Michael Blume: «Einer muss es ja tun!»

Michael Blume
Wer im Internet mit Hassbotschaften eingedeckt wird, erhält hauptsächlich zwei Reaktionen: «Selbst schuld» und «Eigentlich schade». Beides wird der Realität nicht gerecht, findet Michael Blume, der sich gerade im Rechtsstreit mit Twitter befindet.

Michael Blume (46) arbeitet für die baden-württembergische Landesregierung als Antisemitismusbeauftragter. Der studierte Religions- und Politikwissenschaftler bewegt sich seit Jahren in Bereichen, für die er viel Lob erhält – wie für die Rettung von 1'100 hautpsächlich jesidschen Flüchtlingen aus dem Irak – und solchen, für die er immer wieder kritisiert wird – wie für seinen Einsatz für interreligiösen Dialog und gegen Verschwörungsideologien. Behauptungen wie: «Antisemitismus ist nicht irgendein Verschwörungsglauben, sondern er bedroht die Grundlagen jeder friedlichen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung» gehen vielen zu weit. Letztlich sorgten Äusserungen wie diese und seine gleichzeitig liberale Praxis im Umgang mit Menschen sogar dafür, dass Blume selbst als Antisemit bezeichnet wurde.

Eine erfrischende Stimme

Als Blumes Sohn ihn bei Chat GPT eingab, erhielt er als Antwort, dass sein Vater «eine erfrischende Stimme» in der aktuellen Antisemitismusdebatte wäre. Das trifft den Nagel auf den Kopf, denn Michael Blume redet nie um den heissen Brei herum und ist gleichzeitig erfrischend verständlich. Für Yeet, den Podcast der Evangelischen Kirche in Deutschland, stand er Rede und Antwort. Mit das Erste, was er klarstellte, war: «So richtig durchgedrungen bin ich nicht.» Blume hatte 2017 sein Buch «Islam in der Krise» publiziert (Livenet berichtete).

Er schrieb 2019 über Antisemitismus und 2020 über Verschwörungstheorien. Inzwischen hat sich mit dem Ukrainekrieg vieles bestätigt, was er damals über Länder behauptete, die hauptsächlich von der Erdölproduktion leben und nicht an der «normalen» Wirtschaft hängen, doch wirklich gehört wurde Blume nicht. Das bringt ihn jedoch nicht zum Schweigen, sondern lässt ihn seine Thesen wieder und wieder darstellen.

Medienrevolution

Regelmässig wies Blume darauf hin, dass es ihm nicht nur um kleinteilige Veränderungen ging, sondern um eine Medienrevolution. In seinen Büchern zeigte er, dass diese schon vor langer Zeit mit der Einführung des jüdischen Alphabets begann, aber in ihrer Wirkung noch längst nicht abgeschlossen sei. «Medienrevolutionen sind das Mächtigste, was es gibt, aber wir nehmen sie normalerweise kaum wahr… Sie verändern alles – auch uns selber», behauptete er im Podcast zum Thema «Verschwörungsmythen in den sozialen Medien».

Der Buchdruck brauchte Jahrhunderte, um sich komplett durchzusetzen, erklärte er darin. Inzwischen wären wir auf einem Niveau, das sogar eine virtuelle Realität ermöglicht. Die sozialen Medien verändern unsere Gesellschaft einschneidend. Dabei ist es fast unmöglich auseinanderzuhalten, was positive und was negative Einflüsse sind. Als typisches Ereignis für sich beschreibt Blume dabei die Begegnung mit einer Jesidin im Irak. Die ältere Frau konnte weder lesen noch schreiben, trotzdem hatte sie in einem «heiligen Tal» ihr Tablet dabei. Der Grund war klar für sie: «Hier gibt es WLAN.»

