Mehr als eine «Lovestory»

Barbara Grossenbacher, 46 Jahre, wohnt in Steffisburg
Gemeinsam mit ihrem Ehemann leitet Barbara Grossenbacher ein Kinderheim in Indien. Sie berichtet von einem entbehrlichen, vor allem aber lohnenden und erfüllenden Weg.

«Was fange ich nur mit meinem Leben an?» fragte sich Barbara Grossenbacher, als sie um die 30 Jahre alt gewesen war. Sie interessierte sich für andere Kulturen, insbesondere die asiatischen, bereiste aber auch Afrika oder Russland. «Dabei hatte ich immer ein Problem mit den Ungerechtigkeiten in dieser Welt und irgendwie glaubte ich, etwas gegen Missstände tun zu können.» Doch wozu konnte sie ihr Leben gewinnbringend investieren?

Ein spezieller Gedanke

In einer christlichen Ruhewoche fand Barbara Zeit, um ihren Lebensfragen nachzugehen. «Damals hatte ich plötzlich das Gefühl, einmal ein Kinderheim zu leiten.» Es war ein komischer Impuls, den sie nicht richtig einordnen konnte. Jahre später erkannte sie darin ein Reden Gottes, an dem sie sich inmitten von Entmutigendem festhalten konnte. Doch erst einmal arbeitete Barbara weiter in einer Apotheke in Gstaad, bis sie sich für einen Besuch bei einem indischen Bekannten und dessen Kinderheim entschied. «Als ich die Arbeit von Anbu sah, glaubte ich, meinen Platz gefunden zu haben», blickt Barbara auf ihren ersten Besuch in Indien zurück. «Ich wusste: hier will ich mich investieren!» Das war 2008. Ein Jahr später waren Barbara und Anbu ein Paar und am 18. August 2012 folgte die Hochzeit in der Schweiz.

Einsatz für Benachteiligte

Die Benachteiligung, die viele Menschen in Indien erfahren müssen, ist erschreckend. Einerseits ist da die Armut, andererseits das soziale Gefüge (das Kastenwesen), welches jeglichen gesellschaftlichen oder beruflichen Aufstieg verhindert. Kastenlose oder Unberührbare, wie sie auch genannt werden, haben keine Rechte. «Kastenlose Kinder müssen in den ohnehin übervollen Schulklassen ganz hinten sitzen – oftmals sogar am Boden. Das ist genauso unfair, wie die Arbeiten, zu welchen sie später gezwungen werden. Und wenn eine Frau vergewaltigt wird, hat sie keine Möglichkeit, sich rechtlich zur Wehr zu setzen.» Der Zugang zu guter Bildung wird Menschen aus einer tiefen Kaste verwehrt. So ist eine Veränderung kaum möglich. Für solche Kinder setzt Barbara sich heute ein und schafft die Möglichkeit für ein besseres Leben. Dabei wird sie von vielen Menschen vorbildlich unterstützt. Neben vielen treuen Spendern freute sie sich über handwerklich begabte Menschen aus dem Saanenland, die den Bau des «Grace Home» in Indien vorantrieben.

«Kastenlose Kinder müssen in den ohnehin übervollen Schulklassen ganz hinten sitzen.»

Eine Schulklasse in Indien

Eine Chance erhalten

Als Kastenloser wuchs Anbu (1975) als Sohn eines Hindupriesters im indischen Bundesstaat Tamil Nadu auf. Als die Armut drückend wurde, gaben ihn die Eltern in ein christliches Kinderheim, wo Anbus Leben in ganz neue Bahnen geriet. Er erhielt die Möglichkeit, zuerst Informatik und später auch Theologie zu studieren. Das öffnete ihm ungeahnte Möglichkeiten. Im Kinderheim fand Anbu auch Zugang zum christlichen Glauben. Die Wertschätzung, welche das Christentum allen Menschen gibt, berührte ihn. Und zu einer persönlichen Beziehung mit Gott zu finden, war mehr als er sich jemals vorstellen konnte. Anbus Dankbarkeit führte ihn dazu, auch andere Kinder an dem teilhaben zu lassen, was sein eigenes Leben verändert hatte. Dass er aufgrund seiner Konvertierung von seiner Familie Ablehnung erfuhr, war zwar schmerzhaft, hinderte ihn aber nicht daran, diesen Weg weiterzuverfolgen. So wünscht sich Anbu, dass möglichst viele benachteiligte Kinder in den Genuss guter Schulbildung kommen und die Chance erhalten, von Jesus Christus zu erfahren. «In Indien ist Christsein mit Leiden verbunden», berichtet Barbara. «Als Schweizer können wir uns dies kaum vorstellen.» Sie erzählt auch von Hindernissen, welche beim Führen eines christlichen Kinderheimes in den Weg gelegt werden. «Die indische Regierung versucht, jegliche christliche Organisationen zu beseitigen.» Für Anbu war eine Rückkehr zum Hinduismus jedoch nie eine Option.

Hoffnung zu bringen, kostet etwas

Barbara und Anbu leben dafür, dass benachteiligte Kinder in Indien Hoffnung und neue Lebensperspektiven erhalten. Anbu hält fest: «In Jesus Christus liegt die Hoffnung für benachteiligte Menschen in Indien.» Ob Jugendliche sich dem Christentum zuwenden, liegt nicht in seiner Hand, umso mehr aber, gute Bildungsmöglichkeiten anzubieten und christliche Werte im Kinderheim und der Schule zu leben. Dazu gehört die bedingungslose Wertschätzung aller Menschen, Ehrlichkeit und vieles mehr.

«In Jesus Christus liegt die Hoffnung für benachteiligte Menschen in Indien.»

Schule in Indien

Aufgrund verschiedener Hindernisse hat sich das definitive Auswandern von Barbara verzögert. Auf diese Weise konnte sie das «Grace Home» in Indien aber bestmöglich unterstützen – auch wenn das häufige Getrenntsein von ihrem Ehemann nicht einfach ist. «Wenn das Internet nicht funktioniert ist es besonders schwierig.» Irgendwann will Barbara auswandern. In der Zwischenzeit kümmert sie sich um die nötigen Finanzen, um Heim und Schule weiter aufzubauen. «Wenn ich sehe, was wir in den letzten zehn Jahren bewegt haben, war es die Mühe wert.» Normalerweise verbringen Barbara und Anbu mehrere Monate im Jahr zusammen. Als sich die beiden aufgrund von Covid elf Monate lang nicht treffen konnten, war das schon schwierig. Viele Monate von ihrem Anbu getrennt zu sein und dann auch noch die vielen mühsamen Verhandlungen mit indischen Behörden, welche ihrer Arbeit beständig Steine in den Weg legen: Für Barbara ist es kein einfacher Weg. Doch es lohnt sich. Anbu sagt oft: «Willst du etwas gewinnen, musst du erst bereit sein, etwas zu verlieren.» Und tatsächlich blickt Barbara auch mit gewisser Befriedigung auf den entbehrungsreichen Weg der vergangenen Jahre zurück, denn so konnte sie einen Beitrag leisten, damit Hoffnung nach Indien kommt. (mrm)

 

«Grace Home» Minitry

Der Schweizer Verein «Grace Home Ministry» unterstützt das «Grace Home» in Indien. Durch diese Arbeit kann bedürftigen Kindern ein Zuhause und qualitativ hochwertige Bildung geschenkt werden.

www.gracehomeministry.org

Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: HOPE-Regiozeitungen