Weisheit mit einem Augenzwinkern
«Irgendeiner muss es ja sagen», findet Nick Page. Und so verfasst der britische Autor, selbsternannte Historiker und «Schwätzer» augenzwinkernd Gedanken zum Thema Weisheit, auch wenn er ihnen voranstellt: «Das ist vielleicht eines der dümmsten Dinge, die ich je getan habe.» Seine Ausgangsbasis ist der Eindruck, dass viele lieber Influencern als Experten zuhören und dabei auf Verschwörungsgedanken und dumme Ideen setzen.
Page selbst fühlt sich dabei in keiner Weise als Experte, aber gerade deshalb erklärte er die letzten Monate für sich zum «Jahr der Weisheit» und machte sich auf die Suche. In Kirchen und Gemeinden fand er dabei ein seltsames Misstrauen gegen Weisheit. Oft wurden gute und vernünftige Gedanken hinterfragt, weil man sich nicht sicher war, ob es das war, «was Gott von uns will». Christen hatten Angst, plötzlich «ausserhalb des Willens Gottes» zu stehen und wünschten sich augenscheinlich, dass Gott selbst ihnen die Last der Entscheidungen abnahm. Bei Problemen war die erste Frage oft, ob wohl genug gebetet wurde – nicht, ob die Entscheidung weise war. «Ich glaube, dass Gott der Herr ist, aber er ist kein Kleinkrämer. Ich glaube nicht, dass es ihn interessiert, welche Art von Keks wir kaufen oder was wir zum Frühstück essen … aber ich glaube, dass er möchte, dass wir etwas erwachsener werden.»
Die Weisheit der Bibel
Weisheit ist eines der biblischen Hauptthemen. Die alttestamentlichen Bücher Hiob, Psalmen, Sprüche, Prediger und Hoheslied werden zusammen sogar als «Weisheitsliteratur» bezeichnet. Page stellt lächelnd fest, dass die Psalmen zwar manchmal emotional unstabil und das Hohelied etwas überdreht wirkt, aber besonders das Buch der Sprüche zeigt ihm, dass man darin «Weisheit und Unterweisung erkenne». Er findet darin zwar viel Zusammenhangloses, aber vor allem Lebenspraktisches. Die Sprüche handeln nicht von philosophischen Offenbarungen und Erleuchtung, sondern von machbaren Weisheiten wie: «Falsche Waage ist dem Herrn ein Gräuel, aber volles Gewicht gefällt ihm wohl» – praktisch, nachvollziehbar und alltagstauglich.
Schon in den Sprüchen wird die Weisheit gleichzeitig als Person beschrieben; im Neuen Testament wird das immer wieder auf Jesus bezogen, der damit sprichwörtlich Gottes Weisheit auf zwei Beinen wird. Auch diese Weisheit ist praktisch. Wenn Jesus zur Feindesliebe auffordert, mag das radikal sein, aber es ist konkret. Page schliesst daraus: «Es ist wunderbar, wenn Gott uns den Weg zeigt, den wir gehen sollen; aber wenn das nicht geschieht, geraten Sie nicht in Panik. Wir haben Jesus. Wir haben Weisheit.»
Wege zur Weisheit
Anklingend an die Sprüche hält Page zu seinen Erkenntnissen fest: «Es gibt sechs Wege, um weiser zu werden, nein, eigentlich sieben, ich habe mich verzählt.» (Nicks Weisheit 8,10).
1. Finde deine Ältesten
«Gehorche dem Rat und nimm die Zurechtweisung an, damit du künftig weise bist!» (Sprüche, Kapitel 19, Vers 20).
«Lehne niemals ein Mittagessen mit jemandem ab, der weise ist. Besonders, wenn er bezahlt.» (Nicks Weisheit 8,11).
Finde Älteste. Nicht unbedingt Gemeindeälteste, aber Mentoren, von denen du lernen kannst. Es lohnt sich, auf solche weisen Menschen zu hören, die in dich investieren, selbst wenn du die Rechnung dafür bezahlen musst.
2. Denke ehrlich nach
«Wer auf die Unterweisung achtet, geht den Weg zum Leben, wer aber aus der Schule läuft, gerät auf Irrwege.» (Sprüche, Kapitel 10, Vers 17).
«Drücke die Tube deiner Fehler aus, um die Zahnpasta der Weisheit zu erhalten.» (Nicks Weisheit 10,10).
