Ein bescheidener Vorschlag zum Frieden
Natürlich gab es schon immer fromme Menschen, die andere fromme Menschen verteufelt, verachtet oder sogar getötet haben. In den vergangenen Jahrzehnten haben aber ausgleichende Kräfte wie die ökumenische Bewegung deutlich an Fahrt gewonnen: Man ist sich bewusst geworden, dass es auch andere Kirchen gibt, in denen Menschen hingebungsvoll Jesus nachfolgen.
Unterschiede fordern uns heraus
Als Kind hatte ich noch den Eindruck, dass nur die Baptisten zur wahren Kirche gehören. Als Jugendlicher war es für mich befreiend zu sehen, dass es in allen Kirchen Menschen gibt, für die der Glaube an Jesus zentrales Element ihres Lebens ist: Menschen, die somit in der christlichen Familie meine Geschwister sind.
Wenn man auf andere Menschen zugeht und vor allem die Gemeinsamkeiten betont, treten die Unterschiede in den Hintergrund. Andere Christen leben ihren Glauben anders und treffen andere ethische Entscheidungen. Das muss man akzeptieren. Damit ist der Austausch vielleicht bereits beendet.
Wer aber im Gespräch bleiben und andere Christen wirklich als seine Geschwister in Christus sehen möchte, muss einen Weg finden, mit diesen Unterschieden umzugehen. Und das ist mitunter sehr herausfordernd.
Für manche ist es wichtig, immer wieder zu betonen, wie entscheidend es ist, im Gespräch zu bleiben, einander mit Achtung und Wertschätzung als Geschwister zu begegnen, trotz aller Unterschiede. Andere wiederum betonen, dass auch die Unterschiede von Bedeutung sind und wir auch die schwierigen und potenziell trennenden Themen ansprechen müssen.
Wir brauchen beide Betonungen
Ich bin überzeugt, dass beides wichtig ist: Das Einheit-Fördernde zu betonen, aber auch das, was uns unterscheidet, nicht aus den Augen zu verlieren. Allerdings nur in dieser Kombination, als doppeltes Ziel: Christen erkennen einander als Christen an und sie akzeptieren gleichzeitig, dass es Unterschiede gibt.
Die Kehrseiten wären, dass wir die Unterschiede vernachlässigen und bei einer «Schein-Einheit» enden, welche die Liebe zur Wahrheit vernachlässigt. Oder wir fallen auf der anderen Seite vom Pferd: Wir vernachlässigen, dass unser Wissen unvollkommen ist und wir damit die Liebe brauchen, die geduldig ist und andere erträgt. Einander als Geschwister in Christus sehen und gleichzeitig über Unterschiede sprechen – diese Kombination ist in meinem Verständnis ein Ausdruck von Liebe, die geduldig ist und die Wahrheit liebt.
Die weltweit arbeitende mennonitische Hilfsorganisation MCC verteilte in den 1980er Jahren Poster und Postkarten mit der Aufschrift: «Ein bescheidener Vorschlag für den Frieden: Alle Christen der Welt sollen vereinbaren, dass sie einander nicht töten werden.»
Die Tragweite dieses Vorschlags ist alles andere als bescheiden. Er wirft auch gleich die Frage auf, ob dieses Prinzip nicht auf die ganze Menschheit ausgeweitet werden sollte. Dieser Satz macht deutlich, dass wir uns in unseren Auseinandersetzungen Grenzen setzen wollen. Weil wir überzeugt sind, dass Krieg und Töten nicht sein dürfen.
Für Jesus ist nicht erst das physische Töten ein Problem. In der Bergpredigt betont er: schon Wut und Beschimpfungen auf den Bruder oder die Schwester sind ein tödliches Vergehen.
Friedlich streiten
Das bringt mich zu einem weiteren Vorschlag: Wäre es möglich, dass wir als Christen in aller Welt vereinbaren, einander nicht zu verachten, zu verteufeln und zum Feind des Glaubens zu erklären? Schaffen wir es, inmitten wichtiger apologetischer Bemühungen, in unseren Diskussionen unsere Angst und Sorge um die Kirche Jesu abzugeben? Gelingt es uns, in allen schwierigen Auseinandersetzungen eine Haltung einzunehmen, die von einer Liebe geprägt ist, welche die Verbindung zu anderen sucht und es wagt, gleichzeitig über Auslegungen der Bibel zu streiten?
Das ist nur ein bescheidener Vorschlag. Wahrscheinlich werden dem alle Leserinnen und Leser zustimmen. Ich wünsche uns, dass uns das auch dann noch gelingt, wenn der Bruder oder die Schwester mit schwierigen Auslegungen der Schrift auf uns zu kommen.
Vielleicht wird sich am Ende zeigen, dass mein Vorschlag gar nicht so bescheiden ist, ja sogar eine fast nicht auszuhaltende Zumutung darstellt. Werden wir es schaffen, auch dann noch eine Haltung einzunehmen, die sowohl geschwisterlich die Verbindung sucht wie auch geschwisterlich die Unterschiede benennt?
Möge Gottes Liebe uns auf diesem Weg des Friedens leiten.
Zum Autor:
Marcus Weiand arbeitet beim Bildungszentrum Bienenberg in Liestal und leitet das Institut für Konflikttransformation COMPAX. Er ist Mitglied des Beirates des Netzwerkes für «Werteorientierte Dorf-, Regional- und Stadtentwicklung» (WDRS). Und er wohnt mit seiner Familie in D-Weil am Rhein.
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Forum für integriertes Christsein
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