Tobias Haberl: «Warum ich trotzdem Christ bleibe»

Tobias Haberl
Der deutsche Autor Tobias Haberl erklärt in seinem neuen Buch «Unter Heiden», warum er heute mehr denn je an Gott glaubt. Er beschreibt Reaktionen – und lädt auf subtile Weise zur Unvoreingenommenheit ein.

Sowohl in einem Artikel in der «Weltwoche» Nr. 40 als auch in einem Interview mit der NZZ vom 5.10.24 beschreibt der deutsche Autor Tobias Haberl (49), warum er als erwachsener, liberaler Mensch überzeugter Christ ist, auch wenn die meisten seiner Mitmenschen ihn «rührend oder weltfremd» finden, «ein schwacher Mensch, der ohne eingebildeten Gott im Himmel nicht zurechtkommt». Kaum einer könne sich vorstellen, «dass mein Glaube eine Bedeutung hat, die über einen Meditationskurs im Voralpenland weit hinausgeht (…), dass ich also nicht glaube, um mich von einem stressigen Alltag zu erholen, ja noch nicht einmal aus Angst vor dem Tod oder um meine Seele zu retten, sondern einfach nur deshalb, weil ich davon ausgehe, dass es Gott wirklich gibt». Sein Glaube ist für Haberl «keine Flucht aus der Realität, sondern der Weg dorthin».

Haberl beruft sich nicht auf ein Bekehrungserlebnis; sein ererbter katholischer Glaube spielte zwischen 20 und 35 Jahren keine Rolle in seinem Leben, er wollte frei sein und «alle Autoritäten abstreifen, Eltern, Lehrer, Gott». Erst vor einigen Jahren «fing es wieder an, seitdem drängt der Glaube mit Wucht in mein Leben zurück», wie er im NZZ-Gespräch erklärt. 

Warum probiert ihr es nicht einmal?

In der «Weltwoche» beschreibt Haberl, wie er in Gesprächen auf viel «Unwissen und Ignoranz» trifft, was den Glauben betrifft. «Viele halten meinen Glauben für ein Hobby wie Badminton oder Power-Yoga.» Die meisten Menschen würden aber mit dem Glauben etwas ablehnen, «das sie nie richtig kennengelernt haben». Und er fragt: «Warum kommt ihr keinen Schritt näher? Warum probiert ihr es nicht wenigstens mal? Warum habt ihr Angst vor der Wahrheit (dass es Gott wirklich gibt)?» Er hat Verständnis für alle, die mit der Kirche schlechte Erfahrungen gemacht haben, aber «eine Sache ist mir schleierhaft: Warum sind so wenige neugierig darauf, ob das Christentum der Menschheit vielleicht doch mehr als Kreuzzüge, Hexenverbrennungen und tausendfachen Missbrauch beschert haben könnte? (…) Warum gehen Sie nicht mal ohne Vorurteile in die Messe? Warum lesen Sie nicht im Evangelium und denken in Ruhe darüber nach, was sich daraus für ihr Leben gewinnen liesse? Warum fragen sie keinen älteren Menschen, wie ihn der Glaube durch die Nöte des Lebens getragen hat?»

Viel Angst hinter der Glücksfassade

Es gäbe so viele Gründe, den Glauben einmal ernsthaft zu prüfen. Haberl im Interview in der NZZ: «Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen eine innere Leere spüren, vor der sie permanent davonlaufen. Sie stürzen sich in digitale Zeitvergeudungsangebote, soziale Netzwerke, dauernde Impulse und Reize. Leider werden Ängste, zum Beispiel vor dem Tod, dadurch nur übertüncht, dahinter tut sich der Abgrund weiterhin auf. Der englische Schriftsteller G. K. Chesterton hat geschrieben: 'Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche.' In ihrer Sehnsucht nach Halt folgen sie lieber Ratschlägen überteuerter Life-Coachs und Tech-Gurus, reduzieren fremde Religionen auf die Aspekte, die ihnen leichtfallen oder nützlich erscheinen.»

Als liberaler Mensch ist er überzeugt: «Jeder kann glauben, woran er will. Aber ich habe das Gefühl, dass sich viele in die Tasche lügen. Hinter der Glücksfassade spüre ich viel Angst. Einen Kreislauf aus Erschöpfung und Ruhelosigkeit. Es stimmt eben nicht, dass das Leben freier wird, wenn Gott entsorgt wird. Im Gegenteil: Es entstehen neue Zwänge, neue Ängste, neue Süchte. Das Internet ist voller Menschen, die sich von Dopamin-Schub zu Dopamin-Schub hangeln, aber nirgendwohin gelangen, wo es schön ist. Die Befriedigung ist immer nur von kurzer Dauer. Als gläubiger Mensch möchte ich aber nicht befriedigt, sondern erlöst werden.»

Wenn Gott tot ist, ist alles verboten

Auf die Frage, warum man sich freiwillig Pflichten und Regeln der Kirche unterwerfen solle, antwortet Haberl: «Wissen Sie, was ich nie verstanden habe? Wie man sich von den Zehn Geboten gegängelt fühlen kann, während man sich von Tech-Propheten aus dem Silicon Valley konditionieren lässt wie eine Taube in der Skinner-Box. Gerade habe ich gelesen, dass ein durchschnittlicher Handynutzer sein Telefon jeden Tag 2'600 Mal anfasst. Wo bleibt da die Freiheit? 'Wenn Gott tot ist, ist alles verboten', hat Jacques Lacan gesagt. Das meint: Je atheistischer, desto stärker wird das eigene Unbewusste von Verboten beherrscht, die das Geniessen sabotieren. Anstatt Freiheit zu bringen, führt der Sturz der Unterdrückungsinstanz zu neuen und strengeren Verboten.» 

Haberl zum Ziel seines Buches: «Ich möchte niemanden bekehren, sondern einladen, es einmal mit Gott zu versuchen. Und ich wollte erklären, was das eigentlich heisst: Christ sein. Ich glaube, dass viele Menschen ihr Glück in falschen Dingen und an falschen Orten suchen. Dass sie Sehnsucht nach etwas haben, das grösser ist als sie, etwas, das sie sich nicht erklären können.»

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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

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