Asylchaos oder mangelnde Weitsicht?

Eine Kirchgemeinde in Riggisberg half mit, gemeinnützige Beschäftigungsprogramme für Migranten in öffentlichen Institutionen vor Ort zu lancieren.
Regelmässig veranstaltet das Eco Church Network die «1h ECO-Runde», ein Online-Projekt von StopArmut. Impulse zu einem ökologischen Aspekt wollen inspirieren und zum Austausch anregen. Am 21. März ging es um das Thema Migration.

Zu Beginn seines Referats stellte Pfarrer Daniel Winkler die Frage, woran wir beim Wort «Migration» denken und mutmasste «an Flüchtlinge». Kritisch gab er zu bedenken: «Migration ist viel mehr als bloss Flüchtlinge.» Winkler umriss in seinem Referat zuerst vier gängige Missverständnisse bezüglich Migration. Anschliessend zeigte er Handlungsmöglichkeiten auf.

1. Missverständnis: Das Asylchaos

«Wir haben in der Schweiz kein Asylchaos», stellte der in der Flüchtlingsarbeit engagierte Pfarrer fest. Derzeit belasten 65´000 aus der Ukraine Geflüchtete immer noch stark unsere Asylstrukturen. «Deshalb fehlen Unterkunftplätze, wenn aussereuropäische Flüchtlinge in die Schweiz kommen», sagte Winkler.

Das seien Herausforderungen, aber Asylchaos sei ein völlig falsches Wort. Problematisch sei eine verzerrte Wirklichkeit aufgrund statistischer Zahlen: 2023 waren ein beträchtlicher Teil der Asylgesuche etwa Doppelgesuche oder Familiennachzüge – diese Asylanträge werden nicht genauer spezifiziert und plustern Zahlen auf.

2. Missverständnis: Arbeitsmigration und Asylmigration

Winkler stellte fest, das beides häufig in der öffentlichen Diskussion vermischt wird: Asylzuwanderung und Arbeitszuwanderung werden in einen Topf geworfen. Tatsächlich denken viele Menschen beim Wort Migration irrtümlicherweise zuerst an Geflüchtete, obwohl das grösste Stück des Migrationskuchens die Arbeitszuwanderung betreffe. Hauptgrund für den Zuwachs ausländischer Arbeitskräfte sei die grosse Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt.

3. Missverständnis: Kriminelle Flüchtlinge

Daniel Winkler

Winkler fragte in die Runde: «Sind Ausländer krimineller als Schweizer?» Tatsächlich liege der Anteil der Gefängnisinsassen bei ca. 50 Prozent Ausländern. Einbruchsdiebstähle von Menschen aus Maghrebstaaten haben überproportional zugenommen – dies lasse sich nicht schön reden. Jedoch sollte beachten werden: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein männlicher, junger, mittelloser Ausländer ohne Bildung ein Verbrechen begeht, sei genau gleich hoch wie bei einem Schweizer mit denselben Voraussetzungen. Winklers Schlussfolgerung: Die Nationalität ist nicht massgebend für Straffälligkeit, sondern Gründe wie beispielsweise Armut.

4. Missverständnis: Sind Flüchtlinge faul?

Basierend auf der Sozialhilfequote im Flüchtlingsbereich, die zwischen 80 und 90 Prozent schwankt, fragte er: «Sind Geflüchtete weniger fleissig oder sogar faul?» Winkler erklärte: Wer in einem Jahr mindestens einen Tag Sozialhilfe beansprucht hat, findet Eingang in die Sozialhilfestatistik. Im Jahr 2022 kamen ungefähr 100'000 Flüchtlinge in die Schweiz, davon 75'000 aus der Ukraine. Rasche Sprachkenntnisse und Ausbidlungen seien Schlüsselfaktoren, um sich zu integrieren. Dies bräuche aber Zeit und erfordere grosse Anstrengungen.

Interessant sei aber der Fakt, dass von den Sozialhilfebeziehenden ungefähr ein Drittel arbeitet, ein zweites Drittel der Sozialhilfebeziehenden Kinder sind und ein weiteres Drittel Erwachsene sind, die vollständig Sozialhilfe beziehen. Anhand dieser Zahlen fand Winkler klare Worte zu der Sozialhilfequote bei Geflüchteten: «Diese Zahl bei Geflüchteten ist eine nutzlose Ziffer ohne Aussagekraft. In Geflüchteten pauschal faule Menschen zu sehen, ist eine Frechheit.»

Wie hängen Ökologie und Asyl zusammen?

Winker äusserte: «Wir Menschen sind eine grosse Schicksalsgemeinschaft und es kann uns nicht gleichgültig sein, was in anderen Ländern dieser Welt passiert.» Die Rohstoffe, die wir für westliche Technologien nutzen, kämen selten der dortigen Bevölkerung zugute und landen stattdessen in den Händen einer korrupten Elite. Nicht zuletzt werde eine intakte Natur zugunsten von Wachstum zerstört.

In der Bibel fänden wir 53 Appelle, mit Fremden anständig umzugehen, gab der Theologe zu bedenken. «Für Geflüchtete ist es besonders wichtig, etwas Sinnvolles zu tun», hielt Winkler fest. Seine eigene Kirchgemeinde half mit, gemeinnützige Beschäftigungsprogramme in öffentlichen Institutionen vor Ort zu lancieren. Er zählte Handlungsmöglichkeiten für Geflüchte auf:

  • Unterstützung und Entlastung des Personals in Alters- und Pflegeheimen
     
  • Mitarbeit in Gartenprojekten wäre sehr geeignet
     
  • Es besteht die Idee, im Gantrischgebiet Alpweiden zu säubern und Wege instand zu halten
     
  • Für die biologische Landwirtschaft, die auf viel Handarbeit angewiesen ist, könnten auch niederschwellige Beschäftigungsprogramme eingerichtet werden

Zum Schluss hielt Winkler fest: «Geflüchtete Menschen zeigen uns, wie gefährdet und zerbrechlich unser Leben ist.»

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Autor: Lukas Gerber
Quelle: StopArmut

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