Alle werden älter, aber nicht jeder wird weise. Weisheit erhält man nicht automatisch mit dem Rentenbescheid, sondern durch Nachdenken. Wer älter ist, hat mehr Fehler gemacht, über die er nachdenken konnte, also: Ehre deine Fehler! Ziehe alle Weisheit heraus, die möglich ist. Lerne aus deinem Tagebuch sowie aus ehrlichen Gesprächen und dem Gebet – all das hilft beim Nachdenken.
3. Sammle deine Weisheiten
«Die Weisen sammeln ihr Wissen…» (Sprüche, Kapitel 10, Vers 14a)
«…aber die Narren horten Toilettenpapier.» (Nicks Weisheit 20,94b).
Weisheit muss aufbewahrt werden und zugänglich sein. Die Sprüche sind eine Sammlung solcher Weisheiten. Hast du etwas gelesen oder gehört, das dich beeindruckt? Bewahre es auf – ob im Notizbuch oder auf dem Computer. Studiere es und setze dich immer wieder damit auseinander.
4. Sei still und höre zu
«Die Worte der Weisen, die man in Ruhe hört, sind besser als das Schreien eines Herrschers unter den Narren.» (Prediger, Kapitel 9, Vers 17).
«Betrachte die Lilien auf dem Feld. Sie reden nicht viel und posten auch nichts in den sozialen Medien.» (Nicks Weisheit 17,4).
Weisheit hat viel mit Einfühlungsvermögen zu tun und dem Versuch, eine andere als die eigene Perspektive einzunehmen. Aber das dafür nötige Zuhören erfordert, den Lärm der eigenen Stimme zu überhören.
5. Benutze deinen Verstand
«Verlasst die Torheit, damit ihr lebt, und wandelt auf dem Weg der Einsicht!» (Sprüche, Kapitel 9, Vers 6).
«Zwischen deinen Ohren gehen wundersame Dinge vor sich.» (Nicks Weisheit 104,16).
Manchmal fragt dich jemand: «War das deine Idee oder die Idee Gottes?» Meist ist die Antwort darauf: «Keine Ahnung, ich dachte nur, es wäre eine gute Idee.» Sei offen dafür, dass Gott dich stoppt. Bete für das, was du tust, und sprich mit anderen darüber, aber schäme dich nicht für deine Fähigkeit, zu denken. Sie ist einzigartig und Gott hat sie in dich hineingelegt.
6. Mach langsam und pass auf
«Einsicht macht einen Menschen langsam zum Zorn.» (Sprüche, Kapitel 19, Vers 11a)
«Halte inne und denk nach. Wenn das nicht geht, schlaf eine Runde.» (Nicks Weisheit 309,21).
Schnelligkeit ist der Feind! Deshalb ist es schwierig, eine Idee sofort umzusetzen oder Urteile ad hoc zu fällen – praktische Weisheit kann man nicht überstürzen. Sie erfordert Aufmerksamkeit, und Aufmerksamkeit braucht Zeit.
7. Umarme das Geheimnis
«O Nichtigkeit der Nichtigkeiten!, spricht der Prediger; alles ist nichtig!» (Prediger, Kapitel 12, Vers 8).
«…besonders TikTok.» (Nicks Weisheit 3024,22).
Der Prediger ist eine Art Antwort auf die Gewissheit der Sprüche. Es ist wichtig, dass wir auf ihn hören, denn er warnt uns davor, dass machbare Weisheit die ewigen Fragen nicht lösen kann. Dafür ist eine andere Art von Weisheit nötig, eine, die weniger praktisch und manchmal sogar dumm wirkt, aber hilfreich ist, obwohl du dadurch nicht alles verstehst. Diese Weisheit feiert das Geheimnis.
Wer sich mit dem Thema Weisheit auseinandersetzt, kommt sich manchmal wie Nick Page vor wie ein Hochstapler, aber im Endeffekt können wir mit ihm zusammen festhalten: «Wir sind keine Roboter, die nur tun, was Gott befiehlt. Wir sind keine Laborratten, die versuchen, das Labyrinth von Gottes Willen zu durchqueren, und Angst haben, eine falsche Abzweigung zu nehmen. Wir sind Gottes Kinder, wertvoll und geliebt. Und manchmal können wir dabei weise sein.»
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