Neutestamentliche Leiterinnen
Theoretisch ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau eine Selbstverständlichkeit. Theoretisch. Doch trotz mancher guten Weiterentwicklung ist sie noch längst nicht überall Wirklichkeit. Im christlichen Rahmen gibt es hier grosse Ressentiments. Die katholische Kirche kämpft mit ihrer Tradition und auch Bewegungen wie Maria 2.0 dringen letztlich nicht bis in den Vatikan vor.
Die Deutsche Bischofskonferenz unterstreicht: «Kirchliches Leben ist ohne den Einsatz von Frauen undenkbar.» Konsequenzen hat diese Aussage jedoch nicht. Auf Fotos von evangelischen und freikirchlichen Leitungsgremien sind inzwischen bereits vereinzelt Frauen zu erkennen, allerdings gibt es immer wieder Gegenbewegungen zu dieser Tendenz. Das jüngste Beispiel stammt aus den USA, wo der grösste Kirchenverband, die «Southern Baptist Convention», im Februar dieses Jahres fünf Gemeinden ausschloss, weil sie Frauen ordinierten.
Darunter befindet sich die bekannte Saddleback Gemeinde, die Rick Warren gegründet hatte. Immer wieder heisst es in diesem Zusammenhang, dass es nötig sei, sich auf die Bibel zurückzubesinnen, doch tatsächlich kennt das Neue Testament einige Frauen in Leitungsverantwortung. «Wir sehen den Text, lesen aber um ihn herum und nehmen an, dass er etwas anderes bedeuten muss als das, was offensichtlich ist», behauptet die Theologin Lee Ann Marino in einem Artikel und zeigt darin vier exemplarische Leiterinnen im NT bzw. Frauen, die eine besondere Schlüsselstellung innehatten.
Maria Magdalena
Das ist die Jüngerin von Jesus, die nach der Auferstehung «kommt … und verkündet den Jüngern, dass sie den Herrn gesehen und dass er zu ihr gesprochen habe» (Johannes, Kapitel 20, Vers 18). Sie wird zwar verhältnismässig oft in den Evangelien erwähnt, trotzdem erfahren wir nicht viel von ihr. Sie unterstützte Jesus und seinen Dienst finanziell, nachdem er sieben Dämonen von ihr ausgetrieben hatte. Sie hielt bis zur Kreuzigung bei Jesus aus und wurde danach die «Apostelin der Apostel», indem sie von der Auferstehung berichtete.
Als frühe Kirchenleiterin arbeitete sie wohl mit dem Apostel Johannes in Ephesus zusammen. In jedem Fall hat sie – obwohl Frauen vor Gericht nicht als Zeuginnen zugelassen waren – die übrigen Jünger in besonderer Weise angespornt. Diese Schlüsselrolle kam erst ins Wanken, als Papst Gregor I. sie im Jahr 591 als Sünderin darstellte, was später als Prostituierte gedeutet wurde. Sollte eine der starken weiblichen Persönlichkeiten aus dem Umfeld von Jesus so diskreditiert werden?
Photina
Ob sie tatsächlich so hiess, ist nicht ganz klar, die Tradition nennt jedenfalls die samaritanische Frau am Brunnen mit diesem Namen. Nach der Begegnung mit Jesus heisst es von ihr: «Aus jener Stadt aber glaubten viele Samariter an ihn um des Wortes der Frau willen, die bezeugte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.» (Johannes, Kapitel 4, Vers 39) So wurde sie tatsächlich zu einer Lichtträgerin für ihre Umgebung – das ist die Bedeutung ihres Namens. Bekannt ist sie heute jedoch in erster Linie für ihre «fünf Männer» (Vers 18).
Ob sie tatsächlich mehrere aussereheliche Beziehungen hatte oder mehrere Leviratsehen eingehen musste und jetzt verlobt war, lässt sich kaum rekonstruieren – Tatsache ist jedoch, dass ihr unklarer Lebenswandel ihre klar beschriebene Tätigkeit überlagert: Photina war die erste «Apostelin» für nichtjüdische Menschen. Die Tradition bezeugt laut Lee Ann Marino, dass sich ihre Schwestern und Kinder deswegen bekehrten. Später soll sie 30 Jahre lang missionarisch in Karthago tätig gewesen sein. Auch ohne diese traditionelle Ergänzung war sie definitiv eine Schlüsselgestalt in den Evangelien.
Junia
Wenn der Apostel Paulus im Römerbrief, Kapitel 16, Vers 7 sagt: «Grüsst Andronicus und Junias, meine Verwandten und Mitgefangenen, die unter den Aposteln angesehen und vor mir in Christus gewesen sind», realisieren die Wenigsten, dass Letztere eigentlich Junia, eine Frau, war. Mehr noch: Sie hatte zusammen mit Andronicus unter den anderen Aposteln eine herausragende Stellung. Laut Kirchengeschichte soll sie eine der 70 gewesen sein, die mit Jesus zusammen unterwegs waren. Später war sie als Apostelin in der Gegend des heutigen Serbien und Kroatien unterwegs.
Die frühe Kirche spricht selbstverständlich von Junia als von einer Frau – das änderte sich erst im 13. Jahrhundert, als Aegidus von Rom Junia und Andronicus ohne nähere Erläuterung als «ehrenwerte Männer» bezeichnete. Eine leitende Frau, die sich nicht als verdorben darstellen liess, wurde so kurzerhand zum Mann gemacht. Erst in neuerer Zeit wird sie in den meisten Bibelübersetzungen wieder als Junia bezeichnet, als Apostelin.
Appia
Eine weitere Schlüsselfrau im Neuen Testament ist Appia, die Paulus als Teamplayerin vorstellt: «Paulus, ein Gefangener Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, an Philemon, unseren geliebten Mitarbeiter, und an die geliebte Appia, und Archippus, unseren Mitstreiter, und an die Gemeinde in deinem Haus.» (Philemon, Vers 1-2) Einige halten sie für Philemons Ehefrau, doch das ist ungewiss.
Sicher ist, dass sie eine so wichtige Rolle in der Gemeinde spielte, dass sie direkt im Briefkopf genannt wird. Das höfliche Erwähnen einer (Ehe-)Frau ohne besondere Rolle kommt an keiner anderen Stelle bei Paulus vor. Appia war auf jeden Fall eine leitende Mitarbeiterin. Sie soll laut Kirchengeschichte zusammen mit ihren Mitstreitern in Kolossä den Märtyrertod gefunden haben.
Frühe Kirche – heutige Kirche
Es sind nicht viele Frauen, die im patriarchalen Umfeld des neuen Testaments eine leitende Funktion haben, aber es gibt sie – selbst damals. Das unterstreichen ihre Geschichten in der Bibel und der Tradition. Wer Frauen heute in Kirche und Gemeinde Raum zur Mitarbeit und zum Leiten gibt, der beugt sich also nicht dem Zeitgeist, sondern findet zu einem biblischen Verhalten zurück. «Es ist weit davon entfernt, etwas Neues oder Innovatives zu sein, und es ist offensichtlich, dass Frauen seit den Anfängen der Kirche in Führungspositionen tätig waren», unterstreicht Lee Ann Marino. Sie lädt deshalb dazu ein, Frauen im Dienst der Gemeinde zu feiern und sie darin zu unterstützen, mehr über den Dienst von Frauen in der Bibel und der Kirchengeschichte zu erfahren und die Mitarbeit insgesamt als etwas zu sehen, das über die Geschlechteridentität hinausgeht.
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