2000 Christen verlassen täglich Nord-Syrien

Tausende Christen haben Syrien in den vergangenen Wochen und Monaten verlassen
Nur wenige Wochen nach der Machtübernahme durch die Islamisten liegen die Frauenrechte am Boden. Täglich fliehen rund 2000 Christen und andere Minderheiten aus Nordsyrien. Eine Bestandsaufnahme der IGFM.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) berichtet von Einschränkungen der Frauenrechte und davon, dass Kirchen zugemauert oder verwüstet werden. «Das Schulsystem wurde bereits auf die strikte Befolgung islamistischer Regeln umgestellt», schreibt IGFM in einer Pressemeldung. «Mädchen, auch Angehörige nicht-islamischer Minderheiten, müssen nun in der Schule ein Kopftuch tragen.»

IGFM-Vorsitzender Edgar Lamm fordert deshalb: «Die internationale Gemeinschaft darf sich von der neuen Regierung in Syrien nicht täuschen lassen. Auch wenn sie nach aussen hin ein friedliches Gesicht zeigt, darf nicht vergessen werden, dass sie aus bewaffneten islamistisch-dschihadistischen Rebellen hervorgegangen ist, die für ihre Verbindungen zu Al-Qaida und ihr barbarisches Vorgehen bekannt sind. Dass dem französischen Aussenminister bei seinem Besuch in Syrien die Hand gereicht wurde, der deutschen Aussenministerin aber nicht, ist daher nicht nur ein politischer Affront. Es ist ein klares Zeichen dafür, dass die neuen Machthaber nicht bereit sind, ihr islamistisches Frauenbild hinter sich zu lassen.»

Frauen sollen Hidschab tragen

Die IGFM steht in engem Kontakt mit Dr. Nabil Antaki von den Blauen Maristen, einer Gruppe von katholischen Ordensbrüdern und Laien in Syrien. Laut ihm werden christliche Frauen in den Strassen von Aleppo aufgefordert, den «Hidschab» zu tragen. Er befürchtet, bald in einem islamischen Staat zu leben, in dem «die Scharia Quelle der Gesetze» ist.

«Ich rechne nicht mit grossen Massakern, befürchte aber einen schleichenden Prozess der Verfolgung und Ermordung syrischer Minderheiten durch radikale Islamisten», sagt Edgar Lamm. Deutsche Regierungsvertreter müssen bei ihren Besuchen auf die Einhaltung der Menschenrechte und insbesondere der Frauenrechte drängen.

Schon ein Exodus?

«Ich würde aktuell noch nicht von einem Exodus sprechen, aber es gibt viele Menschen, die sich grosse Sorgen machen», sagt IGFM-Sprecher Valerio Krüger im Gespräch mit Livenet. Eine aktive Reaktion der Regierung auf die Flucht der Minderheiten sei bisher nicht zu erkennen. «Aufgrund ihres fundamentalistischen Charakters begrüsst sie es, wenn sie gehen, es ist nicht so, dass sie sich darüber Sorgen macht.»

Die islamistischen Kräfte wollen die Scharia einführen. «Im Moment finden wir das noch nicht auf gesetzlicher Ebene und noch nicht von den Polizeikräften stringent durchgesetzt. Aber eine radikale Auslegung der Scharia liegt dem neuen Regime zugrunde. Die Kurden ihrerseits, wohin die Christen jetzt fliehen, sehen sich nicht als Minderheit, sondern als integraler Bestandteil.»

«Sie wissen nicht, was morgen kommt»

«Fast alle Mädchen in den Schulen von Damaskus, wo die Islamisten regieren, tragen nun ein Kopftuch – aus Angst», bedauert Valerio Krüger. «Sie wissen nicht, was morgen sein wird. Die Islamisten wollen sich zwar international als besser darstellen als ihre Vorgänger und bestrafen derzeit niemanden. Aber ich glaube nicht, dass es lange dauern wird. Die Bischöfe haben an die Regierung appelliert, aber sie hat nicht reagiert. Wenn die Christen fliehen, bedeutet das, dass sie in Gefahr sind.»

Man müsse die neue Regierung mit den Taliban vergleichen. Wird Syrien das nächste Afghanistan? «Wenn kein internationaler Druck aufgebaut wird, könnte es zu 100 Prozent in diese Richtung gehen. Nicht so rigoros in der Ausrichtung, aber rigoros in der Form, dass sie überall präsent sind. Sie werden versuchen, immer wieder neue Regeln aufzustellen und sehen, wie die internationale Politik darauf reagiert.»

Valerio Krüger

Darauf achten, dass Extremisten keine freie Hand haben

«Wir sind in Kontakt mit Menschen in Syrien, mit Christen und Muslimen, und wir machen die deutsche Regierung darauf aufmerksam, was die Nachteile einer solchen schrecklichen Regierung sind», fasst Valerio Krüger zusammen. «Wir appellieren an die Bundesregierung und erklären auch, dass die Türkei kein verlässlicher Partner ist.»

Zehn Jahre Bürgerkrieg gingen dem voraus. «Wir haben eine Verantwortung, die Menschen nicht ihrem Schicksal zu überlassen. Hier leben seit Jahrthunderten Christen. Hier bei uns leben auch verschiedene Religionen zusammen – aber dort kann jetzt das jahrhundertelange Miteinander zerstört werden, deshalb müssen wir schauen, dass diese Extremisten dort nicht machen können, was sie wollen.»

Türkei betreibt Imperialismus

Bereits hat die Türkei sich einen Teil im Norden Syriens einverleibt. «Das ist Imperialismus, das muss verboten und sanktioniert werden. Die Türkei destabilisiert die ganze Region, auch durch gezielte Islamisierung. Hier muss Einhalt geboten werden», betont Valerio Krüger. Doch das geschehe aus verschiedenen Gründen kaum.

Gleichzeitig dürfe die syrische Übergangsregierung jetzt nicht überall hofiert werden.  «Ihr muss ausserdem klargemacht werden, dass es nun demokratische Wahlen braucht und dass die menschenrechtlichen Verpflichtungen durchgesetzt werden.»

Gleichzeitig gebe es folgendes Phänomen: «Viele islamistische Kämpfer haben sich den Rebellen angeschlossen, die nicht aus Syrien stammen. Sie kommen aus Turkmenistan, Tschetschenien, Saudi-Arabien und Nordafrika . Es liegen uns auch Informationen über uigurische Islamisten vor. Die haben gegen die 'Ungläubigen' gekämpft und sind jetzt sozusagen Teil der Regierung. Sie versuchen, sich so schnell wie möglich als die richtige Regierung darzustellen und Fakten zu schaffen.» Deshalb müsse der Westen jetzt handeln und nicht nur zuschauen.

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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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