Christ geworden und in Lebensgefahr – kein Asylgrund?

Christsein und in Lebensgefahr zu schweben, ist nicht unbedingt Asylgrund
Die NZZ brachte am 9. Oktober einen wichtigen Artikel über die Schwierigkeit, trotz Konversion zum Christentum und Lebensgefahr im Herkunftsland in der Schweiz Asyl zu erhalten.

Baran Serdar (Name geändert) ist Kurde aus dem Iran und hat auf seiner Flucht von Jesus gehört, geht in der Schweiz in eine Gemeinde, liest die Bibel und lässt sich 2018 taufen. Dennoch ist es für ihn schwierig, in der Schweiz Asyl zu erhalten. «Für die Schweiz wie für andere westliche Staaten stellt sich die Frage, inwiefern ein Glaubenswechsel einen Grund für Asyl oder zumindest eine vorübergehende Aufnahme darstellt», schreibt die NZZ. «Denn klar ist, dass manchen Konvertiten bei einer Ausschaffung in ihr Herkunftsland ein schlimmes Schicksal blüht. In vielen islamischen Ländern werden Christen systematisch diskriminiert und verfolgt.» Für Abfall vom Islam gebe es in mindestens zehn Ländern die Todesstrafe. Aber eben: «Wie lässt sich feststellen, wie gross die Gefahr im konkreten Einzelfall wirklich ist?» Und wie lässt sich feststellen, dass eine Bekehrung real und nicht nur ein vorgetäuschtes Argument ist, um Asyl zu erschleichen?

Egzon Shala: Experte aus eigenem Erleben

Egzon Shala ist diplomierter Migrationsfachmann und arbeitet bei der Beratungsstelle für Integrations- und Religionsfragen der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA). Er kam als Flüchtling mit seiner Familie in die Schweiz und wurde 2008 Christ. Darum kann er sich gut in die Situation junger Iraner oder Afghanen hineinversetzen; er weiss, dass hunderte von Flüchtlingen in der Schweiz leben, von denen die meisten bereits in ihrem Heimatland Christen geworden und darum geflohen sind. Bekehrungen hier in der Schweiz gebe es auch, es sei aber die Minderheit.

Die Schwelle ist hoch

Das Beispiel Serdar zeigt, wie schwierig es ist, dass Verfolgung wegen des Glaubens in der Schweiz als Asylgrund anerkannt wird. Serdar, iranischer Kurde, wurde im Iran Christ und von Familie und Behörden schikaniert und bedroht. Er kam in die Schweiz und bat 2015 um Asyl. Doch das SEM lehnte sein Gesuch ab: «Die Schweizer Behörden zweifelten an der Wahrheit seiner Erzählung, aber auch daran, dass eine Rückkehr in seine Heimat für ihn wirklich unmöglich ist», so die NZZ: «Laut Rechtsprechung muss eine betroffene Person aufgrund der Konversion `ernsthaften Nachteilen` ausgesetzt sein – das ist der Fall, wenn es eine Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit gibt oder wenn unerträglicher psychischer Druck besteht.»

Die NZZ beschreibt einen anderen konkreten Fall: «Für Aufsehen sorgte der Fall eines Pakistaners, der 2015 Asyl beantragt hatte und 2016 in einer mennonitischen Kirche getauft worden war; er musste bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen, um Recht zu bekommen: Die Schweiz darf ihn nicht abschieben.»

Leitfaden: «Nicht unbedingt die Zehn Gebote auswendig»

Die Skepsis der Behörden komme auch aus der Angst vor «unechten» oder rein formellen «Konversionen». Egzon Shala dazu: «Wir wollen nicht, dass Flüchtlinge einfach etwas vorgaukeln, um ihre Chancen im Asylprozess zu erhöhen – auch wenn das nur selten passiert. Wir müssen jenen konvertierten Christen helfen, die wirklich bedroht sind.»

Um dem SEM zu helfen, die Ernsthaftigkeit einer Konversion zu überprüfen, hat er mit seinem Team einen Leitfaden erstellt: Man solle nicht Bibelwissen oder theologische Themen abfragen, denn «ein neu konvertierter Christ kennt nicht unbedingt die Zehn Gebote oder die Namen der zwölf Apostel auswendig.» Die Behörden sollten sich stattdessen «auf die persönliche Glaubensgeschichte und -praxis des Asylsuchenden fokussieren: Was hat sein Interesse an Jesus ausgelöst? Wie hat sich sein Leben dadurch verändert? Wie und warum betet er? Geht er regelmässig in die Kirche?» Wenn jemand diese Punkte glaubwürdig beschreiben könne, handle es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine «echte» Konversion, so Shala.

«Diskretes» Christsein?

Bei Ablehnung eines Asylantrags muss das SEM prüfen, ob der Betroffene seinen Glauben in seinem Heimatland «diskret» leben könne. Das werde von den Behörden zu oft bejaht, sei aber in Wirklichkeit kaum möglich, so Egzon Shala: «Das Christentum ist eine Religion, die man in der Gemeinschaft lebt», erklärt er. Man könne darum «von konvertierten Christen nicht verlangen, dass sie ihren Glauben im stillen Kämmerchen ausüben».

Wenn ein Muslim Christ wird, werde das in seinem Umfeld schnell bemerkt, «sei es durch sein neues Verhalten, das Fehlen typisch islamischer Begrüssungsformeln oder das Auslassen des Freitagsgebets». Die Rechtsprofessorin Sarah Progin-Theuerkauf von der Universität Fribourg weist darum darauf hin, «dass das private Umfeld eine Gefahr für die Konvertiten sein könne – insbesondere, wenn fanatische Muslime zu den Familienangehörigen gehörten».

Die NZZ schliesst mit einer positiven Note: «Für die beiden Konvertiten aus Iran ist die Gefahr einer Ausweisung mittlerweile gebannt. Baran Serdar hat nach sieben Jahren in der Schweiz ein Härtefallgesuch gestellt und kürzlich einen positiven Bescheid erhalten. Und Mervan Sheridan hat 2021 wegen seiner Konversion eine Aufenthaltsbewilligung als Flüchtling bekommen.» Es geht also doch.

Zum Artikel der NZZ

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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet/ Neue Zürcher Zeitung

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