«Ich verlasse mich auf mein Bauchgefühl»
liebt den Auftritt, geniesst aber auch die Ruhe im Kreis ihrer Familie. Worauf setzt sie ihre Hoffnung?
Melanie Oesch, Sie sind eine moderne Frau mitten in einer bodenständigen Szene. Damit brechen Sie Klischees auf. Tun Sie das bewusst oder hat sich das so entwickelt?
Das bin einfach ich. Ich verfolge keinen Plan, keine Strategie. Das Gegensätzliche ist tatsächlich meine Welt, Kontrast gehört zu mir. Wenn's ums Jodeln geht, werde ich dafür auch ab und zu kritisiert. Seitens der Verbände gibt es bezüglich des Jodelns viele Regeln, aber ich brauche meine Freiheit. Ich will niemandem auf die Füsse treten und bin deshalb auch nirgends Mitglied. Ich sehe darin auch Chancen, weil durch meine Art zu jodeln auch andere Zugang zur Volksmusik finden.
Was heisst für Sie, echt und authentisch zu sein?
Ich verlasse mich auf mein Bauchgefühl, mein Herz. Dadurch, dass ich schon sehr lange singe, kann ich gut darauf vertrauen. Ich habe einen engen Bezug zu meinem Körper, höre auf seine Signale und kann dadurch auch tiefe Emotionen transportieren. Jodeln ist für mich wie eine Sprache geworden. Wenn ich mit Worten nicht mehr weiterkomme, greife ich zum Jodel. Ich jodle also nicht nur, weil es mir Spass macht, sondern auch, um Dinge zu verarbeiten.
Entsprechend ist nicht immer wichtig, ob ich richtig oder falsch, schön oder nicht schön jodle, sondern ob das Gesungene jemanden berührt. Ich weiss, das klingt fast etwas esoterisch. Ein Jodel beruht zwar nur auf Silben – und trotzdem stecken so viele Botschaften drin.
Sie geben sehr viel Persönliches, ja schon fast Intimes preis. Fällt es Ihnen nicht schwer, sich darauf einzulassen?
Es kostet manchmal schon Überwindung. Aber Musik machen bedeutet Emotionen teilen. Wenn ich also gerade keine überschwänglichen Gefühle habe, dann ist mir das Publikum oft eine Hilfe. Du gehst auf die Bühne und siehst da vielleicht 1’000 Leute, die feiern wollen. Das willst du nicht ruinieren! Und dann spürst du diese Schwingungen des Publikums und versuchst, deine Gefühle zu synchronisieren, wie wenn man die gleiche Frequenz einstellt. Das funktioniert erstaunlich gut. Nach ein paar Songs weisst du gar nicht mehr, wie du dich vorher gefühlt hast. Klar, man muss es zulassen und sich öffnen. Ich denke, das ist oft der Schlüssel, weshalb jemand, der nicht perfekt singt oder ein Instrument spielt, trotzdem viele Herzen berühren kann. Es geht viel über das Gefühl und die Leidenschaft.
«Ich jodle nicht nur, weil es mir Spass macht, sondern auch, um Dinge zu verarbeiten.»
Ein gutes Stichwort… Was heisst für Sie, leidenschaftlich zu leben?
Alles geben und aufs Ganze gehen. Ich liebe es, zu zelebrieren, was ich gerne mache. Das gilt für uns als ganze Familie – also auch als «Oesch’s die Dritten»: Wenn wir etwas machen, dann Vollgas.
Welche Werte möchtet ihr als «Oesch’s die Dritten» mit eurer Musik vermitteln?
