Sinn und Unsinn verschiedener Denominationen
Eine Kirche oder viele Kirchen? Das ist keine Frage der Grammatik, sondern eine der Einstellung. Ich sage «die Kirche» und denke an «meine Kirche», eine von vielen auf der Landkarte. Aber sollte es nicht nur eine Kirche geben? Ist es realistisch zurückzuschauen in eine Zeit, als es scheinbar nur die eine Gemeinde in Korinth gab? Sicher nicht.
Aber bei den meisten Menschen hinterlässt es ein seltsames Gefühl, wenn sie jemandem erklären: «Ich besuche eine Freikirche am Ort.» – «Oh, bist du dann frei evangelisch, evangelisch freikirchlich, methodistisch oder in einer Brüdergemeinde?» – «In einer Brüdergemeinde…» – «Offene, freie oder geschlossene Brüder?» Bei allem Interesse am Einsortieren: Hier zeigt sich schon eine problematische Seite. In seinem Buch «Das soll man glauben?» erzählt der Journalist und Theologe Andreas Malessa von der deutschen Stadt Lage: «Bei 37'000 Einwohnern, die die Stadt hat, sind 39 religiöse Gemeinschaften gemeldet, davon allein 21 verschiedene evangelische Freikirchen.» (S. 127)
Gläubig, gläubiger, am gläubigsten
Wie kommt es dazu, dass Christen als die Profis im Feindelieben dasselbe mit ihren Freunden nicht hinbekommen und oft lieber getrennte Wege gehen? Eine Ursache ist tatsächlich die besondere Wertschätzung der Bibel bzw. ihrer jeweiligen Auslegung. Wer bei anderen Christen ein Verhalten sieht, das für ihn so gar nicht zum Evangelium, zur Bibel oder zur Person von Jesus Christus passt, der muss sich irgendwie dazu verhalten. Ist das egal? Soll man die Frage diskutieren?
Aber was geschieht, wenn man sich nicht einigen kann? So haben im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Auffassungen zu Kinder- oder Erwachsenentaufe, zur Ordinierung von Frauen, zum Abendmahlsverständnis und nicht zuletzt zum Liedgut für Gespräche bis hin zu Gemeindetrennungen gesorgt. Dabei besteht die Gefahr, dass Gruppen immer kleiner und reiner werden wollen und aus immer mehr Enge Angst wächst. Hannah King schreibt in Christianity Today dazu: «Unruhe ist eine natürliche Reaktion auf Besorgnis. Sie ist ein Zeichen dafür, dass wir in die Zukunft investieren. Aber wenn wir aus Angst handeln, ist es wahrscheinlicher, dass wir die Probleme, die wir zu lösen hoffen, noch verschärfen.»
Manche Probleme sind dabei tatsächlich trennungswürdig: Wo Gewalt oder missbräuchliche Strukturen herrschen, muss man manchmal gehen. Viele scheinbar wichtige theologische Gründe relativieren sich allerdings über die Jahre: Entweder stellen sie sich als rein menschliche Schwierigkeiten mit theologischer Übermalung heraus oder sie verlieren ihre Brisanz. Dass ein Pfarrer und Dichter wie Paul Gerhardt als Lutheraner im 17. Jahrhundert seine reformierten Geschwister als «teuflisch» ansah, sieht heute niemand mehr so.
Hauptsache, der Kaffee schmeckt?
Wie kommt man überhaupt zu «seiner» Gemeinde? Einige werden schlicht hineingeboren und bleiben dabei. Selbst wenn ihnen eine persönliche Zuwendung zu Jesus in diesem bestehenden Rahmen sehr wichtig ist. Andere ziehen um und suchen sich eine neue Kirche am Ort, die sie besuchen können. Früher war es weit verbreitet, dass man als Baptist selbstverständlich die nächstgelegene Baptistengemeinde aufgesucht hat. Das ist heute fluider geworden. Christen schauen nach den Leuten, die die jeweilige Gemeinde besuchen und fragen sich, ob sie als Single, Senioren oder junge Familie dazu passen. Die wenigsten würden nur nach der Qualität des Kaffees nach dem Gottesdienst entscheiden, doch theologische Fragen sind nicht mehr allein ausschlaggebend für die Auswahl einer neuen Gemeinde.
Einheit in Verschiedenheit
Interessant ist es, wenn man weder die Existenz unterschiedlicher Gemeinden verurteilt noch ihre Extreme hinnimmt. Es mag ein Allgemeinplatz sein, doch zum Zu-Hause-Fühlen gehören auch Mauern dazu. Es muss nicht schlecht sein, wenn in Kirchen und Gemeinden unterschiedliche Frömmigkeitsstile gepflegt werden. Dass alle Besucher sich gleichermassen unter einem Dach wohlfühlen, ist eher Wunsch als Wirklichkeit. So können Kirchen mit unterschiedlichen Schwerpunkten verschiedenen Menschen eine geistliche Heimat bieten. Wohl den Gemeinden, die dies ermöglichen, ohne dabei andere als nicht so bibeltreu, geisterfüllt, modern oder sonstwie fehlerhaft anzusehen.
Diese Gemeinden schaffen es, an der Erhörung eines Gebets von Jesus selbst mitzuarbeiten, dem sogenannten hohepriesterlichen Gebet: «Und ich habe die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, ihnen gegeben, auf dass sie eins seien, gleichwie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie zu vollendeter Einheit gelangen, und damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, gleichwie du mich liebst.» Solch eine Einheit kann man nicht machen, aber wenn sie über die Kirchtürme hinweg Wirklichkeit wird, ist sie eine Chance zu zeigen, wie Gott sich seine Gemeinde gedacht hat: als Einheit in Vielfalt, geprägt von Liebe.
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