In den sozialen Medien

Michael Blume arbeitet für die baden-württembergische Landesregierung als Antisemitismusbeauftragter und als Dozent am Karlsruher Institut für Technologie. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie. Mit seinem politischen Engagement und seiner Heirat mit einer Muslima (Andreas Malessa schrieb darüber das berührende Buch «Eine Blume für Zehra») ging er offensiv um, was ihn bald zur Zielscheibe von Hassbotschaften machte. Immer wieder erfuhr er aus den sozialen Medien, dass er mit seiner Frau in Scheidung leben, Kinder missbrauchen würde oder gar selbst ein Antisemit wäre. Soweit das möglich war, antwortete er jeweils persönlich und sachlich auf diese Vorwürfe. Seit 2019 beschränkt sich Blume auf die Auseinandersetzung auf Instagram und Twitter – von Facebook hatte er sich wegen der dort vorherrschenden Gesprächskultur zurückgezogen.

Auf der einen Seite erfuhr er, dass er damit seine «Hater» ermutigte. Nach seiner eigenen Aussage hatten sie schon beschlossen: «Aus Facebook haben wir ihn vertrieben, jetzt drängen wir ihn auch noch aus Insta und Twitter heraus.» Was hier nur als Möglichkeit steht, war eine echte Option für Blume. Immerhin ging es um ihn persönlich, um seine Reputation und vor allem um seine Frau und seine Kinder. Doch je persönlicher die Angriffe wurden, desto mehr fragte sich der Antisemitismusbeauftragte, ob er sich wirklich zurückziehen wollte – und konnte. 2022 wurde eine österreichische Ärztin über Online-Drohungen in den Suizid getrieben (siehe MDR aktuell). Dieser Fall und seine eigene Situation zeigten ihm deutlich: «Da wurde mir klar, dass diese Leute nicht aufhören werden… also habe ich mich entschieden, ich gehe in den Angriff.»

Klage gegen Twitter

«Wenn ich dieses Leid schon nicht vermeiden kann, dann kann ich ihm wenigstens einen Sinn geben», meint Blume zu den zahllosen persönlichen Angriffen über die sozialen Medien. Er selbst hätte sie wahrscheinlich auch so überstanden, doch stellvertretend für viele andere Christen, die im Netz Flagge zeigen, zog er mithilfe der Organisation HateAid gegen Twitter vor Gericht. 46 diffamierende Tweets waren dort trotz mehrfachen Interventionen einfach stehengeblieben. Twitter hatte auf seine Anfragen nicht reagiert. Blume betont: «Hass darf kein erfolgreiches Geschäftsmodell sein. Und ich nehme die Rückmeldungen von vielen Mit-Betroffenen von Trolling wahr, die mich bitten, die problematische Netzkultur auf Twitter nicht hinzunehmen. Gerade auch die Familien von uns Angegriffenen, aber auch Ehrenamtliche etwa in den jüdischen Gemeinden, Kommunalpolitikerinnen und -politiker, Mutige in Wissenschaft und Medien muss unser demokratischer Rechtsstaat vor digitaler Gewalt schützen!»

Zusammen mit HateAid und dem Anwalt Chan-jo Jun gewann Michael Blume in erster Instanz gegen Twitter. Im Podcast erzählt er mit einem Augenzwinkern: «Diese juristische Arbeit ist echt nicht schön. Das kostet auch unglaublich viel Geld und ist nicht sozial gerecht. Aber jemand muss es ja machen – und ich hatte für dieses Jahr noch nichts vor.» Klar ist: Diese Auseinandersetzung hat sich der Religionswissenschaftler nicht ausgesucht, aber er nimmt sie als Teil seiner Aufgabe hin. Mit seinem Rechtsstreit steht er weit entfernt von Christen, die behaupten «Man darf ja nicht einmal mehr behaupten…»

Ihnen entgegnet er: «Wir dürfen uns herzhaft streiten, aber Hass und Hetze gehen zu weit.» So ist seine Klage gegen Twitter im besten Sinne eine Musterklage, denn sie steht für das, was die Grünen-Politikerin Renate Künast so beschreibt: «Wenn wir uns jetzt nicht wehren, werden wir in einer individualisierten Welt, wo wir uns alle zurückziehen, weil wir den öffentlichen Raum scheuen müssen, leben. Und das genau gilt es zu verhindern.»

Zum Yeet-Interview

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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