Etwas Neues ist am Wachsen

Gottesdienst in einer lationamerikanischen Kirche
Das evangelische Christentum weltweit hat sich im vergangenen Jahrhundert verändert. Nicht nur, dass sich die Zahl verdreifacht hat, sie hat sich auch verlagert. Das unterstützen nicht zuletzt die Migrationsströme.

Das Gesicht der Christenheit verändert sich – mit raschen Schritten. Zum einen in der Anzahl: Gab es 1970 noch nur etwa 112 Millionen evangelische Christen in der Welt, sind es heute über 386 Millionen – doch die Mehrheit von ihnen lebt im globalen Süden. Wie die Autorin und anglikanische Pfarrerin Tish Harrison Warren für die New York Times recherchiert hat, gibt es längst nicht nur in den USA sogenannte Megachurches. Die grösste Megakirche trifft sich mit etwa 480'000 Mitgliedern in Seoul (Yoido Full Gospel Church), aber auch in Lateinamerika existieren etwa 14 Megachurches mit Tausenden Mitgliedern. Und weithin bekannt ist, dass China vermutlich bald das Land mit den meisten Christen sein wird (Livenet berichtete).

Verlagerung vom Westen in den Süden

Diesen Umschwung beschreibt auch Scott Sunquist in seinem Buch «The Unexpected Christian Century». Der Autor schreibt, dass während im Jahr 1900 noch etwa 80 Prozent der christlichen Bevölkerung in der westlichen Welt und nur 20 Prozent in der restlichen Welt lebte, so waren es im Jahr 2000 nur noch 37 Prozent im Westen – zwei Drittel leben mittlerweile im globalen Süden. Auch Afrika hat zu diesem Umschwung beigetragen: Während es zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts dort nur neun Prozent Christen gab, waren es am Ende des 20. Jahrhunderts 45 Prozent – rund 685 Millionen Christen leben heute in Afrika. Damit gibt es sowohl in Lateinamerika als auch in Afrika mehr evangelische Christen als in Europa.

Wie Harrison Warren erklärt, wachsen zwar auch die alteingestandenen Denominationen weltweit, doch das hauptsächliche Wachstum geschehe in unabhängigen und indigenen Pfingstgemeinden. Man müsse anfangen, von einer neuen Familie christlicher «geistlicher» Kirchen zu sprechen, die keine geschichtlichen Bindungen zur traditionellen westlichen Kirche haben.

Migrantengemeinden in den USA und Europa

Doch nicht nur die Gemeinden im globalen Süden wachsen, es kommen auch immer mehr Migranten in den Westen. Sind es Christen, gründen sie häufig neue interkulturelle Gemeinden oder tragen zu deren Wachstum bei. Sind es keine Christen, kommen sie auf der Suche nach Kontakt häufig in multikulturelle Gemeinden und kommen dort zum Glauben. So wächst das Christentum auch wieder in Ländern wie den USA. Harrison Warren schreibt etwa von der Stadt Austin in Texas, die gut 960'000 Einwohner zählt. Allein hier existieren rund 150 Migranten-Kirchen.

Ähnlich ist es aber auch in europäischen Ländern. So schreibt die Autorin von den drei grössten evangelischen Kirchen in Paris, die alles charismatische oder pfingstlerische Megakirchen sind, in denen sich hauptsächlich Migranten aus der Karibik treffen. Auch die grössten Kirchen Londons würden von Afrikanern geleitet, etwa das Kingsway International Christian Centre, das von dem Nigerianer Matthew Ashimolowo geleitet wird und mit bis zu 12'000 Sonntagsbesuchern zu den grössten Kirchen Europas gehört. Das Fazit der anglikanischen Autorin: «Was wir hier sehen, ist nicht einfach, dass sich der ‘weisse Protestantismus’ verändert; es entsteht etwas Neues.»

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Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet / New York Times / Evangelico Digital

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