Wolfgang Schäuble und seine Überzeugungen
Wolfgang Schäuble, seit einem Attentat im Jahre 1990 querschnittgelähmt und im Rollstuhl, war einer der profiliertesten deutschen Politiker – und einer, der mit seiner christlichen Überzeugung nicht hinter dem Berg hielt. Er bezeichnete das Christentum als «wichtige Ressource für die Werteorientierung in Gesellschaft und Politik». Die Reformation sei für unser Welt- und Menschenbild von absolut prägender Bedeutung. «Die Entstehung eines modernen Menschenbildes mit der eigenen Würde und Verantwortung des Einzelnen hat hier ihre Wurzeln», erklärte er bereits 2007 und fasste auch gerade den Inhalt der Reformation zusammen: «Für mich als evangelischen Christen ist sie vor allem die Wiederentdeckung der zentralen biblischen Heilsbotschaft, der Rechtfertigung vor Gott, allein aus Gnade, allein durch Glauben.»
Gott und die Finanzkrise
Schäuble setzte sich immer für die soziale Marktwirtschaft ein, die entscheidend mit dem christlichen Menschenbild zu tun habe: Sie respektiere die Freiheit des Menschen, zeige ihm aber dort, wo er in der Sünde gefangen sei, Grenzen und Regeln auf. Denn, so der Realist Schäuble im Jahre 2011: «Seit der Vertreibung aus dem Paradies, hat die Sünde den Menschen fest im Griff. Das hat nicht zuletzt die globale Finanzkrise gezeigt.» Die Krise sei durch grenzenlose Gier nach immer höheren Gewinnen an den Kapitalmärkten ausgelöst worden. Schäuble sprach von Raubbau und Masslosigkeit. «Wir brauchen Grenzen, wollen sie aber in der Regel nicht anerkennen. Und so wenig wir Grenzen im Allgemeinen anerkennen wollen, so wenig liegt es in unserer Natur, anzuerkennen, dass es etwas Höheres als uns gibt. Da scheint mir das eigentliche Problem zu liegen.» Der Glaube an Gott erinnere daran, dass solche Auffassungen immer falsch und gefährlich seien.
Für einen Glauben an Gott sei man nie zu satt. «Wer auch immer wir sind, wie auch immer erfolgreich wir sind, wir sind Wesen mit Grenzen, und wir müssen das anerkennen – in unserem eigenen Interesse und im Interesse der Welt als ganzer.» Mit seiner Politik der Bescheidenheit schaffte er als Finanzminister während zwei Wahlperioden die «schwarze Null», also einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden.
Attentat und die Nähe Gottes
Immer wieder sprach der CDU-Politiker über seinen Glauben und betonte, dass sein Leben als Christ eine «Quelle der Vergewisserung und der Gelassenheit» ist. Dadurch fühlte er sich «für die Widrigkeiten des Lebens besser ausgestattet». «Ich bin evangelischer Christ», so Schäuble. «Und es gehört, vor allem nach den vielen Erlebnissen in meinem Leben, zu meinen prägenden Erfahrungen, dass Gott, was immer uns geschieht, uns nicht aus seiner Hand lässt. Das gibt mir Kraft und Zuversicht.»
«Für Schäuble ist der Glaube an Gott keine theoretische Sache», schrieb Miriam Hinrichs im Jahr 2017. Von Kindheit an wurde er christlich geprägt und der Glaube hat ihn durch sein Leben begleitet. 1990 wurde er Opfer eines gezielten Attentats und sass seitdem im Rollstuhl. Doch gehadert hat er mit Gott deswegen nicht. Im Gegenteil. Er hat erfahren, «dass man durch Gott auch gehalten und getragen ist, wenn man noch so grosses Elend erlebt». Wie er sagte, habe ihm der Glaube an Gott geholfen, mit den Folgen des Anschlags zurecht zu kommen. «Ich habe da die Erfahrung gemacht, die Dietrich Bonhoeffer einmal beschrieben hat: Widerstandskraft in der Not kriegt man nicht auf Vorrat. Man kriegt sie, wenn man sie braucht. Ich habe gelernt, dass das Leben weitergeht. Ich habe Geduld gelernt und Disziplin.» Und später erklärte er, «dass man ohne Rollstuhl möglicherweise auch nicht glücklicher ist als bei einem Leben im Rollstuhl».
Die Bibel als wichtiges Handwerkszeug
Für Schäuble gehörte die Bibel zum täglichen Leben dazu. Er fand: «Die Bibel sollte zum Handwerkszeug jedes Menschen gehören, der mit Sprache und Politik zu tun hat. Sie ist eines der wichtigsten Bücher unseres kulturellen Wissens.» Er sei «manchmal fassungslos» gewesen, wenn er feststellte, dass junge Menschen nicht mehr die Bedeutung von Feiertagen wie Karfreitag wüssten.
Den Kirchen in Deutschland rechnete der Politiker dabei gute Zukunftschancen aus. Er glaubte: «Mehr Menschen werden wieder einsehen, dass man ohne Glaube, Religion und Gott schwerer leben kann.» Und dann sagte Wolfgang Schäuble: «Meiner Kirche wünsche ich, dass sie laut und froh ihren Glauben bekennt und ihre Botschaft verkündet in einer Zeit, in der diese Botschaft dringend gebraucht wird.»
Wolfgang Schäuble ist am 26. Dezember 2023 mit 81 Jahren im Kreise seiner Familie friedlich eingeschlafen.
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