Kleine Gemeinde – feine Gemeinde

Eine kleine Kirche
«Schade, dass die Gemeinde so klein ist, ansonsten ist sie ja voll in Ordnung…» Wieso ansonsten? Tatsächlich gibt es gute Gründe dafür, dass manche Gemeinden kleiner bleiben können und sollten.

Natürlich gibt es ungesunde Gründe dafür, dass eine Kirche oder Gemeinde nicht wächst. Und bei vielen Mitgliederaustritten in den Landeskirchen und reduzierten Angeboten und Möglichkeiten wirkt es sehr bemüht, von «Gesundschrumpfen» zu sprechen. Waren die Menschen, die gegangen sind, etwa die Ursache des Problems? 

Trotzdem lenkt ein Fokus auf Wachstum davon ab, dass Grösse allein kein geistlicher Wert ist. Darauf weist seit vielen Jahren Karl Vaters hin. Der kalifornische Pastor der «Cornerstone Christian Fellowship» hat als Credo, dass es primär nicht um die Grösse, sondern um die Gesundheit einer Kirche oder Gemeinde geht. Meistens gibt es allerdings durchaus Gründe dafür – sowohl ungesunde als auch sehr gesunde. Die folgenden Beispiele sind unter anderem inspiriert von seinem Buch «Kleine Gemeinde – grosse Wirkung».

Ungesunde Gründe für kleine Gemeinden:

Fehlende Fehlerkultur

Wenn du an den Mülltonnen vorbei in einen unaufgeräumten Gemeindesaal kommst und dort von den anwesenden Gläubigen nicht beachtet wirst, mag sich das übertrieben anhören – doch das gibt es tatsächlich. Manche Gemeinden scheinen sich einfach selbst zu genügen und gar keinen Wert auf ein einladendes Erscheinungsbild zu legen.

Völlige Heiligkeit

«Ecclesia» oder Gemeinde steht fürs Herausgerufensein von Christen. Doch einige Versammlungen sind so darauf bedacht, sich abzusondern, dass sie dabei absonderlich werden – sie können mit nichts und niemandem ausserhalb der eigenen Kirchenmauern Gemeinschaft haben. Zu Beginn mag die hier vorhandene Klarheit noch attraktiv wirken, doch das hält meist nicht lange an. Wachstum ist hier meist Fehlanzeige – was die «kleine Herde» aber selten stört.

Tradition über alles

Wie jede Gruppe, die sich mehr als dreimal trifft, entwickelt auch Gemeinde Traditionen. Und in Bezug auf christliche Werte ist es ein Kernelement, dass nicht alles für «neue Ideen» über Bord geworfen wird. Es gibt allerdings Kreise, die sind offensichtlich in Sprache, Liedgut und Haltung im vorvergangenen Jahrhundert steckengeblieben. Das muss übrigens gar nicht typisch für Christen sein, doch bei ihnen kommt es auch vor – und steht jedem Wachstum im Wege.

Fehlender Realitätsbezug

Bei aller Sonderstellung von Kirchen und Gemeinden sind diese doch immer ein Abbild der umgebenden Gesellschaft. Und wo das gar nicht das Fall ist, kommt es leicht zu einer Schieflage. Wenn zum Beispiel im Ort eine besonders hohe Arbeitslosigkeit herrscht und junge Familien dort wohnen, tut sich eine Gemeinde aus Akademikern im Ruhestand schwer, diese zu erreichen.

Gesunde Gründe für kleine Gemeinden:

Neben den oben beschriebenen ungesunden Gründen (die nebenbei bemerkt längst nicht nur für Kirchen und Gemeinden gelten) gibt es auch Dinge, die dafür sprechen, dass manche Gemeinden klein sein oder bleiben sollten. Das bedeutet nicht, dass klein per se besser wäre als gross – aber eben auch nicht andersherum.

Familiärer Rahmen

Viele Menschen ziehen tatsächlich einen überschaubaren und familiären Rahmen auch in der Gemeinde einem grösseren und vollständigeren Programmangebot vor. Gemeinschaft und Freundschaft kann hier schneller wachsen, Organisatorisches bekommt keinen so grossen Stellenwert. Dies ist allerdings kein feststehendes Argument, denn natürlich können sich Erwartungen ändern und manche familiäre Kleingruppe wächst über ihre geplante Grösse hinaus.

Kein Übergangsstadium

Früher galten Kinder als kleine Erwachsene, das Ziel war, dass sie so bald wie möglich «vollwertige» Mitglieder der Gesellschaft würden. Dabei wurde oft übersehen, wie schön und wichtig die Kindheit als Phase war. Bei Gemeindegründungsarbeiten kann das ähnlich sein. Sie beginnen selten gross. Wenn sie aber von vornherein nur als lästiges Übergangsstadium zum «Eigentlichen» empfunden werden, verschiebt sich der Fokus von einem gesunden Zusammensein zu einem unbedingt nötigen Wachstum. Dabei weiss niemand, wie lange das Übergangsstadium dauern wird…

Kleinsein, das in die Situation passt

Nicht jede Kirche steht auf einem geeigneten Grundstück und hat die finanziell gutgestellten Mitglieder dafür. Es gibt Gemeinden in Verfolgungssituationen, in ärmerer Umgebung, in dünn besiedelten Landstrichen oder gar kriegerisch geprägtem Umfeld. All dies und noch viele weitere Gründe können stark für das gewollte Konzept kleiner Gemeinden sprechen. In manchen Kulturkreisen kommt noch dazu, dass Bescheidenheit ein besonderer Wert ist – ein imposantes Gebäude, in das sonntäglich Tausende strömen, wäre hier fehl am Platz.

Eine Frage von Begabung und Auftrag

Im Neuen Testament steht das Gleichnis von den Talenten. Darin geht es nicht um Gemeindegrösse, aber darum, dass Gott unterschiedlichen Menschen unterschiedlich viel anvertraut. So wie es Pastorinnen gibt, die auf die Kanzel einer grösseren Kirche gehören, gibt es auch Pastoren, die besser in einer kleineren Gemeinde «funktionieren». Nicht alles ist erlern- und veränderbar, einiges hat auch mit der konkreten Berufung für zuständige Personen zu tun. Oder mit der Berufung einer Gemeinde, die im dörflichen Rahmen ein passendes Umfeld für ihre Besucher bietet.

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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