Kraftvoll und organisch glauben
Wenn ein Biker mit seiner möglichst PS-starken Maschine sein eigenes Gewicht nach hinten verlagert, am Lenker reisst und Gas gibt, dann fährt das Motorrad nur auf dem Hinterrad: Wheelie nennt man dieses Kunststück. Manche Fahrer erschrecken so mit ihrem Kavaliersstart auf der Strasse die Autofahrer neben sich, andere machen eine Show daraus und zeigen ihr Können bei Motorradmessen und Rennen. Der Trick ist neben der Gewichtsverlagerung die Konzentration von möglichst viel Kraft auf eine kleine Fläche – und das Ergebnis ist spektakulär.
Es ist ein bisschen wie an Pfingsten: Da sorgt das konzentrierte Auftreten von Gottes Kraft ebenfalls für spektakuläre Ereignisse, denn Gottes Gegenwart zeigt sich in Feuerflammen, die Jünger reden in fremden Sprachen und Tausende bekehren sich. Davon berichtet Lukas in der Apostelgeschichte, Kapitel 2. Sowohl ein Wheelie als auch die Pfingstkräfte haben aber noch eine andere Parallele: Sie sind nicht auf Dauer angelegt. Irgendwann fährt jedes Motorrad auf zwei Rädern weiter. Und irgendwann kehrt für jeden Christen wieder der Alltag ein. Beides muss übrigens nicht kraftlos sein! Das Leben mit dem Heiligen Geist wird einfach organischer.
Alltag ist gut
Manche Christen reden von einem geisterfüllten Leben, einem «Power-Dasein», als wäre dies das Ziel ihrer Wünsche. Natürlich möchten sie Gott und seine Gegenwart erleben. Sie wollen erfahren, dass Gott ihnen die Kraft gibt, das umzusetzen, was sie tun sollen. Aber kein Motorrad fährt immer im Wheelie. Keine Maschine läuft immer auf höchster Stufe. Und kein Ehepaar feiert permanent Hochzeit. Irgendwann nach einem mehr oder weniger fulminanten Start tritt der Alltag ein: gut so! Auch Petrus und Co. hätten nicht permanent auf Jerusalems Plätzen stehenbleiben und weiter predigen wollen. So wunderbar der Start der Gemeindebewegung war, den wir heute noch als Pfingstfest feiern, zu Gemeinde gehört noch viel mehr: Lehre, Gemeinschaft, Brotbrechen und Gebet nennt Lukas noch im gleichen Kapitel im Vers 42.
Später kommen dann noch Diakonie und Mission dazu und tausend andere Dinge, die in einer Gemeinde geschehen. Ein bekannter Konferenzredner hat es auf einem christlichen Kongress in einer vollen Halle einmal so auf den Punkt gebracht: «Ich freue mich auf morgen, da ist Montag. Da bin ich wieder zu Hause und besuche wie immer eine ältere Frau in der Nachbarschaft. Ich höre mir ihre Klagen an, ich bete für sie und repariere ihren Ofen. Dass mir heute viele bei einer Predigt zugehört haben, interessiert sie nicht.»
Gott verändert
Trotzdem ist an Pfingsten etwas immens Wichtiges geschehen: Gott selbst hat sich dauerhaft zugänglich gemacht. Wenn die Bibel davon berichtet, dass bei der Kreuzigung von Jesus «der Vorhang im Tempel … von oben bis unten entzweiriss» (Markus, Kapitel 15, Vers 38), dann sagen Ausleger heute, dass Gott damals unterstrich, dass von diesem Moment an alle zu ihm kommen könnten. Das stimmt. Doch man hätte den Vorhang auch einfach wieder flicken können…
Seit Pfingsten allerdings war Gott durch seinen Geist permanent gegenwärtig und damit war tatsächlich nichts Trennendes mehr nötig oder möglich. Diese Gegenwart Gottes beflügelte und stärkte auch seine Jünger. Aus Durchschnittsjuden der damaligen Zeit wurden Zeugen für Jesus, die gegen alle Widerstände erklärten: «Denn es ist uns unmöglich, nicht von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben!» (Apostelgeschichte, Kapitel 4, Vers 20)
Glaube prägt den Charakter
Die grösste Veränderung aber geschah damals und geschieht bis heute, wenn der Heilige Geist in den Charakter von Jesusnachfolgern eingreift. Christen sind zwar manchmal eher auf der Suche nach den «Gaben des Geistes», aber unabhängig davon prägt sie der Heilige Geist, indem sie Charaktereigenschaften entwickeln, die zwar bei jedem Menschen in irgendeiner Form vorhanden sind, die aber Gottes Wesen besonders widerspiegeln. «Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung.» (Galater, Kapitel 5, Vers 22)
Zu dieser Frucht – interessanterweise wird hier nicht die Mehrzahl verwendet, es sind keine einzelnen Komponenten – gibt es viele hilfreiche Wortstudien und Erklärungen. Insgesamt öffnen diese aber keine neuen Horizonte, denn sie zeigen nur, dass mit Liebe tatsächlich Liebe und mit Treue wirklich Treue gemeint ist. Die Herausforderung bleibt dennoch bestehen: Wer Güte praktiziert und eine göttliche Geduld in seinem Leben entwickelt, der zeigt, dass Gott selbst bei ihm am Wirken ist.
Um noch einmal auf den Wheelie vom Beginn zurückzukommen: Dieses Umsetzen der «Frucht des Geistes» ist selten spektakulär. Es wird weder Zuschauer noch Bewunderung generieren. Ohne Gottes Liebe und Kraft ist dieses Leben aber schlichtweg unmöglich. Dabei hat das Leben in der Kraft des Heiligen Geistes nichts mit frommer Anstrengung zu tun. Tatsächlich ist es eine organische Entwicklung im Leben aller Menschen, die Jesus nachfolgen. Er prägt ihren Charakter und ihr Wesen. Er bewirkt dadurch, dass sie selbst wachsen. Ausserdem nehmen sie noch andere mit. Kann kraftvoller Glaube noch mehr bewirken?
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