«Keine Kirche? Dann brauchen wir auch keine Moschee!»

Menschenmenge vor einer Kathedrale in Ägypten
Hoffnung in Nahost: Der ägyptische Präsident setzt sich für die christliche Minderheit ein, bilanziert der katholische Priester Kamil Samaan aus Ägypten im Gespräch mit Livenet. Er besuchte die Schweiz auf Einladung von «Kirche in Not».

«Die Situation in Ägypten ist eine Mischung zwischen Herausforderung und Hoffnung», erklärt der ägyptische Priester Kamil Samaan gegenüber Livenet. Er besuchte die Schweiz auf Einladung des katholischen Hilfswerks «Kirche in Not».

«Wir haben innere und äussere Schwierigkeiten.» Die Wirtschaftskrise macht sich auch in Ägypten bemerkbar. «Die Inflation betrug im vergangenen Jahr etwa 30 Prozent.» Aber es gibt auch Hoffnung. So subventioniert die Regierung beispielsweise das Brot, so dass der Preis dieses Nahrungsmittels nicht steigt. «Das ist eine Herausforderung – und Hoffnung.»

Christliche Gouverneurin wiedergewählt

Die Lage für die Christen verbessert sich langsam. Dies ist bemerkbar, wenn es um christliche Politiker geht; «dem Präsidenten wurde bereits vorgeworfen, dass er christliche Politiker favorisiert.» In einer Provinz im Nil-Delta, in der Christen nur 0,5 Prozent zählen, «wagte es der Präsident, eine christliche Frau zur Gouverneurin zu ernennen. Sie hat ihren Job sehr gut gemacht.»

Nun ist Manal Awad Mikhael unlängst im Amt bestätigt worden. Dies ist ein wichtiger Punkt für die Christen und für die Frauen in Ägypten.

Kairo kann wieder atmen

Trotz der internationalen Krise, wächst ausserdem die ägyptische Infrastruktur. «In weniger als drei Monaten zieht die Regierung ganz in die neue Hauptstadt in die Wüste zwischen Kairo und Suez um», blickt Kamil Samaan voraus auf eine gigantische Veränderung im grössten arabischen Land der Welt (Ägypten zählt mehr arabische Einwohner als Saudi-Arabien, der Irak und Libyen zusammengezählt).

Kairo, die grösste Stadt Afrikas, wird dadurch bemerkenswert entlastet. «Die Verbindungen sind mit Eisenbahn und U-Bahn sehr gut vorbereitet. Und das grosse Kairo, das etwa elf Millionen Einwohner zählt, kann wieder atmen.»

Diskriminierung tief verwurzelt

«Die Christen und vor allem die Katholiken sind eine sehr winzige Minderheit. Sie müssen sich ihre Anerkennung erkämpfen.» Der gute Wille der obersten Schicht der Politiker sei erkennbar, beobachtet Kamil Samaan, aber die Diskriminierung der Minderheiten sei in der Bevölkerung stark verwurzelt. «Es dauert seine Zeit. Die Christen erkämpfen ihre Anerkennung durch eine friedliche und konstruktive Arbeit.»

Die Katholiken sind gut in der Erziehung, im Gesundheitswesen und im sozialen Engagement. «Doch uns fehlt das Geld. Hilfsorganisationen wie ‘Kirche in Not’ kommen uns entgegen. ‘Kirche in Not’ finanziert Kirchenbau, Schulen und Entwicklungsprojekte.»

Kirchen schaffen «Sprung» auf Baupläne

Der ägyptische Präsident steht dafür ein, dass in jeder neuen Stadt Schulen, Moscheen und Kirchen vorhanden sind, sagt Kamil Samaan. «Und wir erhalten das Grundstück umsonst. Das ist etwas ganz Neues für uns in Ägypten. In der neuen Hauptstadt hat der Bischof Claudio Lurati das Grundstück bekommen. Der Patriarch der koptischen-katholischen Kirche besichtigte das Grundstück kürzlich. Und in der Hauptstadt baute der Staat die Kathedrale für die koptisch-orthodoxe Minderheit. Der Staat hat es nicht selbst finanziert, aber er hat dazu animiert. Geschäftsleute haben sie finanziert. Vor drei Jahren wurde sie offiziell eröffnet. Mit dabei waren Präsident as-Sisi, der koptische Papst Tawadros II. und auch der Imam der Al-Azhar-Universität war dabei und hat eine Rede gehalten. Das ist ganz neu für uns – das lässt hoffen.»

«Dann braucht es auch keine Moschee!»

Pfarrer Kamil Samaan

«Einmal wurde dem Präsidenten der Bauplan einer neuen Stadt vorgelegt», erinnert sich Kamil Samaan. «Er schaute ihn an und sah Schulen, Moschee, Strassen, Universität. Da sagte er, dass die Moschee gestrichen werden müsse.» Entsetzt wurde entgegnet: «Wieso, das ist eine Moschee?» Da entgegnete as-Sisi: «Wenn keine Kirche da ist, braucht es auch keine Moschee!»

Da geriet der Planer ins Schleudern und er sagte: «Ja, aber die Christen sind eine Minderheit.» Doch der Präsident entgegnete: «Diese Minderheit braucht ein Lokal zum Beten. Es muss eine Kirche dabei sein.» Seither werden bei der Bauplanung einer neuen Stadt immer auch Kirchen berücksichtigt und kommen ganz selbstverständlich neben Moscheen, Universitäten und Schulen zu stehen.

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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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