Wenn er daran zurückdenkt, wie er da- mals in den 80er-Jahren seine Lehre in der Psychiatriepflege in der Innerschweiz abbrach und in ein neues Abenteuer im Berner Oberland aufbrach, staunt Stephan Thalmann. Er begann damals als Hatti-Knecht im Verein Tabor, einer Institution für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Seit 1989 führen Stephan Thalmann und seine Frau Christina den Bauernhof Hatti, nach wie vor eng verbunden mit der Arbeit des Vereins «Kinderheimat Tabor».
Einzigartigkeit stärken
Während der Schulzeit kommen die Tabor-Kinder regelmässig auf den Hatti-Hof, um dort mitzuhelfen. Der Hof sei ganz auf die Kinder ausgerichtet, erklärt Stephan Thalmann. «Welche Vorteile bringt es den Kindern?», sei die zentrale Frage für ihn und sein Team. Eine Schlüsselfunktion im Konzept des Erlebnishofs komme den Tieren zu: «Wir setzen auf Vielfalt und beobachten immer wieder, wie wertvoll die Beziehung zwischen Kind und Tier ist.» Thalmanns sozialpädagogische Arbeit ist stark vom Wunsch geprägt, die Kinder in ihren Stärken zu stärken. «Ich versuche, die Einzigartigkeit jedes Lebewesens wahrzunehmen – bei den Tieren und bei uns Menschen. Im Umgang mit den Kindern begleitet mich die Frage, welche Gaben und Talente Gott in jedes einzelne Kind hineingelegt hat.» Dass Kinder in ihren individuellen Eigenschaften gesehen und gefördert werden, wünscht sich Thalmann auch für die Schulen. «Es kommt nichts Gutes dabei heraus, wenn Kinder für die Gesellschaft zurechtgebogen werden. Viele fühlen sich dann wertlos und an den Rand gestellt.»
Tierwelt bietet Parallelen zum Leben
Wiehern, gackern, grunzen, meckern, bellen und krähen: Die Geräuschkulisse auf seinem Hof lässt Thalmann jeden Morgen neu über die Vielfalt der Schöpfung staunen. Er erzählt vom Hahn, der pünktlich um halb fünf den Tag begrüsse, mutig herumstolziere und sich dann um seine Hennen kümmere. «Er übernimmt Verantwortung für die Hennen und frisst erst, wenn sie gefressen haben.» Da komme ihm oft die Not alleinerziehender Mütter in den Sinn. «Wie sehr muss eine solche Mutter leiden, wenn niemand da ist, der die Verantwortung mitträgt.»
«Mich begleitet die Frage, welche Gaben und Talente Gott in jedes einzelne Kind hineingelegt hat.»
Aus der Tierwelt könne man ohnehin viel fürs Leben lernen, ist Stephan Thalmann überzeugt. Deshalb habe Jesus wohl oft solche Metaphern verwendet. «Es stimmt, dass Schafe immer den Hirten suchen und ohne ihn völlig verloren sind. Wenn ich sie jage, läuft jedes in eine andere Richtung, aber wenn ich mich umdrehe, folgen sie mir. Auch wir Menschen suchen einen Hirten, dem wir folgen können.» Diesen Schatz an Metaphern, die ein Erlebnishof bietet, setzt Thalmann auch bei der Arbeit mit den Kindern ein.
«Land ob de Wolke»
Beim letzten Brunch-Gottesdienst der Familie Thalmann auf dem Hattihof lief das Jodellied «Land ob de Wolke». Die Worte hätten ihn innerlich stark angerührt und tief in sich habe er die Sehnsucht nach jenem Ort gespürt, so Stephan Thalmann. Seither höre er das Lied vom Jodlerklub Wiesenberg, das auf YouTube über vier Millionen Aufrufe hat, praktisch jeden Tag. «Ich erlebe mich manchmal als hoffnungslosen Fall. Umso mehr berührt mich der Gedanke, dass mir jemand eine Zukunft geben will und bereit ist, mich ewig auszuhalten. Da ist jemand, der mich so annimmt, wie ich bin, jemand, der ein bedinungsloses Ja zu mir hat.»
Mehr Infos und Kontakt zum Erlebnishof Hatti: www.erlebnishof.ch