Ukrainische Pfingstgemeinden wachsen rasant
«Die Gemeinden sind überfüllt, die Menschen suchen Gott», sagt Jane Dollar, Ukraine-Missionarin der Assemblies of God – 2022 hat sie in Polen ein Haus für ukrainische Flüchtlinge geleitet –; und Mykhailo Panochko, leitender Bischof der 100 Jahre alten ukrainischen Pfingstkirche, bestätigt: «Im Land ist ein grosser geistlicher Hunger. Viele haben sich bekehrt und sich taufen lassen. Die Ernte ist so gross, uns fehlt es an Mitarbeitern – an Leitern und Leuten, die sich um die jungen Christen kümmern und sie versorgen und begleiten zur vollen Reife in Christus.»
Eine kleine Gemeinde in der zeitweilig besetzten Stadt Cherson im Süden des Landes zum Beispiel hat über 500 neue Mitglieder, aber nur einen Pastor. Die 1‘700 Kirchen und 115'000 Mitglieder des Gemeindebundes reagierten auf die Angriffe damit, dass sie in die Bresche sprangen und neue Wege gingen im Barmherzigkeitsdienst. «Die Invasion hat gezeigt, welch enormes Potenzial die Kirche hat, dem Land zu dienen», sagt Panochko. «Die Gemeinden begannen sofort mit sozialen Projekten, um Menschen in Not zu helfen; Pfingstkirchen haben insgesamt 100‘000 Menschen aus den Kampfgebieten gerettet und evakuiert.»
«Für die Kirchen war dies totales Neuland»
Zu diesen Gebieten gehört auch die Ostgrenze zu Russland, wo gleich nach Kriegsausbruch Ende Februar 2022 ein kleines Team von Christen einen Lieferwagen mit Anhänger voller Lebensmittel und Bibeln in feindliches Gebiet brachte. Als im Herbst die russische Armee sich von dort zurückzog, eilten Pfingstgemeinden nach Isjum und anderswo und brachten Lebensmittel, Hygieneartikel und Medikamente. Die Stadt sieht heute aus wie in einem Gruselcomic – die Häuser von Bomben zertrümmert, mehrstöckige Gebäude durch Raketen zweigeteilt, die Strassen fast menschenleer. In einigen Städten brachten die Pfingstler das erste Brot nach der Räumung. «Für die Kirchen war dies absolutes Neuland», sagt Panochko.
Christen in Lyman, zehn Kilometer hinter der Front, stellten in einem Dorf im Niemandsland Lebensmittel und kostenlose Bibeln ab und sprachen mit den Einwohnern unter Kanonendonner und den Augen Hunderter von Soldaten auf den schlammigen Strassen auf dem Weg von und zur Front. «Eine Mutter und ihre Tochter kamen auf uns zu und erzählten mit leuchtenden Augen, sie hätten in der Nähe ein ‘Gebetshaus’ entdeckt (so nennen die Freikirchen ihre Gemeindehäuser). ‘Jetzt gehen wir alle dorthin, die ganze Familie’, sagte die Mutter und drückte ihre neue Bibel an sich. ‘Ohne die Gemeinde könnte ich nicht mehr leben!’» Seit Kriegsbeginn leben sie in einem Keller ohne Wasser und Strom; doch inmitten der Kämpfe haben sie jetzt geistliches Leben gefunden.
«Es ist Zeit, Menschen in Not Barmherzigkeit zu erweisen»
Manche sind geblieben, Millionen sind geflohen und sind jetzt Binnenflüchtlinge. Die Kirchen in der Westukraine haben Tausenden ihre Türen geöffnet. «Sie haben Unterkünfte für Leute auf dem Weg zur Grenze angeboten», sagt Panochko. «Die Matratzen lagen im Saal, auf der Bühne, in den Büros der Pastoren, in den Kinderräumen – überall.» Mit Hilfe der Assemblies of God World Missions (AGWM) kauften die Gemeinden tankwagenweise Treibstoff für die, die unterwegs zur Grenze waren, und rund 150 Fahrzeuge waren rund um die Uhr im Einsatz und brachten Tausende von Frauen, Kindern und älteren Menschen von der Front weg.
