Leer gebetet?

Claudia Klein kennt die Situation, wenn man «leergebetet» ist.
Claudia Klein glaubt an die Kraft des Gebetes. Eigentlich. Aber was, wenn das Gebet immer und immer schwerer fällt?

In den letzten Wochen und Monaten fällt es mir immer schwerer, für unser Land und unsere Welt zu beten. Ich bin «leer gebetet» vom Ukraine-Krieg – ohne sichtbaren Erfolg. Vor Beginn dieses Krieges habe ich Tag und Nacht gebetet, dass der Krieg nicht ausbrechen möge. In der Gewissheit, dass in vielen Ländern Christen den Himmel bestürmen, hatte ich grossen Glauben, dass Gott eingreift. Hat er das nicht verheissen? Der Krieg begann trotzdem.

Mein Mann und ich beteiligten uns an einem intensiven Online-Gebetsabend und waren so sicher, dass Gott jetzt eingreift und etwas Grossartiges passiert. Fehlanzeige. Jedenfalls passierte nichts Sichtbares. Jetzt dauert der Krieg dort schon zwei Jahre. Meine Gebete haben sich abgenutzt. Ich bete kaum noch für die Ukraine, weil es anscheinend «nichts bringt».

Dann die grossen Erdbebenkatastrophen in Syrien, der Türkei und Marokko. Was soll ich beten angesichts der unglaublichen Zerstörung, den Tausenden von Toten und Verletzten, dem Mangel an allem? Ich bete gezielt für eine Frau, die man lebend unter den Trümmern ausmacht. Sie wird tatsächlich gerettet. Halleluja, danke Gott! Ein paar Tage später verstirbt sie doch. Ratlosigkeit.

Nicht einmal Senfkorngrösse

Vom brutalen Überfall der Hamas auf Israel im Oktober 2023 bin ich tief betroffen. Meine Schwester und meine Cousine bereisen mit ihren Männern gerade das Land. Am Samstag des Angriffs werden sie noch vor dem Frühstück in den Keller der Unterkunft in Tel Aviv geschickt. Später sehen sie, dass eine Rakete nicht weit entfernt eingeschlagen ist. Den ganzen Tag über ist Alarm, sie müssen Schutz suchen und wissen nicht, wie es weitergeht. Es fällt mir nicht schwer, sie intensiv im Gebet zu begleiten über ihren Weg in den Negev, weiter nach Eilat und Jordanien. Nach fünf Tagen landen sie wohlbehalten in Berlin. Ich habe viel für Bewahrung gebetet und fest an einen guten Ausgang geglaubt.

Ganz anders sieht es aus mit meinem Gebet für den Krieg, der dann zwischen der Hamas und Israel ausbricht. Glaube ich, die Hamas hört auf, Raketen und Drohnen nach Israel zu schicken, um Angriffe zu provozieren? Glaube ich, dass Israel sich davon abhalten lässt, den Tod von Tausenden Zivilisten in Kauf zu nehmen im Bemühen, die Hamas auszulöschen – nur weil ich bete? Auf Druck der Amerikaner wird in Gaza das Wasser wieder angestellt – ein Hoffnungsschimmer. Eine Gebetserhörung? Mein Glaube hat nicht einmal Senfkorngrösse.

Ich halte es kaum aus, für die Geiseln zu beten, wenn ich versuche, mich in ihre Verzweiflung und in die Lage der Angehörigen hineinzuversetzen. Verdrängen ist auch keine Lösung. Berichten nicht verfolgte Christen immer, dass Gebet sie trägt und tröstet? Wenn ich jetzt mit meinem Gebet doch etwas bewirken kann, sollte ich dann nicht beten?

