abrede stellen. Aber diese Herangehensweise muss nicht jedermanns Sache sein. Denn wenn ich über die Jahre eins über den Glauben gelernt habe: So, wie ihn diejenigen leben, die gern und viel davon erzählen, musst du es nicht machen. Glaube «funktioniert» nämlich nicht. Glaube ist ein Geschenk.
Falsche Versprechen
In meinen Anfangsjahren als Christin bin ich mit der Annahme, dass Glaube eben doch irgendwie funktioniert, immer wieder auf die Schnauze gefallen. Das schreibe ich bewusst so, weil es sich jedes Mal so angefühlt hat. Ich war damals jung und naiv. Ich wollte gefallen und dazugehören. Und man gehört dazu, wenn man mitreden kann. Denn leider, leider hat sich in unserer leistungsorientierten Gesellschaft auch in Sachen Glauben die Ansicht eingeschlichen, dass dieser eine Art Werkstück sei, das man mit möglichst viel Einsatz entwickeln und perfektionieren müsse.
Mit 16 Jahren habe ich meinen damaligen Atheismus aufgegeben und versucht, als Christin zu leben. Ich bin viele Jahre beinahe darüber verzweifelt, weil ich trotz meines Bemühens Gott kaum je spürte oder hörte. Dabei hat man mir oft genug versprochen, dass es so kommen würde, wenn ich nur dieses oder jenes täte und mich dabei fleissig anstrengte.
Genervt und gelangweilt
«Gott wird zu dir sprechen, wenn du dir Zeit nimmst und regelmässig zu ihm betest», hat man mir versprochen. Das wollte ich gern erleben, also habe ich mir die Zeit genommen und gebetet. Aber es fühlte sich immer nur an wie ein Selbstgespräch, durchdrungen von Schweigen, weil man beim Beten ja auch zuhören soll. Meistens schweifte ich gedanklich ab. Mein Geist war zu rastlos zum Stillsitzen und Beten. Ich bekam es nicht hin.
«Wenn du Lobpreislieder singst, wirst du Gottes Gegenwart fühlen», hat man mir versprochen. Und jetzt oute ich mich schon wieder: Ich mag keinen Lobpreis. Der Grossteil des christlichen Liedgutes ist mir einfach zu schwülstig. Darf man das sagen? Naja, jetzt ist es raus.
«Wenn du regelmässig in der Bibel liest, wird sich Gott dir offenbaren», hat man mir versprochen. Ich habe versucht, eine Bibellese-Routine zu finden, bin aber jedes Mal nach wenigen Versuchen frustriert hängen geblieben und habe mich geschämt. Warum um alles in der Welt war ich nicht in der Lage, Morgen für Morgen mit der Bibel «aufzutanken» und Freude bei dem zu empfinden, was ich da las? Warum war ich stattdessen genervt und gelangweilt und oft gar nicht so fasziniert von den ganzen alten Geschichten, wie ich es als gute Christin gefälligst zu sein hatte?
Gott hinter dem Ofen hervorlocken
Beten, Bibel lesen, lobpreisen – das alles funktionierte bei mir nicht. Ich versuchte, das christliche Pflichtprogramm abzuspulen, empfand es aber in erster Linie als lästige Pflicht. Mit Gott brachte mich nichts davon in Kontakt. Und natürlich glaubte ich, das sei meine Schuld. Ich war einfach zu faul, zu skeptisch, zu nüchtern, zu peinlich berührt. Andere Christen schafften es, Gott hinter dem Ofen hervorzulocken. Mir wollte es nicht gelingen. Also lag der Fehler bei mir. Glaubte ich. Oder war es etwa doch nicht mein Versagen?
Vor einigen Jahren las ich für ein Schreibprojekt die Emmaus-Geschichte in der Bibel – und stiess dabei völlig unvorbereitet auf einen der für mich steilsten Sätze der gesamten Bibel. Die steilsten Sätze sind übrigens oft jene, die man schnell mal überliest. In der Geschichte machen sich zwei Jünger am Tag der Auferstehung Jesu nichtsahnend und todtraurig auf den Heimweg nach Emmaus. Sie sind schon eine Weile gegangen, da schliesst sich ihnen plötzlich Jesus selbst an. «Aber sie wussten nicht, wer er war, weil Gott verhinderte, dass sie ihn erkannten.» (Lukas Kapitel 24, Vers 16)
Nicht mehr dieser Krampf
Als ich diesen Satz las, war plötzlich der Druck weg. Der ständige Gegenwind aus Fragen wie: «Warum erlebe ich Gott so selten?», «Warum funktioniert das mit dem Glauben für mich oft nicht?» oder «Was mache ich denn immer falsch?» legte sich. Vielleicht ist es gar nicht immer meine Schuld, wenn ich Gott mal nicht erkenne. Vielleicht gibt es auch in meinem Leben Zeiten, in denen er das sogar verhindert. Vielleicht hat er mich mit den ganzen Pflichtübungen bewusst ins Leere laufen lassen, weil er sich lieber auf anderen Wegen erleben lassen will.
Seitdem glaube ich entspannter. Und viel lieber. Es ist nicht mehr dieser Krampf, sondern ich beginne immer mehr zu begreifen, was Glaube wirklich ist. Nichts, was ich besitzen könnte oder was ich mir gegen meinen inneren Schweinehund erarbeiten müsste, sondern etwas viel Schöneres: ein Geschenk.
Zur Autorin:
Katrin Faludi ist Redakteurin beim ERF – Der Sinnsender und Autorin mehrerer Bücher, u. a. zum Thema Glauben und Zweifeln. Sie lebt mit ihrer Familie im Rhein-Main-Gebiet.
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