Zudem lieferte der Bund ukrainischer Pfingstgemeinden über 50‘000 Tonnen humanitäre Hilfe; die Männer bauten im Winter einfache Öfen und brachten sie samt Brennholz in die Kriegsgebiete und die Frauen kochten Essenskonserven, die man auf offenem Feuer erhitzen konnte. «Die Kirche hat verstanden, dass es jetzt Zeit ist, wie Jesus Menschen in Not Barmherzigkeit zu erweisen», sagt Panochko. «Neben all der Nothilfe haben wir über 1 Mio. Neue Testamente verteilt.»
Strassen- und U-Bahn-Gottesdienste in Warschau
Weiter westlich, im vergleichsweise wohlhabenden Warschau, ist unter den ukrainischen Flüchtlingen eine Erweckung ausgebrochen. In der Innenstadt halten junge Leute täglich Strassen- und U-Bahn-Gottesdienste ab, ihr fröhliches Gitarrenspiel und Singen zieht junge Menschen zu Bibelkursen und Gemeindetreffen an. An einem Donnerstagabend kamen 45 junge Menschen in einen Nebenraum, um zu beten und Gott zu preisen, zu lachen und über die Bibel zu sprechen – sie alle sind Flüchtlinge aus der Ukraine.
Ihr Leiter Alexander – seinen Nachnamen möchte er nicht nennen – sagt: «So etwas haben wir noch nicht erlebt, dass die Ukrainer so das Evangelium hören wollen.» Alexander leitet einen Zusammenschluss von Pfingstgemeinden. «Vor Jahren sprachen wir über Erweckung und stellten uns das sehr schön vor, als eine friedliche Zeit, und alle würden sich bekehren. Wir hätten nie an Krieg gedacht und dass die Menschen auf diese Weise von Jesus hören würden.»
«Vor dem Krieg kam keiner»
Im ukrainischen Krementschuk hat sich eine freie Gemeinde in nur wenigen Monaten mehr als vervierfacht. Pastor Vladimir Avilov hat in der Innenstadt einen grossen Saal gemietet, um Platz zu haben für die vielen, die am Sonntagmorgen kommen zu Bibellehre, Musik und Gemeinschaft. «Vor dem Krieg haben wir ständig in die Kirche eingeladen, aber es kam keiner», sagt Avilov, «und auf einmal kommen sie und es werden immer mehr.» Jana, 33, Ehefrau und Mutter, erzählt begeistert von der Freude, die sie unter diesen Christen gefunden hat: «Es ist fürchterlich hier, aber wir vertrauen auf Gott», sagt Jana. «Jeden Tag beten wir: ‚Gott, hilf uns. Beschütze unsere Soldaten und unser Volk‘, und möge der Krieg bald zu Ende sein.»
Jane Dollars Ehemann Gerald ist in Kiew leitender Finanzverwalter der Evangelischen Theologischen Universität. Er blieb während der Bombardierung und der russischen Belagerung in der Stadt, um die Hilfe der Kirchen für die Menschen vor Ort zu koordinieren. «Als der Krieg ausbrach, brauchten die Pfingstkirchen keine Hilfsnetze aufzubauen», sagt Gerald. «Sie hatten schon welche, mussten sie nur noch ausbauen.» Durch das Helfen sind die Gemeinden enorm gewachsen. «Die Pfingstkirchen wurden zur Quelle der Hilfe. Wenn Menschen stundenlang auf dem Gemeindegelände Hilfe erhalten und von Unbekannten versorgt und geliebt werden wie noch nie, dann hat das eine starke Anziehungskraft. Das bringt die Menschen zum Kreuz»“
Die christlichen Gemeinden seien die besten Hilfswerke überhaupt, sagt er. «Nach dem Krieg wird ihr Image anders sein – und dann können wir noch mehr bewirken.»
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