Auch nach Leitungswechsel

«Dienen kommt vor Verdienen»

Aktuell sind viele Unternehmer gefordert. Eine Schreinerei im Emmental will sich aber vom wirtschaftlichen Druck nicht von ihrer Vision abbringen lassen: Es geht um den Einsatz für Menschen.
Roland Baumann (links) und Micha Somandin (rechts) von der Schreinerei Baumann + Eggimann AG (Bild: zVg)
Micha Somandin (Bild: tuerundraum.ch)

Das Geschäft an einen Nachfolger zu übergeben, stellt für viele Unternehmer eine Herausforderung dar. Roland Baumann (*1962) begann den Prozess früh. Es war ihm wichtig, dass sein Nachfolger seine Vision weiterträgt. Die Schreinerei Baumann + Eggimann AG in Zäziwil ist nicht nur für qualitativ hochstehende Nischenprodukte bekannt, sondern auch für ihr Engagement der Integration von Menschen in den ersten Arbeitsmarkt.

Die DNA weitergeben

Firmen weisen Erfolg normalerweise mit finanziellem Gewinn aus. Obwohl wirtschaftlicher Erfolg auch für Roland Baumann wichtig war, bedeutete dieser aber nicht das Höchste. Vielmehr sollte es um Menschen gehen. Das Wohl der Mitarbeitenden steht im Fokus und das Ziel ist, bis zu zehn Prozent der Angestellten nicht aus wirtschaftlichen Gründen auszusuchen. Die Firma formuliert es so: «Wir nehmen unsere Aufgabe als Betrieb in der Gesellschaft wahr und bieten Menschen mit sozialen oder psychischen Einschränkungen die Möglichkeit, im ersten Arbeitsmarkt Fuss zu fassen.» Die positive Entwicklung dieser Menschen gilt als Erfolg.

Micha Somandin (*1977), seit 21 Jahren Teil der Firma und seit diesem Jahr Geschäftsführer, ist sich bewusst, wie ungewöhnlich es ist, wirtschaftlichen Erfolg nicht an erster Stelle zu sehen. «Wir sind Exoten. Überall sonst steht die Wirtschaftlichkeit an oberster Stelle.» Die DNA der Firma hat er sich zu eigen gemacht und er will den Betrieb so weiterführen.

In den Nachfolger investiert

Dass Menschen wichtig sind, drückte Roland Baumann nicht nur durch das Engagement für Benachteiligte aus, sondern auch durch das Investment in seinen Nachfolger. Im April 2013 wurde Micha bereits öffentlich als Nachfolger angekündigt. «Es war mir wichtig, meinen Nachfolger über viele Jahre aufzubauen», betont Roland.

Die frühe Ankündigung sieht er für den Betrieb als Gewinn. «Die Mitarbeiter wussten, wie der Betrieb weitergeführt wird und es konnte besser langfristig geplant werden.» Auch Micha bewertet die lange Einführungszeit positiv: «Ich bin dankbar, wie Roland mich einbezogen hat.» Immer wieder hört er, wie viele sich das gewünscht hätten.

Seit vielen Jahren gibt es bei Baumann + Eggimann AG Montagmorgens ein Frühgebet. Zusätzlich trafen sich Micha und Roland in den letzten Jahren täglich für eine kurze Gebetszeit. «Leider ist das jetzt schwierig, weil Roland oft ausser Haus ist», sagt Micha.

Bin ich ein Geschäftsführer?

Das Gebet ist Micha grundsätzlich wichtig, auch damals, als er sich für die Nachfolge von Roland entscheiden musste. «Für den Entscheid nahm ich mir mehr als ein Jahr Zeit.» War er wirklich zu dieser Aufgabe berufen? «Ich sehe mich nicht als typischen Geschäftsführer, bin aber von der Vision der Firma begeistert.» In den folgenden Jahren eignete sich Micha mit Ausbildungen manche Kompetenzen an. Micha ist froh, Menschen um sich zu haben, welche die Vision mit ihm tragen. «Ohne Verwaltungsrat und Mitarbeitende, welche die Vision mittragen, würde das nicht funktionieren.»

Ein Unternehmensberater sagt schnell: «Die Personalkosten sind zu hoch. Da muss optimiert werden.» Bei der Baumann + Eggimann AG muss verstanden werden, weshalb diese zusätzlichen Arbeitskräfte nötig sind. Einige Mitarbeiter werden mit einer IV Rente oder anderen Ergänzungsleistungen unterstützt. Es gibt aber auch psychisch Angeschlagene, die in der Schreinerei ihren Platz fanden. Es braucht einen Mehraufwand, um alle diese Leute anzuleiten. Mit anderen Worten: Jeder muss die Vision mittragen.

Loslassen

«Die Geschäftsverantwortung an Micha zu übergeben, fällt mir leicht.» Roland kann loslassen und vertraut Micha vollumfänglich – ein Vertrauen, welches über Jahre gewachsen ist. «Was mir Mühe macht, ist die örtliche Trennung von den Mitarbeitenden, da ich neu in unserer externen Küchenausstellung in Biglen arbeite.» Oft weiss er nicht mehr, wie es ihnen geht und was sie beschäftigt. «Nicht mehr zum Team zu gehören, macht mir Mühe.»

Obwohl Roland die Verantwortung übergeben hat, stehen die beiden noch immer in freundschaftlicher Beziehung. Das wird sich auch dann nicht ändern, wenn Roland vollständig aus der Firma raus ist. Aktuell hat er noch verschiedene Funktionen inne. Auch hier wird deutlich, dass Beziehungen einen höheren Stellenwert geniessen als Geld und Positionen.

Motiviert vorwärts

«Aktuell ist der Markt sehr schnelllebend. Preise steigen und Bedingungen ändern sich. Da können schon Sorgen aufkommen.» Micha nimmt den biblischen Rat ernst, sich nicht zu sorgen. Natürlich kümmert er sich um die täglichen Herausforderungen und will sich entsprechend vorbereiten. «Sorgen lege ich aber immer wieder bei Gott ab und freue mich an einem guten Schlaf.» Aktuelle wirtschaftliche Herausforderungen sollen die Firma nicht von ihrer Vision abbringen.

«Dienen kommt vor Verdienen», sagt Roland oft. Er ist überzeugt, dass auch wirtschaftlicher Erfolg eine Frucht ist, die aus treuem Dienen kommt. «Rückblickend kann ich bestätigen: Wir sind zwar nicht reich geworden, hatten aber immer genug.»

Im April 2022 wurde die Übergabe der Geschäftsleitung mit 270 Gästen gefeiert. Ein grosses Fest, bei welchem auch 35 Jahre Firmengeschichte und der 60. Geburtstag von Roland gefeiert wurden. Und es soll freudig in die Zukunft geblickt werden. Der Geschäftsführer hat gewechselt, doch die Vision bleibt die gleiche.

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Datum: 17.05.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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