«Kirche passiert am Tisch»
«Wir hatten schon immer ein offenes Haus, luden jeweils zum ‹Freitagsznacht› ein», erzählt Roli Staub. «Unsere Gäste nahmen oft Freunde mit, so waren wir gut und gern 30 Leute, die sich im ganzen Haus verteilten, zusammen assen und austauschten.» Von der Möglichkeit, im Auftrag der Basler Stadtmission 20 Prozent als Gastroseelsorger zu arbeiten, fühlte sich der 34-Jährige sofort angesprochen. «Kirche passiert am Tisch», findet der Hobbykoch. Und wenn er von Gottes Liebe erfüllt sei, dann spüre dies auch sein Gegenüber, mit oder ohne Worte.
Vielfältig interessiert
Sein Draht und seine Orientierung nach oben zeigten sich bereits in jungen Jahren. Staub verrät: «Ich war ein leidenschaftlicher Wanderer und Berggänger, hätte mir vorstellen können, Rennvelo-Profi zu werden und spielte mit dem Gedanken, nach Nepal auszuwandern.» Doch er widmete sich anderen Drähten, arbeitete einige Jahre in seiner Heimat, dem Zürcher Oberland als Elektroplaner. Die Liebe zu Gott, seinem Wort und vor allem zu den Menschen führte ihn schliesslich zum Theologiestudium. Damit nicht genug; parallel zur ersten Stelle als Jugendpastor in Riehen absolvierte Roli Staub die Ausbildung zum Unternehmensberater. Seine Frau Simone studierte Deutsch und Geschichte. Sie sind Eltern von zwei Buben. Acht Jahre war Staub Pfarrer in Riehen. Heute wohnt er mit seiner Familie in Kleinhüningen.
Brücken schlagen
Dieser Stadtteil Kleinbasels hat keinen guten Ruf. Die Kriminalität ist hoch, oft werden Nachbarn Zeugen von häuslicher Gewalt. Simone und er sind sich sicher, dass Gott sie an diesen Ort geführt hat. Deshalb bleiben sie. Und es gefällt ihnen. Beide sind sich einig: «Unsere Kinder lernen hier verschiedene Lebensformen kennen, das ist herausfordernd, aber auch bereichernd.» Roli Staubs Freude und das Interesse an Menschen aller Couleur und sozialen Schichten zeigt sich auch in seinem Engagement als Mitbegründer und Pastor der Bridgetown Church in Basel. Auf der Website ist zu lesen: «Wir wollen eine Kirche für alle Nationen und Generationen bauen, der Stadt Basel dienen und die Kultur positiv mitprägen.» Der Pastor, der sich in der jungen Kirche mit einem 70-Prozent-Pensum engagiert, ergänzt: «Es geht darum, Beziehungen zu leben und die Menschen mit Gottes Liebe anzustecken.» Seine Erfahrung habe gezeigt: «Je weniger Gott eine Rolle spielt, desto grösser ist die Not der Menschen in dieser Stadt.»
Lokale fördern Leben
«Ich sehe Basel heute mit anderen Augen», sinniert der Seelsorger. «Ich entdecke viele Orte, die zum Verweilen einladen. Sie leben vor allem von den kreativen Menschen, die dort echte Gastfreundschaft pflegen.» Zweimal pro Woche besucht er einen halben Tag lang Wirtinnen und Wirte und deren Personal, trinkt etwas, beobachtet das Geschehen. Er stellt sich und seinen Dienst vor, lernt einzelne Personen näher kennen, drückt den Mitarbeitenden seine Wertschätzung aus. «Die Pandemie hat gezeigt, dass Gastronomiebetriebe systemrelevant sind. Menschen begegnen einander, reden miteinander und unterstützen sich gegenseitig, statt zuhause zu vereinsamen», bekräftigt Staub. So sehr er den Austausch mit den Leuten schätze … «es kann sehr anstrengend sein. Und nicht immer hat jemand Zeit für ein Gespräch». Dann pedalt er sich mit Vorliebe auf seinem Rennrad von den Eindrücken frei, schöpft neue Kraft und Motivation.
Herausgeforderte Branche
«Corona hat in der Gastrobranche bleibende Spuren hinterlassen, war nicht nur finanziell eine Zerreissprobe. Es hat viele zerrissen», hält Staub fest. Aufgrund von Kurzarbeit und Entlassungen hätten langjährige und gut ausgebildete Mitarbeitende der Gastronomie den Rücken gekehrt und sich beruflich neuorientiert. «Seit das Leben in die Lokale zurückgekehrt ist, fehlt es überall an qualifizierten Arbeitskräften», weiss der Gastroseelsorger. «Viele Inhaber stemmen den Betrieb notgedrungen fast allein». Als er in einem Café einmal eine Tasse Tee getrunken habe, hätte sich ihm die Inhaberin anvertraut. Nur einen Monat vor dem Lockdown hatte sie ihr Lokal eröffnet und ihr gesamtes Vermögen in den Betrieb investiert ... Roli Staub schluckt leer. Der 34-Jährige gesteht: «In einem solchen Moment kann ich keine fixfertige Antwort aus der Tasche ziehen.»
Der berühmte Tropfen
Angesichts der fast 2000 Gastbetriebe in der Stadt scheint der 20-%-Einsatz ein Tropfen auf den heissen Stein zu sein. Aber dort, wo er hinfällt, bewirkt er einen Unterschied. Roli Staub erzählt von fröhlichen und bewegenden Erlebnissen. So durfte er bei der Übergabe eines Betriebs an die jüngere Generation dabei sein. Als der Vermieter das Lokal nicht weiter zur Verfügung stellen wollte, begleitete Roli die Parteien zu einer Aussprache. Anschliessend stiess er mit den neuen Pächtern auf den neuen Vertrag an. Ein anderes Mal erreichte ihn am frühen Vormittag ein Anruf. «Kannst du kommen?» Wegen eines Suizids stand er nun dem Personal bei, hielt dessen Trauer, Wut und Überforderung aus. Schliesslich tauschten sich die Anwesenden über die verstorbene Person aus und nahmen mit einem Glas Prosecco Abschied von ihr. Fromme Worte seien in einer solchen Situation fehl am Platz und das klassische Missionieren sowieso nicht seine Art, erklärt der Menschenfreund. Wie eingangs erwähnt, lässt Roli Staub Gottes Liebe viel lieber durch sein Leben, seinen Umgang mit den Menschen sprechen. Er habe erfahren: «Einfach da sein, zuhören, Anteil nehmen und wieder vorbeischauen, das genügt oft.»