«Wäre Spiritualität ein Medikament, wäre es längst zugelassen»

Professor Holger Eschmann bei seiner Abschiedsvorlesung
Während drei Jahrzehnten lehrte Holger Eschmann Praktische Theologie an der Theologischen Hochschule Reutlingen, der Ausbildungsstätte der Methodisten im deutschsprachigen Raum. Am 27. Juli hielt er seine Abschiedsvorlesung.

Viele Besucherinnen und Besucher füllten die Kreuzkirche in Reutlingen (D). Gekommen waren sie, um der Verabschiedung von Professor Holger Eschmann beizuwohnen. Der stellte seine Abschiedsvorlesung unter die Überschrift: «'… aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund!' – Zum Verhältnis von Spiritualität und Gesundheit aus theologischer und humanwissenschaftlicher Sicht».

Religiöse Heilkraft

Drei Jahrzehnte lang hat Holger Eschmann an der Theologischen Hochschule Reutlingen Praktische Theologie gelehrt. Der Schwerpunkt seiner Forschung lag im Bereich Spiritualität und Gesundheit. In seiner Abschiedsvorlesung betonte er das heilsame Potenzial der Religion. Während früher eine psychologische Skepsis gegenüber religiöser Heilkraft noch verbreitet war, werde heute die Religion vielerorts als Ressource mit positiven gesundheitlichen Effekten wiederentdeckt.

Längst zugelassen

Eschmann zitierte den ehemaligen Vorsitzenden der deutschen Ärztekammer, Ellis Huber: «Wenn Spiritualität ein Medikament wäre, wäre es längst zugelassen.» Religion verleihe Sinn, erzeuge Resilienz und schaffe Orientierung. Ein soziales Wir-Gefühl gebe Stabilität und Identität, sagte Eschmann. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechne seit 2002 die spirituelle Dimension der Gesundheit der Palliativmedizin als festen Bestandteil zu: «Palliativmedizin (…) ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien (…) durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.»

Dem Auftrag gerecht werden

Bei alledem schwieg der Theologe nicht über die Gefahr des Missbrauchs der Religion. Doch, wie er immer wieder betonte, widerlege der Missbrauch einer Sache niemals ihren rechten Gebrauch. Die Kirche sei immer dann gewachsen, wenn sie ihrem Auftrag, heilsam in der Welt zu wirken, gerecht geworden sei. Damit stehe sie Seite an Seite mit medizinischen und therapeutischen Berufen. Eschmann plädierte für eine konstruktive Zusammenarbeit. Das Geheimnis des Lebens und der Heilung sah er dabei in der Güte Gottes begründet, der der Welt zugewandt ist und sie in seiner Schöpferkraft bewahrt, belebe und heile.

Theologe, Saxophonist, Tischtennisspieler

Fragte man die Gäste, was sie mit Holger Eschmann verbinde, zeigten die Antworten, wie vielfältig der nun emeritierte Professor aufgestellt ist. Er sei «bescheiden» und trotz seiner ausgeprägten Kompetenzen immer «auf dem Boden» geblieben. Sein gelebter christlicher Glaube und seine tiefe Frömmigkeit seien verbunden mit einer «ganz grossen Weite auch in Hinblick auf Andersgläubige». Holger Eschmann sei ein «spiritueller Mensch», ein «verbindender Mensch». Er «inspiriert» und «ermutigt» mit seinen Impulsen und seiner ganzen Person. Sein «leidenschaftliches Saxophonspielen» und seine Fähigkeiten im Tischtennis wurden ebenso erwähnt wie seine heilsame, seelsorgerliche und theologische Praxis.

Als Studienleiter des Masterprogramms «Christliche Spiritualität» wird Holger Eschmann auch weiterhin eine Lehrtätigkeit an der Hochschule ausüben. Ein Mitschnitt der Vorlesung ist auf dem YouTube-Kanal der Hochschule verfügbar.

Zum Thema:
Das Reizwort: «Müssen wir uns bekehren?»
Theologen-Ehepaar im Gespräch: «Glauben wir einander den Glauben noch?»
Neues Studienjahr am sbt: «Ist Theologie das Dümmste, was Menschen studieren können?»

Autor: Christoph Schluep
Quelle: EMK Schweiz

Werbung
Livenet Service
Werbung