«Das Wohl der Menschen soll im Zentrum stehen»
Marianne Streiff-Feller (66) hatte eine interessante politische Laufbahn. Nach ihrer exekutiven Tätigkeit im Gemeinderat Köniz war die EVP Politikerin zwölf Jahre Mitglied im Grossen Rat (Berner Kantonsparlament) und weitere zwölf Jahre im Nationalrat. Von 2014 bis 2021 war sie Parteipräsidentin der EVP Schweiz. 2022 trat sie als Nationalrätin zurück. Im Gespräch mit Livenet teilt sie Erinnerungen und gibt Einblick in ihre aktuellen Tätigkeiten.
Welche schönen Erinnerungen haben Sie an Ihre politische Tätigkeit?
Marianne Streiff-Feller: Gerne denke ich zurück an viele herzliche Begegnungen, Freundschaften und eine gute parteiübergreifende Zusammenarbeit. Den wertschätzenden Umgang mit Andersdenkenden empfand ich immer als wertvoll und bereichernd. An angenommene Vorstösse von mir erinnere ich mich natürlich auch gerne. Ich engagierte mich zum Beispiel immer stark gegen Ausbeutung und als der Nationalrat sich dafür aussprach, dass Arbeitsausbeutung ein Straftatbestand wird, war das für mich ein Highlight. Auch dass dem Bundesrat Dank eines Vorstosses von mir der Auftrag gegeben wurde, bei internationalen Gesprächen immer auch die Religionsfreiheit anzusprechen, gehört zu diesen Highlights.
Welche schwierige Erfahrung kommt Ihnen in den Sinn?
Das Schwierigste während meiner politischen Tätigkeit war, wenn Christen mir aufgrund meiner politischen Positionen den Glauben absprachen. Das kam leider immer wieder vor. Die heftigen Kommentare von Christen haben mich sehr verletzt. Mit grundsätzlich Andersdenkenden hatte ich keine Probleme.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der EVP?
Ich hörte wiederholt von Menschen, die mittels Smartvote herausfanden, dass die EVP ihre politischen Ansichten am besten vertritt, sie aber trotzdem eine andere Partei wählten. Die EVP sei für sie zu christlich und deshalb nicht wählbar. Ich wünsche mir für die EVP, dass sie die Stimmen dieser Menschen in Zukunft erhalten wird.
Und für die Schweiz?
Ich wünsche mir, dass wir in der Schweiz aufeinander hören, aufeinander zugehen und versuchen, gemeinsame Lösungen zu finden. Das Wohl der Menschen soll im Zentrum stehen und nicht der eigene Wohlstand.
Sie sind seit 1978 verheiratet und haben mit Ihrem Ehemann Jürg drei gemeinsame, erwachsene Kinder. Geniessen Sie die Zeit mit Ihren Angehörigen?
Ja, sehr. Vor kurzem erhielten wir unser zweites Grosskind und freuen uns, einmal pro Woche die Kinder unserer beiden Töchter hüten zu dürfen.
Welches Engagement pflegen Sie sonst noch?
Ich bin Präsidentin bei Tearfund Schweiz, Co-Präsidentin bei Artiset und Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung GRS (Gesundheit, Religion und Spiritualität). Ausserdem habe ich im letzten Jahr eine Ausbildung in Palliative Care absolviert. In all diesen Bereichen geht es letztlich um Menschen, welche Unterstützung und Begleitung brauchen. Für mich ist es ein Vorrecht, mich für diese Anliegen zu engagieren und zu investieren.
Seit Sommer sind Sie nun auch Präsidentin von Livenet. Wie haben Sie die bisherige Zeit in dieser Aufgabe erlebt?
Es ist intensiv, sehr vielschichtig und spannend. Wir haben eine gute Zusammenarbeit mit den Vorstandsmitgliedern und der Geschäftsleitung – aber es ist auch herausfordernd. Ich freue mich, eine spannende Zeit mitzugestalten und zu begleiten und mit motivierten Leuten unterwegs zu sein, um gemeinsam Hoffnung in die Welt zu bringen.
Was möchten Sie bei Livenet bewegen?
Wir sind daran, die Rahmenbedingungen und Strukturen zu klären, damit Livenet wirkungsvoll das tun kann, was es ausmacht: in der Gesellschaft Impulse setzen, welche das Leben positiv und nachhaltig verändern. Neben diesen hoffnungsvollen Impulsen geht es um Orientierung und Unterstützung für Menschen in Not. Damit dies zielgerichtet passieren kann, braucht es gute Grundlagen.
Was wünschen Sie sich für die kirchliche Landschaft in der Schweiz?
Ich wünsche mir gegenseitige Akzeptanz. Die Menschen sind ja ganz verschieden und deshalb brauchen wir verschiedene Gefässe und Glaubenskulturen. Dabei ist es wie in der Politik: Wir sollten nicht gegeneinander, sondern miteinander unterwegs sein – gerade auch mit der Andersartigkeit, die wir in der kirchlichen Landschaft haben. Ich wünsche mir, dass die Kirchen wieder stärker werden und Salz sein können.
Vielen Dank, Frau Streiff-Feller, für das Gespräch!
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