Der Zusammenhalt über die Generationen hinweg ist ein zentraler Wert, den wir verkörpern möchten. Wir treffen Entscheidungen als Team, als ganze Band, auch wenn sehr unterschiedliche Ansichten zusammenkommen. Manchmal sind die Entscheidungen mehr auf die junge Generation gemünzt, ein andermal kommen wir zum Beispiel eher meinem Vater entgegen. Bei uns herrscht nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen, aber wir haben erfahren: Wenn man will, kommt man immer zusammen und findet einen Weg. Respekt und Bodenständigkeit sind ebenfalls sehr wichtige Werte für uns Innerhalb der Familie ist es oft besonders schwierig, respektvoll zu bleiben, weil man sich so nah ist. Aber auch im Kontakt mit Veranstaltern und Fans kommt man schon mal an seine Grenzen, wenn man nach zwei Stunden am Fan-Stand merkt, wie sich die Batterien langsam leeren. Da muss man sich auch abgrenzen und die Ressourcen gut einteilen können.
Wie fühlen sich «Oesch's die Dritten» in der Schweizer Musikszene als volkstümliche band akzeptiert und integriert?
Wir fühlen uns sehr eng verbunden, auch mit Künstlern, die für einen ganz anderen Musikstil stehen als wir. Dies kommt wohl daher, dass wir sehr offen sind. Zudem sind wir an Festivals oft der einzige Volksmusik-Act im Line-Up. So kommt es auch zu Begegnungen und zu einem Austausch.
Wer schreibt die Songtexte bei euch?
Vater und ich schreiben die meisten Lieder. Mike hat auch angefangen, Kevin ebenso. Ausserdem werden uns viele Texte von externen Songwritern angeboten.
Sie schreiben und singen auch viel über Ihre Heimat. Auf dem aktuellen Album heisst sogar der Titelsong «Heimat». Was schätzen Sie denn so an Ihrem Land und besonders am Berner Oberland?
Ich bin keine Patriotin, aber ein Fan der Schweiz und ihrer Natur! Gerade das Berner Oberland ist für mich der schönste Fleck Erde. Die Verschiedenheit der Umgebung, diese verspielten Täler und Hügelzüge und dann dahinter die Berge. Alles ist so vollkommen! Nicht zu vergessen unsere super Produkte, feines Essen, gute Luft und eine schöne Sprache. Ich weiss, es kling kitschig, aber ich bin tatsächlich Fan von unserer Region. Es tut einfach gut, hier zu sein.
Im Dezember 2021 wurden Sie zum zweiten Mal Mutter. Haben Sie schon eine musikalische Vision für die eigene Familie – so à la Oesch’s die Vierten?
Nein, dafür ist es viel zu früh (lacht).
Wie hat Sie das Muttersein verändert?
Ich habe eine neue Lockerheit entdeckt, was meine Karriere betrifft. Heute kann ich es leichter akzeptieren, wenn es nicht genau nach meinem Plan läuft. Ich sehe es nicht mehr so eng und bin mir bewusst, dass ich es nicht nur für mich, sondern für die Familie mache. Als Mutter lernt man viel über sich selbst. Ich bin eher der harmonische Typ und zum Beispiel in der Erziehung am Lernen, auch mal zu sagen «Stop, hier geht’s nicht weiter. Hier ist die rote Linie!» Was sich auch verändert hat, ist mein Blick für das Kleine. Robin sieht jedes Blümchen und kann dann lange verweilen und staunen. Ich habe die Natur vorher auch schon geliebt, aber mit meinem Sohn nehme ich mir mehr Zeit, die Details zu entdecken. Ich liebe das.
Zur Person:
Nach einem anstrengenden Tag entspanne ich mich am liebsten…
…bei einem feinen Tee, oftmals mit Kräutern aus dem Garten.
Dafür bin ich in meinem Leben besonders dankbar:
Für meine Familie, für unsere musikalischen «Lebenssteine» und für das wunderschöne Zuhause, das ich noch immer meine Heimat nennen darf.
Diese drei Wörter beschreiben mich am besten:
Gutmütig, leidenschaftlich, feinfühlig
Etwas vom Mutigsten, das ich bisher getan habe:
Immer wieder an meine Träume und Visionen zu glauben und darauf zu vertrauen, dass es schon gut kommt.
2. Hot Shot Festival
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