Konkrete Anliegen

Ein Teil der Geiseln kommt frei. Das macht mir Mut, dranzubleiben im Gebet, auch wenn die Enttäuschung darüber, dass der Waffenstillstand bald wieder gebrochen wird, gross ist. Ich konzentriere meine Gebete auf die seelische Heilung der Kinder, vor allem die eines kleinen Jungen, der anscheinend wochenlang isoliert gefangen gehalten wurde und sehr verstört wirkt. Ich merke, dass es mir leichter fällt, für konkrete Personen zu beten als für das «grosse Ganze».

Ich spreche mit unserem früheren Pastor, der mir oft hilft, meine Gedanken zu sortieren. Er meint, dass nirgendwo in der Bibel stehe, dass wir in irgendeinem Fall aufhören sollten zu beten. Und zum Glauben gehöre es, Anfechtung, Zweifel und unbeantwortete Fragen auszuhalten. Mir fällt der Vers ein: Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! (Philipper Kapitel 4, Vers 6). Vielleicht überfordere ich mich. Versuche ich, etwas zu tragen, was nur Gott tragen kann?

«Gott weiss doch Bescheid!»

Das «Leergebetet-Sein» gibt es ja auch im Kleinen: Beziehungen, die nicht heilen wollen, mein Bruder, der sich vor vielen Jahren vom Glauben abgewandt hat und nicht zurückfindet, mein Onkel, der schon lange unerträgliche Schmerzen leidet und kein Arzt findet die Ursache. Meine Gebete rutschen von «täglich» auf «wöchentlich», auf «ab und zu», weil ich nicht weiss, was ich noch sagen soll. Ich denke manchmal: «Gott weiss doch Bescheid!»

Ein Gespräch mit meiner Tochter bringt noch ein paar praktische Tipps für mich. Die App «Holy Bible» von Youversion installieren und Gebete und Erhörungen archivieren, damit ich sehe, wo Gott gehandelt hat. Oder ein analoges Gebetstagebuch… Ich lade mir als erstes die App herunter und bekomme täglich einen Vers angezeigt. Der erste Vers, der angezeigt wird, lautet: «Fragt nach dem Herrn und rechnet mit seiner Macht, wendet euch immer an ihn.» (1. Chronik Kapitel 16, Vers 11 HFA)

Konkrete Hilfen

Ich bin erst einmal geplättet, dass Gott mitten in mein Fragen hinein geantwortet hat. Nach einigen Wochen stelle ich überrascht fest, dass es in der App schon einige Haken für erhörte Gebete gibt. Ich merke auch, dass ich besser dran bleiben kann im Gebet, wenn ich für konkrete Personen in den betreffenden Gebieten bete. So kann ich Updates bekommen und kleine Verbesserungen und Erhörungen sehen. Meine Tochter macht mich auch auf Gebetskarten bei Open Doors aufmerksam. Jetzt bete ich konkret jede Woche für ein bestimmtes Land. Das ist für mich leichter als «für die verfolgten Christen in der Welt» zu beten.

Und ich bin froh, dass ich in meinem Mann einen treuen Gebetspartner habe. Zu zweit kann man sich gegenseitig ermutigen durchzuhalten. (Das geht übrigens auch mit Freunden per Telefon oder Videocall.) Wir besprechen unsere Anliegen und stellen eine Art Wochenplan auf. Kinder und Enkel sind jeden Tag dran, das fällt uns nicht schwer. Aber je abstrakter das Anliegen ist, umso schwerer fällt es, dran zu bleiben. So teilen wir die Wochentage ein: montags beten wir für Missionare, dienstags für unsere Gemeinde, mittwochs für Politiker, donnerstags für Freunde etc. So kommt jedes Anliegen vor, aber ich beschäftige mich nicht jeden Tag mit Krieg und Katastrophen.

Und wenn ich merke, dass mich all das Leid der Welt erdrücken und entmutigen will, dann konzentriere ich mich darauf, an dem Platz, an dem ich stehe, Gottes Reich zu bauen – und Gott das grosse Ganze zu überlassen.

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Autor: Claudia Klein
Quelle: Magazin Aufatmen 1/2024, SCM Bundes-Verlag

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