Ausgebrochen aus einem Leben ohne Hoffnung
Die Hütten sind dicht aneinandergedrängt. Es gibt keine Ordnung, kein fliessendes Wasser, keine Toiletten», beschreibt Jennifer den Slum, in dem sie mit ihrer alleinerziehenden Mutter und ihren zwei Brüdern lebte. «Du stehst morgens auf und wenn es nichts zu essen gibt, gehst du raus zum Spielen. Du hoffst, dass es etwas zum Mittagessen geben wird. Wenn es etwas zu essen gibt, dann isst du, wenn nicht, gehst du wieder spielen.»
Ohne Ausbildung und ohne festen Job gab Jennifers Mutter alles, um für ihre Kinder zu sorgen. «Meine Mutter hat immer hart gearbeitet. Sie hat ihr Bestes gegeben, um sich unter den gegebenen Umständen um uns zu kümmern.» Trotzdem war Jennifers Leben ohne Hoffnung und Perspektive. «Hoffnungslosigkeit ist für mich die Unfähigkeit zu glauben, dass die Dinge besser werden können. Die Umgebung, die du siehst, schränkt dich ein, und es scheint, als ob alles gegen dich ist.»
Ein schlaues Kind
Als Kind realisierte Jennifer nicht, was sie alles nicht hatte. Erst durch das Kinderzentrum, das an eine lokale Partnerkirche des Kinderhilfswerks Compassion angebunden ist, lernte sie etwas anderes kennen. Sie hatte plötzlich Zugang zu medizinischer Versorgung, bekam eine gesunde Mahlzeit, die Schulgebühren wurden übernommen und sie hatte eine ordentliche Schuluniform. Im Kinderzentrum lernen die Kinder und Jugendlichen grundlegende Fertigkeiten und bekommen Lebenskompetenzen vermittelt.
Die Mitarbeiter im Kinderzentrum haben ein Auge dafür, Talent und Potenzial in den Kindern zu entdecken. «Ich glaube, ich war ein schlaues Kind, aber habe es selbst nicht wahrgenommen. Die Mitarbeiter haben etwas in mir gesehen und mich in meinen Fähigkeiten gefördert.» Besonders als Jennifers Mutter unerwartet starb, standen die Sozialarbeiter im Kinderzentrum der damals 14-Jährigen zur Seite. Sie sorgten dafür, dass sie in einem Internat unterkam und weiterhin am Patenschaftsprogramm teilnehmen konnte.
Stimme für die Armen
Im Internat hatte Jennifer mit Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen sozialen Schichten zu tun. «Dadurch habe ich realisiert, dass das Leben mehr zu bieten hat und ich so viel erreichen kann.» In dieser Zeit reifte der Wunsch in ihr, Anwältin zu werden. «Die Umgebung zu sehen, in der ich aufgewachsen bin und sich zu fragen, was kann ich in dieser Situation tun: Das war der Grund, warum ich mich für Jura entschieden habe. Ich wollte zumindest eine Stimme für diejenigen sein, die in Armut leben und deren Rechte verletzt werden.»
Heute arbeitet Jennifer Gitiri als Anwältin am Obersten Gericht von Kenia. Zudem ist sie Expertin für internationales Menschenrecht. Sie setzt ihre Stimme für die Menschen in Kenia ein, weil sie weiss, was Perspektivlosigkeit mit einem Menschen machen kann. «Weltweite Armut kann nicht einfach beendet werden. Jeder kann aber in seiner Umgebung etwas tun. Was immer du tun kannst für ein, zwei oder drei Leute – tu genau das. Es wird einen Domino-Effekt haben.»
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